Ex-Sternchen

von Charles Paresse
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 188 - Januar / Februar 2021

#Populärkultur

Stars wie Xavier Naidoo oder Michael Wendler machen rechtes Denken massentauglich. Die Kulturindustrie verdient ungeniert weiterhin mit ihnen Geld und verschafft ihnen Öffentlichkeit – trotz ihrer politischen Wahnvorstellungen.

Antifa Magazin der rechte rand
Wendler 2019 Foto von CHR!S / Wikipedia CC

Das, was der Sänger Xavier Naidoo auf Telegram-Kanälen und in Videos verbreitet, ist rechtsradikale Propaganda. Zugleich sind seine Behauptungen – die er ganz offenbar tatsächlich glaubt – Zeichen von Paranoia. Er glaubt und verbreitet, dass Kinder unter der Erde als Sklav*innen gefangen und kannibalistisch getötet würden: für den Handel mit dem Stoffwechselprodukt Adrenochrom und mit Organen – eine antisemitisch konnotierte Wahnvorstellung. Ideologieelemente der »Reichsbürger«, rassistische Hetze, die »Bilderberger« als heimliche Weltherrscher und Corona-Leugnung, bei ihm ist die ganze Palette rechter Verschwörungsideen im Angebot. Eine Konfrontation mit der Realität ist nutzlos. Mit rationalen Argumenten ist diesem geschlossenen System aus Verfolgungswahn, Irrationalität, Antisemitismus und dem Glauben, über exklusives Wissen zu verfügen, nicht beizukommen. Jedes Gegenargument wird nur zum Beleg einer noch raffinierteren Verschwörung, die nur vom Erleuchteten erkannt werden kann.


Naidoos Videos und Posts werden massenhaft in Chat-Gruppen geteilt, in Telegram-Kanälen und auf YouTube sowie in Social-Media-Kanälen verbreitet – massenwirksam mit zehntausenden Abonnent*innen und hunderttausenden Zuschauer*innen. Nachdem Naidoo aufgrund seiner Aussagen Anfang 2020 als Juror der RTL-Show »Deutschland sucht den Superstar« (DSDS) nicht mehr tragbar war und rausflog, erklärte er, er habe seine Reichweite durch die Teilnahme an der Show genutzt, um seine Aussagen besser verbreiten zu können.

< Deutscher Pop- und Schlagersänger Xavier Naidoo will »Freiheit für Deutschland«
< Deutscher Pop- und Schlagersänger Xavier Naidoo will »Freiheit für Deutschland«


Im Herbst 2020 machte dann Schlager-Sänger Michael Wendler Schlagzeilen. Er überraschte die Öffentlichkeit und seine Fans mit Verschwörungsgeschichten zur Corona-Pandemie: Der Bundesregierung warf er vor, gegen das Grundgesetz zu verstoßen, den Medien, dass sie gleichgeschaltet seien. Folgerichtig kündigte er seine Zusammenarbeit mit der RTL-Sendung DSDS. Der Sender selbst zog allerdings erst später die Reißleine und beendete die Zusammenarbeit erst, als er beim Messenger-Dienst Telegram aufgrund der Anti-Corona-Maßnahmen Deutschland als »KZ« bezeichnete. Dabei war – so wie bei Naidoo – bereits vorher klar, wohin die ideologische Reise geht. Erst als die Skandale zu groß werden drohten, zog RTL die Reißleine.


Nach dem Rauswurf trat Wendler in einer Online-Sendung der früheren Sprecherin der »Tagesschau« und Moderatorin, Eva Hermann, auf. Auch sie ist so ein Fall: Die ehemals prominente Journalistin driftete bereits vor Jahren immer weiter nach rechts, bis sie vom Norddeutschen Rundfunk vor die Tür gesetzt wurde – und dann eine steile Karriere in der radikalen Rechten startete. Hetze als Geschäftsmodell, auch das funktioniert. Auch wenn für Naidoo und Wendler bei RTL Schluss ist und einzelne Werbepartner*innen abspringen, läuft das Geschäft weiter. So stehen für den Sommer 2021 zahlreiche Open-Air-Konzerte in großen Arenen von Naidoo in den Veranstaltungskalendern, die Tickets können schon gekauft werden. Für die Kulturindustrie, Plattenfirmen, Labels und die Veranstaltungsorte ist es offenbar kein Problem, einen rechtsradikalen Verschwörungsideologen auftreten zu lassen, ihm eine Bühne zu geben. Und die Zuschauer*innen? Bis jetzt scheinen sich die Musik-Fans nicht an den Aussagen Naidoos zu stören. Dabei wäre ihr Wegbleiben ein deutliches Signal – in erster Linie an die Veranstalter*innen. Auch die Platten von Naidoo oder Wendler sind weiterhin in allen Stores zu kaufen, digital und als CDs. Ganz offenbar lohnt das Geschäft. Und offenbar ist der Preis bisher nicht zu hoch, Rechtsradikale und Verschwörungsideologen unter Vertrag zu haben.

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»Warum drehen so viele Promis durch?«, fragte im Mai 2020 das Redaktionsnetzwerk Deutschland in einem Artikel, um zu beleuchten, wie sich aus rechten Nischenthemen nun Massenphänomene entwickeln konnten. Es sind vor allem ehemalige Prominente der »Mitte« der Gesellschaft, die für den Transfer rechten Denkens in die Gesellschaft sorgen: der frühere einflussreiche SPD-Politiker Thilo Sarrazin, der Ex-Radiomoderator Ken Jebsen, der vegane Promi-Koch Attila Hildmann – und eben Künstler wie Naidoo und Wendler. Sie alle haben sich inzwischen an der Schnittstelle zwischen radikaler Rechter, Verschwörungsideolog*innen und der »Mitte« ihr ökonomisches Überleben organisiert – offenbar teils recht ertragreich. Die Corona-Pandemie hat die Entwicklung rechten Denkens beschleunigt – auch unter Prominenten ist das zu beobachten, die nächsten stehen in den Startlöchern für eine Karriere in der Parallelwelt. Es ist Zeit für »Cancel Culture«, es ist Zeit für ökonomische und nicht nur symbolische Trennstriche. Mit Antisemitismus, Holocaust-Verharmlosung oder politischem Wahn darf kein Geld verdient werden. Gebt ihnen keine Bühnen, vertreibt nicht ihre Platten und verschafft ihnen keine Präsenz in Shows oder Interviews – egal ob in der Volksmusik, beim Schlager oder im Pop-Geschäft.