Nach dem Putschversuch

von Carl Kinsky
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 196 - Mai | Juni 2022

#USA

Die Bestrebungen von Donald Trump nach der Präsidentschaftswahl 2020 an der Macht zu bleiben, gipfelten im Angriff auf den Kongress am 6. Januar 2021. Seitdem stehen militante rechte Gruppen im Fokus der Strafverfolgungsbehörden. Gegen mehr als 800 Personen wurde Anklage erhoben, darunter die Anführer der »Proud Boys« und »Oath Keepers«. Auch Abgeordneten drohen rechtliche Konsequenzen.

Der Putschversuch gegen die Wahl von Joe Biden zum Präsidenten am 6. Januar 2021 hatte zwei unterschiedliche Komponenten: eine legislative und eine außerparlamentarische. Auf der legislativen Ebene versuchten republikanische Abgeordnete die Wahlzeremonie zu verhindern, indem sie die Stimmabgabe von Wahlpersonen ablehnten und die Entscheidung über den Wahlausgang in einzelnen Bundesstaaten an Landtage mit republikanischer Mehrheit zurückreichen wollten. Diese hätten dann neue Wahlpersonen bestimmen können, die entgegen dem Wähler*innenwillen für Trump gestimmt hätten.


Zugleich propagierten sie bereits vor der Präsidentschaftswahl im November 2020 die Möglichkeit eines vermeintlichen Wahlbetrugs, wonach Donald Trump die Wahl nur durch Betrug verlieren könne. Eine Lüge, die nach Trumps Wahlniederlage zur Mobilisierung gegen den demokratischen Machtwechsel genutzt wurde. Gleichzeitig wurden alle, die Trumps Wahlbetrugsposse nicht mittragen wollten, zu »Landesverräter*innen« und »Volksfeind*innen« erklärt. Trump-Anhänger*innen mobilisierten zu einer entscheidenden Kundgebung am 6. Januar. Aufgeheizt von Trump, der dazu aufrief das Kapitolgebäude aufzusuchen, mündete die Kundgebung in die gewaltsame Erstürmung des Gebäudes. Dabei wurden Abgeordnetenbüros aufgebrochen, Diebstahl begangen und der Plenarsaal, in dem die Wahlzeremonie stattfand, übernommen. Abgeordnete und Regierungsmitglieder mussten evakuiert werden, fünf Menschen starben, 140 Polizist*innen und zahlreiche Trump-Fans wurden verletzt.
Auf die Erstürmung des Kapitolgebäudes hatten sich Gruppen wie die »Proud Boys« und »Oath Keepers« bereits im Vorfeld vorbereitet. Sie bildeten die Vorhut beim Angriff. Zentral für ihre Eigenlegitimation war dabei das Narrativ, die Wahlniederlage Trumps sei in Wahrheit ein »Putsch von Links«.

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»Stand back and stand by«
Bei einer Fernsehdebatte im September 2020 zeigte Trump seine Bereitschaft, auf die direkte Mobilisierung extrem rechter Gruppierungen zu setzen, um sich mit allen Mitteln im Amt zu halten. »Haltet euch zurück und steht bereit«, sagte Trump in Richtung der gewaltorientierten »Proud Boys«. Dadurch erfuhr die 2016 vom Medienmacher Gavin McInnes gegründete Bruderschaft, die zuvor primär durch Angriffe auf Linke auf sich aufmerksam machte, eine öffentliche Aufwertung. Als Trump die Wahl im November verlor, nahmen sie sich dessen Aufforderung zur Tat zu Herzen.

Laut Anklage des Justizministeriums wurde im Dezember 2020 eine neue Gruppe gegründet, das »Ministry of Self Defense« (»Selbstverteidigungsministerium«), zur Koordination von Protesten gegen die Wahlzeremonie am 6. Januar. Hierüber wurde im Vorfeld der Angriff der Gruppe auf das Kapitolgebäude koordiniert. Am 6. Januar sammelten sich um die 100 »Proud Boys«, um gezielt Polizeiabsperrungen – unter anderem durch den Einsatz von Pfefferspray – zu überwinden und schließlich durch ein aufgebrochenes Fenster in das Gebäude zu gelangen und die Wahlzeremonie zu verhindern.

