Identität: »Frei.Wild«

von Timo Büchner
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 152 - Januar | Februar 2015

#Musik

Am 13. März 2015 veröffentlicht die Südtiroler Musikgruppe »Frei.Wild« ihr neues Studioalbum »Opposition«. Bereits mit der Wahl des Titels knüpft die Band inhaltlich nahtlos an ihre früheren Alben an. Eine inhaltliche Analyse der Liedtexte aus früheren Veröffentlichungen bietet einen Einblick in das Identitätsangebot an ihre Fans.

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Philipp Burger @ Christian Ditsch

»Frei.Wild« ist zurück auf der Bühne: Album-Veröffentlichung im März 2015, Tour im April und Mai, danach reiht sich ein Festival an das andere. Wie bei den vergangenen Veröffentlichungen bedeutet dies wohl: Goldene Schallplatte für das Album und eine ausverkaufte Tour. »Frei.Wild« machen mit ihrem Schaffen ein Identitätsangebot, das von hunderttausenden Menschen dankend angenommen wird. In den Liedtexten der Band wird die Identität sowohl über Geburt und Herkunft eines Individuums (Nativismus) als auch über die gemeinsame Feindschaft einer Gruppe aus eben jenen Individuen (Negativismus) definiert. Zur Schicksalsgemeinschaft ist es dann nicht mehr weit.

Heimat
Den Schwerpunkt des nativistischen Identitätsangebotes bildet das nationalistische Gedankengut, das sich vorrangig in zwei, für die Bandgeschichte äußerst bedeutsamen, Liedern wiederfindet: »Südtirol« (2003) und »Wahre Werte« (2010). Das Lied »Südtirol« widmet »Frei.Wild« seiner Heimat. Darin heißt es: »Südtirol, wir tragen deine Fahne/Denn du bist das schönste Land der Welt/Südtirol, sind stolze Söhne von dir/Unser Heimatland, wir geben dich nie mehr her/Südtirol, deinen Brüdern entrissen/[…]/Südtirol, du bist noch nicht verlor´n/In der Hölle sollen deine Feinde schmor´n«. Mit diesen deutlichen Aussagen positioniert sich »Frei.Wild« eindeutig in dem spannungsgeladenen Verhältnis Südtirols zu Italien. Die Band wendet sich gegen die mehrheitlichen VerfechterInnen des politischen Status quo, die sich gegen eine Loslösung Südtirols von Italien aussprechen. Obwohl Südtirol nach dem Zweiten Weltkrieg und den Beschlüssen zweier Autonomiestatute heute umfangreiche Rechte genießt, klagt »Frei.Wild« über massive Einschränkungen und mangelnde Freiheiten seitens der italienischen Regierung. Politisch befindet sich die Band damit in Gesellschaft der SeparatistInnen, deren militanter und neonazistisch geprägter Teil bis in die frühen 1990er Jahre Attentate auf Personen und Anschläge verübt hat.

In der Rockballade »Wahre Werte« konstruiert »Frei.Wild« eine »Wir-Gruppe«, die aus dem »gesund patriotischen« Tiroler Volk besteht, und eine »Ihr-Gruppe«, die ihre Heimat hasst, sich für sie schämt und Heimatliebe tabuisiert: »Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen/Wenn ihr euch Ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen/(…)/Sehe schon die Nachwelt klagen und fragen/Warum habt ihr das verkommen lassen/Die Wurzel des Landes, wie kann man die hassen«. Mit »Wahre Werte« begibt sich »Frei.Wild« in das Geflecht von Patriotismus und Nationalismus, das durch eine ein- und ausschließende Wirkung gekennzeichnet ist. Im Mittelpunkt des dazugehörigen Musikvideos stehen Aufnahmen des »Unabhängigkeitstages« des rund 5.000 Mitglieder umfassenden »Südtiroler Schützenbundes«, der sich dem »Schutz der Heimat und der Tiroler Lebens- und Wesensart« und der »Einheit des Landes Tirol« verpflichtet fühlt. Der Fortbestand der Tiroler Identität wird metaphorisch mit der zu schützenden »Wurzel des Landes« umschrieben. Würde diese »Wurzel« nicht genährt und geschützt, drohe schließlich der Volkstod: »Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat/Ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk«. Indem der drohende Volkstod und ein homogenes Volk besungen werden, wird Migration und einer heterogenen Gesellschaft eine Absage erteilt – Immigration und Multikulturalismus gefährdeten demnach den Fortbestand des Tiroler Volkes. »Frei.Wild« geht aber noch einen Schritt weiter; als Referenz für ihren Liedtext wird eine Gedenktafel für den terroristisch agierenden »Befreiungsausschuss Südtirol« mit der Inschrift »Sie lebten für die Freiheit und Einheit Tirols/Ihre Opfer bleiben uns Verpflichtung« eingeblendet.

