Nazi-Netzwerke

von Matthias Jakubowski
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 196 - Mai | Juni 2022

#Razzien

»Größte Razzia gegen Rechtsextreme seit 1945: Welche Orte in Baden-Württemberg betroffen sind«. So informierte der Südkurier am 6. April 2022 seine Leser*innen über an diesem Tag stattfindende Durchsuchungen gegen landesweit bekannte Neonazis. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem harten Schlag gegen die extrem rechte und rechtsterroristische Szene in Deutschland und dankte den über 1.000 eingesetzten Polizeikräften von Landespolizeien, Bundeskriminalamt, Bundespolizei sowie deren Spezialeinheit GSG 9.

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Leon Ringl bei seiner Festnahme am 29. August 2020 von »Querdenken« in Berlin. Nachdem die Polizei die Straße vor der russischen Botschaft gesperrt hatten versuchten sie zusammen mit Coronaleugner*innen durchzubrechen. © Mark Mühlhaus / attenzione

Entnazifizierung 2.0
An diesem Tag wurden im Zuge von Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen insgesamt 46 Beschuldigte aus vier neonazistischen Gruppierungen in elf Bundesländern über 60 Objekte durchsucht. Vier Personen sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Leon Ringl, Maximilian Andreas, Eric Krempler und Bastian Adam zählen für die Bundesanwaltschaft zu den führenden Figuren der extrem rechten Kampfsportgruppierung »Knockout 51«. Zusätzlich gab es bei zehn weiteren mutmaßlichen Mitgliedern oder Unterstützern der Gruppe Durchsuchungsmaßnahmen. Die Gruppe war in den letzten Jahren insbesondere im thüringischen Eisenach aktiv, wo ihre Mitglieder in den Räumlichkeiten der NPD-Landesgeschäftsstelle »Flieder Volkshaus« gemeinsam Kampfsport trainierten und versuchten, einen »Nazi-Kiez« zu etablieren. Seit Beginn der »Corona-Proteste« beteiligten sich Mitglieder wiederholt an Angriffen auf Gegendemonstrant*innen und die Polizei. Leon Ringl betreibt zudem seit Juli 2019 die rechte Szene-Kneipe »Bulls Eye«. Gegen Ringl sowie neun weitere Beschuldigte ermittelt die Bundesanwaltschaft außerdem wegen der versuchten Mitgliedschaft oder der Unterstützung der terroristischen Vereinigung »Atomwaffen-Division Deutschland« (AWDD). Die Gruppierung habe unter anderem durch Flugblattaktionen an den Universitäten in Berlin und Frankfurt am Main versucht, Unterstützer*innen zu gewinnen. Die Anfänge der im Jahr 2015 gegründeten »Atomwaffen-Division« (AWD) liegen in den USA. Ihre Ideologie basiert maßgeblich auf dem Buch »Siege« des US-Neonazis James Mason. Mason propagiert darin den Aufbau klandestiner Terrorzellen, die durch die Begehung von Anschlägen auf BPOC, Migrant*innen, Jüd*innen und Muslim*innen einen »Rassenkrieg« herbeiführen sollen. Seit ihrer Gründung wurden in den USA bereits fünf Menschen von »AWD«-Mitgliedern ermordet. Der deutsche Ableger trat erstmals Mitte 2018 mit Internetaktivitäten in Erscheinung.

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Bastian Adam beim gleichen Event von »Querdenken« in Berlin. © Mark Mühlhaus / attenzione


Ebenfalls hauptsächlich in Chatgruppen aktiv waren die nun von der Bundesanwaltschaft durchsuchten fünf Mitglieder der terroristischen Vereinigung »Sonderkommando 1418«. Ihnen wird die Planung von Anschlägen zur Herbeiführung eines neofaschistischen Systems vorgeworfen. Dabei folgen auch die Mitglieder von »SKD 1418« der »Siege-Ideologie«, die von den Sicherheitsbehörden als verbindendes Element bezeichnet wird. Die vierte Gruppierung, gegen die sich die Maßnahmen richteten, ist die im Oktober 2020 verbotene neonazistische Vereinigung »Combat 18 Deutschland« (C18). Insgesamt wird 21 Personen vorgeworfen, C18 im Verborgenen organisatorisch weitergeführt zu haben. Darunter befinden sich unter anderem die langjährigen Führungspersönlichkeiten Robin Schmiemann und Stanley Röske.

