AfD: Heteronormativ statt homofeindlich

von Tanja Gäbelein
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 194 - Januar | Februar 2022

#Homosexualität

Die Verfolgung männlicher und die Negation weiblicher Homosexualität waren lange Zeit Konsens in der bundesdeutschen Gesellschaft wie auch in der extremen Rechten. 1994 wurde der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches endgültig gestrichen, 2001 wurde die eingetragene Lebenspartnerschaft eingeführt und 2017 die Ehe für homosexuelle Paare erlaubt.

In ihrer familien- und geschlechterpolitischen Programmatik äußert sich die »Alternative für Deutschland« (AfD) selten offen homofeindlich, sondern, wie es der Kulturwissenschaftler Patrick Wielowiejski formuliert, »heteronormativ«. So erklärt die Partei in ihrem Europa-Wahlprogramm 2019: »Alle Personen haben das Recht, ihren Lebensstand frei zu wählen. Andere Formen des Zusammenlebens als die Ehe zwischen Mann und Frau sind zu respektieren, damit aber weder gleichzusetzen noch zu fördern.« Dieses Zitat zeigt eine gewisse Anerkennung von homosexuellen Lebensweisen, was gleich darauf jedoch durch den Hinweis eingeschränkt wird, Homosexualität könne niemals ein gleichberechtigter Teil der Norm sein. Sie soll freilich, wie es die AfD Sachsen formuliert, »nicht mehr Raum einnehmen, als sie im Alltagsleben hat«. Homosexuellen Lebensweisen wird damit eine randständige Existenz zugewiesen, die sich unterzuordnen habe.

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Leitbild der heterosexuellen Mehrkinderfamilie
Das Bekenntnis zum Leitbild der Familie aus Mutter, Vater und mehreren Kindern steht seit 2017 im Zentrum der Familienprogrammatik der AfD in den verschiedenen Landes-, Europa- und Bundeswahlprogrammen. Familien sollen als »Keimzelle der Gesellschaft« die biologische und kulturelle Reproduktion des deutschen Volkes als Abstammungs- und Wertegemeinschaft langfristig garantieren. Im Programm zur Bundestagswahl 2021 bekennt sich die Partei überdies zum »Leitbild der 3-Kind-Familie (sic!)« , um dem demografischen und »ethnisch-kulturellen« Wandel entgegenzuwirken: »Mehr Kinder statt Masseneinwanderung«, hatte die Partei bereits 2016 in ihrem Grundsatzprogramm formuliert. Diese Losung richtet sich sowohl gegen migrantische und migrantisierte Familien als auch gegen Regenbogenfamilien.

Ablehnung des Adoptionsrechtes für homosexuelle Paare
Die AfD fordert in ihrem Europa-Wahlprogramm 2019, die »privilegierte Position von Vater und Mutter (müsse) im Hinblick auf den Schutz des Kindeswohls (…) in vollem Umfang erhalten werden«. Imaginierten »Adoptionsquoten für gleichgeschlechtliche Paare« hält sie entgegen, Kinder seien »keine Objekte der Bedürfnisbefriedigung, sondern eigenständige Persönlichkeiten mit individuellen Rechten«.
Der Verweis auf den vermeintlichen Schutz des Kindeswohls dient der Partei als moralische Waffe zur Legitimierung der eigenen Ablehnung von homosexueller Elternschaft. Rhetorisch wird eine Nähe zwischen Homosexualität und Pädophilie hergestellt, wie sie in christlich-konservativen und extrem rechten Kreisen immer wieder behauptet wird und vor der es die Kinder zu schützen gelte. Und auch jenseits des Pädophilie-Vorwurfs wird schlicht behauptet, Kinder bräuchten Mutter und Vater, ohne dies näher zu begründen oder gar die Situation von Kindern aus Regenbogenfamilien miteinzubeziehen.
Die Ablehnung homosexueller Elternschaft gründet sich auf der verbreiteten Ansicht, Familie sei dort, wo Kinder sind. Die zunehmende rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Normalisierung von Regenbogenfamilien stellt aus dieser Perspektive die Hegemonie der heterosexuellen Mehrkinderfamilie infrage. An der Frage der Kinder entscheidet sich also die von der AfD eingeforderte Unterscheidung von Homosexualität als akzeptierte, aber deviante Lebensform oder die abgelehnte Toleranz von Homosexualität als Teil der kulturellen Norm. Eben diese (statisch imaginierte) Norm sieht die AfD durch eine kulturkämpferische Gender-Bewegung bedroht. Aufgrund der antifeministischen Konstruktion eines omnipotenten, die heterosexuelle Norm bedrohenden Feminismus schlägt Patrick Wielowiejski die verfremdete Schreibweise »/G/ender« vor. Diese stellt die in antifeministischen Kreisen verbreitete Aussprache mit /g/ als Anlaut heraus und macht deutlich, dass es sich hierbei um eine (extrem) rechte Umdeutung, nicht aber um das soziologische Konzept »Gender« handelt.

