Zwei Legislaturperioden

von Lisa Krug
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 200 - Januar / Februar 2023

#Europa

Die Wahl zum Europäischen Parlament 2014 war erst die zweite große Wahl für die »Alternative für Deutschland« (AfD) und ihr erster großer Erfolg. Sieben Abgeordnete durften nach Brüssel und Straßburg gehen, bei der Wahl fünf Jahre später waren es schon elf, von denen heute immerhin noch neun für die Partei aktiv sind.

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Screenshot: »Identität und Demokratie« 2023

Die ersten AfDler*innen, die es 2014 in das EU-Parlament (EP) geschafft haben, waren unter anderem das Dreiergestirn Hans-Olaf Henkel, Joachim Starbatty und Bernd Lucke. Bernd Lucke – Parteimitglied der ersten Stunde – war stellvertretender Vorsitzender des EU-Sonderausschusses zu »Steuervorbescheiden und anderen Maßnahmen ähnlicher Art oder Wirkung«. Henkel, ehemaliger Präsident des mächtigen Lobbyvereins »Bundesverband der deutschen Industrie«, war im Parlament stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie und überdies noch stellvertretender Vorsitzender der »Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer« (EKR). Bereits ein Jahr später traten alle drei aus der Partei aus, blieben allerdings bis zum Ende der Legislaturperiode Abgeordnete im EU-Parlament. Keinem gelang der große, politische Karrieredurchbruch auf der europäischen Ebene. Ein weiterer AfD-Abgeordneter dieser Legislaturperiode war Marcus Pretzell. Weil er sich entgegen den Parteiabsprachen mit dem UKIP-Chef Nigel Farage getroffen hatte, musste er einen gerade angetretenen Posten im AfD-Bundesvorstand wieder abgeben. Im April 2016 wurde er dann auch aus der EKR ausgeschlossen und wechselte daraufhin zur »Fraktion Europe of Nations and Freedom« (ENF) und wurde 2017 parallel dazu noch Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen. Nach weiteren parteiinternen Streitigkeiten verließ er – mittlerweile mit Frauke Petry verheiratet – 2017 die AfD. Die Reihen der AfD-Delegierten im EU-Parlament lichteten sich. Beatrix von Storch gab als letztes verbleibendes AfD-Mitglied 2017 ihr EP-Mandat für einen Bundestagssitz auf. Die Wahl ihrer parlamentarischen Ausschüsse spiegelt recht genau ihre politischen Positionen wieder. Als bekannte Rechtsstaats- und Schusswaffengebrauchsfreundin wählte sie den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres; und als konservative Familien- und Lebensschützerin entschied sie sich für den Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter.

2019
Eines der prominenteren EP-Mitglieder nach der Wahl 2019 ist der inzwischen geschasste Jörg Meuthen, der mittlerweile in der Partei »Zentrum« seine neue politische Parteiheimat gefunden hat. Er übernahm das Mandat von Beatrix von Storch und die Vernetzungsfunktion von Marcus Pretzell. Gemeinsam mit Mattea Salvini (»Lega«) war er maßgeblich an den Vorbereitungen für die Fraktion »Identität und Demokratie« (ID) beteiligt – die größte extrem rechte Fraktion in der Geschichte des EP. Im Juli 2019 wird er stellvertretender Vorsitzender dieser Fraktion, bleibt hinter ihrem Vorsitzenden Marco Zanni (»Lega«) aber völlig unsichtbar. Mit seinen Versuchen, auch europapolitisch moderater zu scheinen als zu sein, können die anderen EP-Abgeordneten der AfD nichts anfangen. Meuthen steht schon vor seinem Parteiaustritt allein da – und ist seit Februar 2022 fraktionslos. Als Fraktionsloser muss er jetzt in einer Ecke mit den Neonazis der ungarischen »Jobbik«, der slowakischen »Kotlebovci – Ludová strana Naše Slovensko« und der griechischen »Chrysi Avgi« sitzen. Meuthens Nachfolger als Delegationsleiter wurde Nicolaus Fest. Der Islam-Gegner fiel bisher allerdings nur durch verbale Ausfälle auf. Teil der Delegation sind auch überzeugte Christ*innen wie Joachim Kuhs, der als bekennender Katholik einen Nachruf auf den Ex-Papst Benedikt XVI. geschrieben hat, oder Maximilian Krah, der früher für die antisemitische »Piusbruderschaft« vor allem in Fragen der Steuervermeidung tätig war.

Weiterhin Außenseiter
Was die parlamentarische Arbeit angeht, ist die AfD zumindest in punkto inhaltlicher Output aktiver und präsenter als je zuvor. Als deutsche Delegation bringt sie seit Mitte 2020 das Online-Magazin »Blick nach Brüssel« heraus. Darin schreiben fast alle AfD-Europaparlamentarier*innen regelmäßig zu ihren Ausschuss- und sonstigen Themen: Inhaltlich mäßig tiefschürfend, die eigene Arbeit zum Erfolg verklärend, oft auf den billigen, vermeintlichen Skandal aus und, erwartbar, immer gegen die EU-Bürokratie gerichtet. Die AfD hatte die konkrete Ausstiegsforderung auf ihrem Bundesparteitag Anfang 2021 ins Programm aufgenommen – Forderungen, die andere rechtsradikale Parteien wie die »Rassemblement National« (»Nationale Sammlung«) und die »Lega« nicht mehr vertreten.

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Nicht zuletzt die instabile Personalbesetzung, Parteiintrigen bis hin zu unklaren Zielsetzungen erwecken den Eindruck, dass die AfD auf europäischer Ebene ungenügend eingebunden ist. Die Rolle der großen Player im rechten Lager ist bereits durch andere Persönlichkeiten besetzt. Dennoch scheinen die Gemüter recht pragmatisch aufgestellt zu sein: Ohne Fraktion wäre man wahrlich irrelevant. Da scheint es doch als kleineres Übel einfach ein Teil von etwas zu sein.