Netzwerke zerschlagen
Zu vielen der nun Durchsuchten gibt es seit Jahren ausführliche, auf antifaschistischer Recherche gründende Berichte. Beiträge der »Antifaschistischen Gruppen Südthüringen« und »EXIF-Recherche« haben über Jahre detailliert die Strukturen von »Knockout 51« und C18 offengelegt. Weitere Journalist*innen berichten seit 2018 über die Aktivitäten von AWD und AWDD. Die besondere Gefährlichkeit der Gruppierungen steht außer Frage. Gefragt werden muss daher eher, warum erst jetzt zugeschlagen wird und welche Rolle der von der Innenministerin am 15. März 2022 vorgestellte »10-Punkte-Plan« dabei spielt. Nancy Faeser beschreibt darin nichts Geringeres als die seit Jahren von Antifaschist*innen und Expert*innen erhobene Forderung nach einer Zerschlagung und Entwaffnung extrem rechter Netzwerke. Die nun durchgeführte Aktion könnte ein Anfang sein. Allerdings bedarf es dazu mehr als eines Schlags gegen derart offen agierende Personen und Strukturen.

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Offene Fragen
Nicht geklärt scheint bisher unter anderem die Frage, ob die Maßnahmen sich tatsächlich gegen alle mutmaßlich in Deutschland agierenden Mitglieder der AWD richteten. Ebenso wenig klar ist, ob die Ermittlungsbehörden tatsächlich bereit sind, die Netzwerke in dieser Tiefe zu ermitteln und auch so vor Gericht zu bringen. Schon im Dezember 2020 wurde in Bayern ein junger Neonazi zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Fabian D. hatte Anschläge auf muslimische und jüdische »Orte der Andacht« geplant. Dabei soll er innerhalb einer mutmaßlichen nord-osteuropäischen AWD Ausgründung mit dem Namen »Feuerkrieg-Division« (FKD) eine führende Rolle eingenommen haben. Die FKD ruft ebenfalls zum »Rassenkrieg« und zu Anschlägen auf Synagogen und Moscheen auf. Journalist*innen vorliegende Chatprotokolle legten damals den Verdacht nahe, dass Fabian D. nicht das einzige in Deutschland agierende Mitglied der FKD war. Auch im Jahr 2022 scheint die FKD, die offenbar nicht Gegenstand der aktuellen Ermittlungen der Bundesanwaltschaft ist, noch in Deutschland aktiv zu sein. So tauchten zu Beginn des Jahres in Berlin gleich an mehreren Orten Plakate mit dem Logo der Gruppierung auf. Hier wurde offensichtlich versucht, neue Mitglieder zu rekrutieren.

Am 31. März 2022 erhob die Bundesanwaltschaft zudem Anklage wegen versuchter Gründung einer weiteren rechtsterroristischen Vereinigung. Unter dem Namen »Atomwaffen-Division Hessen« soll der aus dem nordhessischen Spangenberg stammende Marvin E. das Ziel verfolgt haben, einen »Rassen- und Bürgerkrieg »in Deutschland herbeizuführen. Dafür soll er ab Sommer 2021 versucht haben, Mitglieder zu werben. Wie weit fortgeschritten seine Pläne waren, lassen die während der Durchsuchung bei ihm aufgefundenen 600 Kleinsprengkörper sowie sechs sogenannte unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) erahnen. Das in den USBV gefundene Sprengmaterial soll dabei eine Sprengkraft besessen haben, die mit dem Wirkungsgrad eines militärischen Sprengstoffs vergleichbar sei. Inwiefern Marvin E. mit anderen Mitgliedern der AWDD oder der FKD vernetzt war oder ob hier das von der AWD propagierte Konzept der klandestinen Zellen aufgeht, muss durch die Sicherheitsbehörden dringend aufgeklärt werden. Zweifel mit Blick darauf, wie umfassend am 6. April tatsächlich gegen mutmaßliche Mitglieder der AWDD vorgegangen wurde, bestehen auch mit Blick auf Süddeutschland.

Wie »Allgäu Rechtsaußen« berichtete, soll der Bezüge zur AWD aufweisende und in Lindau wohnende Patrick G. nicht Gegenstand der Durchsuchungsmaßnahmen gewesen sein. G. soll in der Vergangenheit Kontakte zu Trainingscamps extrem rechter Organisationen in Osteuropa vermittelt haben und in Chatgruppen mit AWD-Bezug aktiv gewesen sein. Weiter ist fraglich, weshalb neben den vier Mitgliedern von »Knockout 51« bis heute keine weiteren Personen aus den Gruppierungen AWDD oder auch »Sonderkommando 1418« in Untersuchungshaft sitzen. Auch erscheint nicht schlüssig, weshalb das Bundesministerium des Innern auf seiner Webseite mit Stand Ende April 2022 immer noch behauptet, es gäbe keine Hinweise darauf, dass es sich bei C18 um den bewaffneten Arm der im Jahr 2000 in Deutschland verbotenen Vereinigung »Blood & Honour« handele. Recherchen weisen seit Jahren eindeutig auf das Gegenteil hin. In diesem Zusammenhang müssen die Sicherheitsbehörden deren international agierendes Netzwerk sowie die Verbindungen zu den »Hammerskins« stärker in den Blick nehmen.