Bereits Ende Januar 2021 wurden mehrere »Proud Boys« von der Bundespolizei verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Im März 2022 wurde schließlich Enrique Tarrio aus Florida verhaftet, der seit 2018 die Gruppe anführt, selbst aber nicht an der Erstürmung teilnahm. Er hatte wegen Straftaten bei Protesten in der Hauptstadt vor dem 6. Januar ein Aufenthaltsverbot erhalten. Doch Tarrio traf sich am 5. Januar in einer Parkgarage in Washington für ein halbstündiges Gespräch mit Stewart Rhodes, dem Anführer der ebenfalls an dem Angriff beteiligten Miliz »Oath Keepers«. Beschlagnahmte Chatverläufe zeigen, dass die »Oath Keepers« unter anderem ein Bündnis mit den »Proud Boys« und der »Three Percenters«-Miliz anstrebten.
Insgesamt wurde bisher Anklage gegen mindestens 21 Männer und eine Frau erhoben. Ihnen wird vor allem die Verschwörung zu einer Straftat vorgeworfen. Im Dezember 2021 gestand Matthew Greene seine Schuld, er sagt seitdem gegen Mitangeklagte aus. Er erhielt eine bis zu 51-monatige Haftstrafe und eine Geldstrafe von 2.000 US-Dollar. Im April 2022 gestand auch Charles Donohoe, Anführer im Bundesstaat North Carolina, seine Schuld. Ihm droht nun eine mehrjährige Haftstrafe.

»Krieg gegen China«
Die »Oath Keepers« wurden 2009 von Elmer Stewart Rhodes als Sammlungsbewegung gegen die Präsidentschaft von Barack Obama ins Leben gerufen. Mit etwa 5.000 Mitgliedern ist sie eine der größten Gruppen innerhalb der Milizbewegung. Dabei handelt es sich mehrheitlich um ehemalige und aktive Militär- und Polizeibeamt*innen, die schwören, ihren Amtseid zu leisten und nicht den Befehlen einer »tyrannischen Regierung« zu gehorchen. Im Dezember 2020 verfasste Rhodes einen Beitrag auf der Website der Gruppe, der schnell in rechten Kreisen die Runde machte. Darin liefert Rhodes eine ideologische Begründung für einen Putsch: Man befinde sich »im Krieg gegen das kommunistische China« und dessen »amerikanische Agenten« sowie gegen eine »internationale Elite«. China habe die USA unterwandert und wolle durch Wahlbetrug Joe Biden und Kamala Harris ins Weiße Haus setzen, Trump müsse nun das Kriegsrecht verhängen, um das zu verhindern. Die Miliz würde ihn unterstützen. »Gestehe keine Niederlage ein und warte nicht bis zum 20. Januar. Schlag jetzt zu!«, so der Aufruf an Trump.

»Oath Keepers« legten in einem Hotel in der nahegelegenen Stadt Alexandria ein Schusswaffenlager an, das von Edward Vallejo bewacht wurde. Auf ein Signal hin sollte er die Waffen mit einem Boot über den Fluss in die Hauptstadt schmuggeln.
Bei der Erstürmung des Kapitolgebäudes gingen die Milizionäre koordiniert vor: Sie kleideten sich in militärähnlichen Uniformen, begaben sich gezielt nach vorn, um Polizeikräfte anzugreifen und in das Gebäude einzudringen. Im Gebäude tauschten sie sich über den möglichen Schutz des texanischen Abgeordneten Ronny Jackson aus. Dieser wiederum behauptet, keinen Kontakt zur Miliz gehabt zu haben.