Feindbild »Gender«
Aktuelle antifeministische Strategien aufgreifend beklagt die AfD einen Kulturkampf, der die Auflösung von Cis-Geschlechtlichkeit und Heterosexualität sowie die Zerstörung der heterosexuellen Mehrkinderfamilie zum Ziel habe. Diesen Kampf verortet die Partei sowohl in gleichstellungspolitischen Projekten als auch in den Gender Studies, in gendersensiblen Sprachregelungen, in der Sexualpädagogik der Vielfalt und in der 2017 beschlossenen Ehe für homosexuelle Paare. Gender wird dabei als omnipotente (homosexuelle) Macht konstruiert, gegen welche die eigene Freiheit behauptet werden müsse.
Diese imaginäre Umkehrung der Machtverhältnisse ermöglicht es der AfD, sich weiter vehement auf das Leitbild der heterosexuellen Mehrkinderfamilie zu beziehen und eine vermeintliche Opferposi­tion einzunehmen. Überdies erlaubt die Konstruktion des Feindbildes Gender der Partei eine Trennung zwischen »guten« Homosexuellen, die die Norm nicht infrage stellen, und »schlechten« Queers, die die soziale Ordnung bedrohen würden. Auf diese Weise kann die Partei dem Vorwurf der Homofeindlichkeit – mit den Worten des neu-Rechten Martin »Lichtmesz« Semlitsch ein »zentraler Hebel im homosexuellen Kulturkampf« – wirkungsvoll begegnen.

Islamfeindliche Homofreundlichkeit
Neben Gender ist auch der Islam im Kontext Homosexualität ein wichtiges Feindbild der AfD. Vor diesem gelte es, die »guten« Homosexuellen zu schützen. Homofeindlichkeit wird in den Programmen der AfD ausschließlich in Abgrenzung zu einem als homogen und homofeindlich konstruierten Islam thematisiert. In diesem Zusammenhang wird die Akzeptanz von Homosexualität, die zuvor in enge Schranken verwiesen wurde, zu einem vermeintlich »nationalen Wert«, den es gegenüber dem muslimischen Anderen zu verteidigen gelte. Diese Akzeptanz homosexueller Lebensweisen bleibt dabei stets prekär und an diverse Bedingungen geknüpft.

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Homosexuelle Mitglieder in der AfD
In der AfD gibt es diverse offen homosexuelle Mitglieder, sowohl an der Parteibasis als auch in der Führungsriege. Manche von ihnen waren oder sind Teil einer explizit homosexuellen Parteigruppierung, viele haben sich jedoch dagegen entschieden, da sich ihre Handlungsmöglichkeiten und -grenzen mit der Einnahme einer kollektiven homosexuellen Sprecher*innenposition verändern.
Die erste dezidiert homosexuelle Gruppierung in der Partei war die »Bundesinteressengemeinschaft Homosexuelle in der AfD« (BIG), die von 2014 bis 2017 existierte. Die BIG hatte sich zunächst dafür eingesetzt, die AfD solle die Volladoption für homosexuelle Paare fordern. Diese Forderung stieß in der Partei auf viel Kritik und wurde nach Bernd Luckes Austritt 2015 nicht mehr offen formuliert. Stattdessen sah es der damalige Sprecher Mirko Welsch 2016 als Aufgabe der BIG an, die AfD gegen den Vorwurf der Homofeindlichkeit zu verteidigen und homosexuelle Wähler*innen zu gewinnen. Zentrale Themen der BIG waren zu dieser Zeit die vermeintliche Islamisierung als Gefahr für Homosexuelle und trans* Personen sowie die Ablehnung von Gender. Bei den Themen Ehe und Familie herrschte Uneinigkeit in der BIG. Während einige Mitglieder lediglich den Status quo erhalten wollten, erklärte Welsch, man müsse die heterosexuelle Kleinfamilie schützen. Die BIG setze sich aber dennoch für ein Ende der Diskriminierung von Alleinerziehenden, Patchwork- und Regenbogenfamilien ein. Im Januar 2017 spalteten sich schließlich jene BIG-Mitglieder ab, die dem völkisch-nationalistischen »Flügel« nahestanden. Sie gründeten die »schwul-lesbische Plattform«, aus der schließlich die »Alternative Homosexuelle« (AHO) hervorging.


Die AHO ersetzt die BIG in Fragen der homosexuellen Ablehnung von Gender, insbesondere der gleichgeschlechtlichen Ehe und des ­Adoptionsrechtes. Zudem betreibt sie aktiv eine homonationalistische Abwertung eines als homofeindlich begriffenen Islams in Abgrenzung zur vermeintlich homofreundlichen deutschen ­Nation. Kritik an parteiinterner Homofeindlichkeit findet sich hier nicht. Stattdessen positioniert sich die AHO offensiv im nationalen »Wir«: »Denn Schwulen und Lesben liegt Deutschland genau so sehr am Herzen wie jedem anderen liebenden Menschen mit einem Bezug zu Familie, Heimat und Nation!« Im Gegenzug bekommt die AHO Unterstützung durch die Parteiführung, etwa durch einen Besuch des ehemaligen Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen auf ihrer Jahrestagung 2018.
Es ist dabei sicherlich kein Zufall, dass dieser Besuch durch den vermutlich heterosexuellen Jörg Meuthen und nicht durch die offen lesbische Co-Vorsitzende Alice Weidel erfolgte. Deren Distanz zu politisch organisierten Homosexuellen erlaubt es ihr, eine andere Sprecher*innenposition in der Partei einzunehmen.