»Politik des Unpolitischen«
Um Kritik an der Band abzuwehren, wird die wenig originelle Behauptung des »Unpolitischen« in Stellung gebracht. Der Versuch, sich ein unpolitisches Image zu geben, hat zweierlei Gründe: Einerseits kann er als »reine Schutzbehauptung« gewertet werden, um sich gegen Vorwürfe aus dem eigenen Publikum zu immunisieren, dadurch finanzielle Einbußen zu minimieren und zugleich das Publikum zu maximieren. Andererseits entspricht die unpolitische Bezeichnung angeblich der Selbstwahrnehmung. Beispielsweise beschreibt Sänger Philipp Burger in einem Videobeitrag (»Klare Worte«, Herbst 2012) die Identitätssuche des Menschen als natürliches Streben nach nationaler Identität, wonach ein positiver Bezug zu Heimat und Volk ein natürlicher Drang und somit vollkommen unpolitisch sei. Angesichts der seit Jahrzehnten mit großer Intensität geführten Auseinandersetzung um den Status von Südtirol – in den 1960er Jahren gab es auf Seiten der italienischen Behörden sowie der SeparatistInnen zahlreiche Tote – gewinnen Begriffe wie Heimatliebe, Volk und Patriotismus im Diskurs um die Unabhängigkeit Südtirols einen enormen politischen Gehalt. Das kann Philipp Burger nicht entgangenen sein, insofern sind seine Ausführungen zum »unpolitischen« Charakter der Band und deren Liedtexte wenig geeignet, Erhellendes zu der Debatte beizutragen.

Freund-Feind-Denken
Ein stark polarisierendes Freund-Feind-Denken bildet den Kern des negativistischen Identitätsangebotes. Die Konstruktion des Feindes richtet sich allgemein gegen den »linken Mainstream« und schließt sämtliche JournalistInnen und Institutionen (antifaschistische Initiativen, Bands und Parteien) ein, die kritisch über »Frei.Wild« berichten. Laut Sänger Burger bilden sie eine »Anti-Frei.Wild-Liga«, die sich gegen die Band verschworen hat. Das Lied »Gutmenschen und Moralapostel« (2012) charakterisiert das konstruierte Feindbild mustergültig: »Ich scheiß auf Gutmenschen, Moralapostel/Selbsternannt, political correct/Der die Schwachen in die Ecke stellt/Und dem Rest die Ärsche leckt«. Aus Geldgier würden kritisch berichtende JournalistInnen »nur Hass« schüren: »Sie richten über Menschen, ganze Völker sollen sich hassen/Nur um Geschichte, die noch Kohle bringt, ja nicht ruhen zu lassen«. Mit ihrer eingängigen Rockmusik vertont »Frei.Wild« das, was im rechten Spektrum – sei es der Stammtisch oder die diversen Publikationen – Minimalkonsens ist: der Hass auf »politische Korrektheit«, die ganze Gesellschaften zu SklavInnen von Minderheiten mache und die natürliche Ordnung abschaffen möchte, der Hass auf Linke und auf KritikerInnen, die als Spaltpilze agierten und daraus finanzielle Vorteile zögen. Dass die Band, die sich hier als »die Schwachen in der Ecke« bezeichnet, mit ihrer Heimatduselei und Beleidigungen einen beträchtlichen Umsatz erzielt, bleibt selbstverständlich unerwähnt. Last but not least darf die »Nazikeule« nicht fehlen. In »Schlagzeile groß, Hirn zu klein« (2013) wird das Markenzeichen des konstruierten Feindes, die »Nazikeule«, beschrieben: Jede Form der Heimatliebe werde automatisch als »rechtsextrem« eingestuft. Mit der »Nazikeule« übten vor allem JournalistInnen nicht nur an »Frei.Wild« Kritik, sondern allgemein an Menschen mit einem »gesunden Patriotismus«. Dies führe zur Tabuisierung der Heimatliebe, die von »Frei.Wild« ebenso wie die »Nazikeule« selbst konstruiert wird.