Im Januar 2022 wurden Stewart Rhodes und zehn weitere Mitglieder von der Bundespolizei verhaftet. Ihnen wird »seditious conspiracy«, das heißt die Verschwörung zu einem Aufstand gegen den Staat vorgeworfen. Ihnen droht bei einer Verurteilung eine bis zu 20-jährige Haftstrafe. Acht weitere Mitglieder der Miliz werden in getrennten Verfahren angeklagt. Als 1988 Führungsfiguren der extremen Rechten wie Louis Beam und 2010 die »Hutaree«-Miliz wegen »seditious conspiracy« angeklagt wurden, scheiterten die Verfahren. Allerdings haben die Angeklagten Joshua James, Brian Ulrich und William Todd Wilson ihre Schuld bereits gestanden und sich zur Kooperation im weiteren Verfahren bereit erklärt. Fünf weitere Angeklagte, darunter Vallejo, haben weniger schwerwiegende Vorwürfe eingeräumt.

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»This is our 1776 moment«
Seit Juli 2021 versucht eine parlamentarische Untersuchungskommission, die Rolle von Politiker*innen, Milizen und Trump beim Putschversuch aufzuklären. Während die Ergebnisse der Untersuchung noch ausstehen, kommt es parallel zu zivilrechtlichen Klagen. Am 5. Januar 2021 sagte die rechtsradikale republikanische Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Greene aus Georgia auf dem Nachrichtensender »Fox News«, »unser 1776-Moment« sei gekommen – 1776 erklärten die heutigen USA ihre Unabhängigkeit von der britischen Regierung. Greene ruft also dazu auf, revolutionäre Gewalt einzusetzen. Die Abgeordnete war eine führende Figur bei dem Versuch, die Wahlzeremonie mit parlamentarischen Mitteln zu verhindern. Etwas mehr als die Hälfte der republikanischen Abgeordneten (insgesamt 147) stimmte gegen die Zertifizierung der Wahl. Im Vorfeld rief Greene immer wieder dazu auf, sich gegen den Wahlausgang zu wehren. Ihre Aufrufe könnten aufgrund einer Klage als strafbar eingestuft werden, denn das Bundesrecht sieht politische Ämtersperren für jene vor, die zu einem Aufstand gegen die Regierung aufrufen oder diesen unterstützen. Allerdings wurde eine ähnliche Klage gegen den Trump-nahen Kongressabgeordneten Mo Brooks aus Alabama bereits abgewiesen, während Entscheidungen bei vielen weiteren Klagen – auch gegen Trump – ausstehen. Ein Blick in die Geschichte der USA zeigt aber, dass Amtsverbote nur von kurzer Dauer sind: Trotz einer Ämtersperre für Konföderierte nach dem Bürgerkrieg erlangten sie bald wieder politische Ämter. Ihre Macht beruhte auch auf der Mobilisierung weißer Mobs und Milizen. Zuletzt erhielt der erste sozialistische Kongressabgeordnete, der österreichische Einwanderer Victor Berger aus Milwaukee, 1919 im Zuge antikommunistischer Repression eine Ämtersperre. 1921 wurde dieses Urteil aufgehoben und Berger zwischen 1923-1929 erneut Abgeordneter.

Da Republikaner*innen zunehmend eine autoritäre Demokratie mit starker Präsidialmacht anstreben, ist davon auszugehen, dass republikanische Putsch-Unterstützer*innen weiterhin gewählte Abgeordnete bleiben werden. Ihre Wähler*innen unterstützen sie nicht trotz, sondern wegen ihrer Haltung zum Putschversuch. Umfragen des Pew Research Centers zufolge lehnen 79 Prozent der befragten Republikaner*innen parlamentarische Untersuchungen zum Angriff auf den Kongress als voreingenommen ab, 38 Prozent empfinden die bisherigen Strafen für die Erstürmung des Kapitolgebäudes als übertrieben. 44 Prozent wollen Trump 2024 wieder zum Präsidenten wählen.