Homosexuelle Einzelpersonen in der AfD
Ähnlich wie es Aufgabe der BIG und der AHO war und ist, die Partei vor dem Vorwurf der Homofeindlichkeit zu schützen, scheint dies auch ein Anspruch von nicht-organisierten homosexuellen Einzelpersonen in der AfD zu sein. Besonders medienwirksam tat dies Weidel 2017 bei einer Wahlkampfrede in Viernheim. Nach ihrem dortigen Outing fragte sie die anwesenden Parteiunterstützer*innen in betont sarkastischem Ton: »Jemand hier, der mich hasst? Nein? Kein einziger hier, der es nicht erträgt, dass ich mein Leben mit einer Frau verbringe? Puh, vielen Dank.«
Zudem betonen offen homosexuelle AfD-Politiker*innen stets die vermeintliche Bedrohung homosexueller Menschen durch die steigende Zahl von Muslim*a in Deutschland und spielen die anhaltende Homofeindlichkeit unter christlichen Deutschen herunter. So erklärte der stellvertretende Vorsitzende der NRW-Landtagsfraktion Sven Tritschler 2017, die »völlig fehlgeleitete Migrations- und Integrationspolitik (setze Homosexuelle) nämlich Gefahren aus, die eine Verurteilung nach § 175 geradezu harmlos erscheinen lassen«.


Auch bemühen sich homosexuelle AfD-Politiker*innen um die Gewinnung homosexueller Wähler*innen. Weidel ließ sich im Wahlkampf 2017 mit den Worten zitieren: »Die AfD ist die einzige echte Schutzmacht für Schwule und Lesben in Deutschland.«
Ein Unterschied zu den Möglichkeiten und Grenzen homosexueller Gruppierungen in der AfD zeigt sich bei der Thematisierung von Ehe und Familie. Diesbezüglich erklärte Weidel, sie »ganz persönlich begrüße jede Verbesserung der Rechte für gleichgeschlechtliche Paare, auch im Zweifel gegen die Mehrheitsmeinung meiner eigenen Partei. So viel Freiheit gestehe ich mir ein.« Allerdings relativiert sie ihre Aussage sogleich, indem sie darauf verweist, es könne »den Schwulen und Lesben in diesem Land (…) am Ende des Tages völlig egal sein, ob ihre Beziehung ‹eingetragene Lebenspartnerschaft› heißt oder Ehe, wenn sie sich kaum noch Arm in Arm auf die Straße trauen können«. Weidel äußert hier ihre Einstellung zu Ehe und Familie zwar sichtbar, jedoch zugleich als »persönliche Meinung«. Sie spricht als homosexuelle Einzelperson und betont, sie habe keine Ambitionen, familienpolitische Sprecherin der Partei zu werden. Darüber hinaus verweist sie auf den Islam als gemeinsamen Feind, dessen Bekämpfung wichtiger sei als der Ausbau der Rechte für Homosexuelle. Sie suggeriert innerparteiliche Meinungsdiversität und Toleranz, ohne letztlich den Status quo auf der Ebene politischer Veränderungen in Frage zu stellen.

Heteronormativ statt homofeindlich
Die gesellschaftliche Entwicklung hin zu einer voranschreitenden Anerkennung von Homosexualität spiegelt sich in der Programmatik der AfD in einer teilweisen Akzeptanz einer angepassten, privaten Form von Homosexualität, welche die Norm der heterosexuellen Mehrkinderfamilie nicht infrage stellt und keine politischen Freiheitsrechte fordert. Insbesondere die rechtliche Gleichstellung mit der heterosexuellen Ehe und die Adoption von Kindern stellen weiterhin, der offiziellen Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare zum Trotz, klare Grenzen dar. In der Benennung und Bekämpfung von Gender und dem Islam als gemeinsame Feinde kann diese Form der Homo­sexualität Teil der nationalen Gemeinschaft werden.


Offen homosexuelle Parteimitglieder müssen ihre Partei vor dem Vorwurf der Homofeindlichkeit schützen, stattdessen den Islam als zentralen Feind ausmachen und damit homosexuelle Wähler*innen gewinnen. Wenn eine kollektive homosexuelle Sprecher*innenposition eingenommen wird, gilt es zudem, jede Form von rechtlicher oder politischer Verbesserung für homosexuelle Menschen unter dem Begriff Gender aktiv abzulehnen und innerparteiliche Homofeindlichkeit zu akzeptieren, um keine Gefahr für die heterosexuelle Norm darzustellen. Als homosexuelle Einzelperson hingegen kann ein Ausbau homosexueller Rechte als »freie Meinung« geäußert werden, solange damit keine Forderungen nach politischer Umsetzung verbunden werden.