Opferstilisierung
Eng verknüpft mit der Freund-Feind-Konstruktion ist die Opferstilisierung: Der »linke Mainstream« habe sich gezielt »Frei.Wild« als »Feindbild Nr. 1« ausgesucht, um sie in den finanziellen Ruin zu treiben. Die Ursache für ihre Opferrolle sieht die Band in ihrem Mut, »unangenehme Wahrheiten« auszusprechen. Im Lied »Wir reiten in den Untergang« (2012) setzt die Band ihre angebliche Verfolgung mit der industriellen Ermordung von Juden und Jüdinnen im Nationalsozialismus gleich. Die Folge ist eine Verharmlosung des Holocaust: »Nichts als Richter, nichts als Henker/Keine Gnade, und im Zweifel nicht für dich/Heut gibt es den Stempel keinen Stern mehr/Und schon wieder, lernten sie es nicht«. Laut »Frei.Wild« soll das Lied »auf provokative und (…) übertriebene Art und Weise (…) wachrütteln und zeigen, wie schnell sich die Geschichte wiederholen« könne.

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Extremismus
Der Vorwurf, die KritikerInnen würden mit der »Nazikeule« die Meinungsfreiheit der Musiker missachten, ist wesentlicher Bestandteil der Kon­struktion einer guten Mitte zwischen den beiden (wiederholt als »politische Übermotivation« umschriebenen) Polen »Links- und Rechtsextremismus«. Während »Frei.Wild« »für Menschlichkeit, Toleranz, Meinungsfreiheit und vor allem gegen jede Form der Ausgrenzung« stehe, gipfeln Zuordnungen zum »Linksextremismus« gelegentlich in Faschismusvorwürfen: »Wer andere Meinungen nicht zulässt, ausgrenzt, ausschließt (…), braucht nicht über den Faschismus schimpfen, denn er lebt ihn selbst«. Zwischen den beiden konstruierten Extremen sieht die Musikgruppe keinen Unterschied; stattdessen gilt die eigene Positionierung als gesunde Mitte. Als wichtiges Beispiel für die Gleichwertigkeit der Extreme dient die 2012 gestartete Kampagne »Frei.Wild gegen Rassismus und Extremismus«.

Wir sind Südtirol
Das von »Frei.Wild« konstruierte Identitätsangebot ist breit gefächert. Ihre HörerInnen bekommen viele Anknüpfungspunkte für die eigene Identität. Maßgebend ist jedoch das Bild vom unterdrückten Underdog, der sich gegen seine VerschwörerInnen zur Wehr setze. Das sind, in Verbindung mit einer auf Herkunft basierenden Identität bei ständiger Negierung der politischen Dimension des eigenen Tuns, vorgetragen mit der rebellenhaften Attitüde der Rockmusiker im musikalischen Mainstream angekommene rechte Einstellungen.