Im Schatten von Corona

von Volker Weiß
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 195 - März / April 2022

#Bestandsaufnahme

Die äußerste Rechte hat sich erfolgreich an die Spitze der Corona-Proteste gesetzt und dadurch viel Aufmerksamkeit bekommen. Diese Positionierung war mit der Hoffnung verbunden, von einer ähnlichen Dynamik wie im Winter 2014/15 zu profitieren, als angesichts der Fluchtbewegungen Phänomene wie PEGIDA aufkamen und die »Alternative für Deutschland« (AfD) stetigen Zulauf erhielt. Daher wurde Corona zu Beginn der Pandemie als »Proxy-Thema« identifiziert, mit dem sich die traditionellen Anliegen der äußersten Rechten transportieren ließen. Tatsächlich konnte durch das Schlagwort »Great Reset« das vorherige Kampagnenthema eines »Großen Austauschs« in das Protestnarrativ integriert werden. Das Ergebnis war die Duldung der extremen Rechten durch zahlreiche Demonstrant*innen anderer Milieus und die sichtliche Radikalisierung der Proteste. Vor allem die AfD wollte diesen Trend ausnutzen, jüngsten Pressemeldungen zufolge hat die Partei gerade erst 350.000 Euro in eine Kampagne gegen eine Impfpflicht investiert. Trotz solcher Aufwendungen blieb der quantitative Erfolg dieser rechten Selbstinszenierung als letzte Bastion gegen die angebliche »Corona-Diktatur« einer »globalistischen Elite« jedoch unter den Erwartungen wie schon die Bundestagswahlen 2020 gezeigt hatten. Schließlich wirkten Akteur*innen aus esoterischen und anderen Alternativmilieus nicht allein als Verbündete, sondern auch als Konkurrent*innen.

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Die neue Kampagne der AfD scheint nicht gut anzulaufen – Zur Kundgebung mit dem Motto »Gesund ohne Zwang« erschienen am 5. März 2022 in Hannover 120 Teilnehmer*innen. © Mark Mühlhaus / attenzione

IB verschwindet
Die erhoffte Dynamik blieb auch für die »Identitäre Bewegung« (IB) aus. Nachdem eine erste Strategie der Selbstverharmlosung durch Nachweis ihres tatsächlichen Charakters einer extrem rechten Kaderorganisation gescheitert war, trafen sie der Entzug der publizistischen Plattformen und steigender behördlicher Verfolgungsdruck bis hin zum Verbot ihrer Symbole in Österreich. Zwar vermochte sie es noch einmal, sich vor allem in Wien bei Corona-Protesten medienwirksam in Szene zu setzen, insgesamt ist ihre Bedeutung jedoch stark gesunken. Gründerfigur Martin Sellner baut nun auf eine neue Generation, die den Staffelstab übernehmen und für erneuten Auftrieb sorgen könnte. Seine zu Beginn der Pandemie vollmundig verkündete Hoffnung, »nach Corona« werde die »Remigration« kommen, hat sich jedenfalls nicht bewahrheitet.


Durch die allgemeine Aufmerksamkeit für die Ereignisse rund um COVID-19 drohten andere Themenfelder und Aktivitäten der äußersten Rechten aus dem Blick zu geraten. Mit der Nominierung von Max Otte zum Kandidaten der AfD für die Bundespräsidentschaftswahl unterstrich die Partei wieder Elemente aus ihrer Gründungsphase wie die Opposition gegen die europäische Währungspolitik, die Vorliebe für Goldanlagen und die mittelständische Wirtschaft. Otte war als »Krisen-Ökonom« zu Bekanntheit und Geld gekommen, eigentlich als Mitglied der »Werte-Union« aktiv und bis zu seinem Ausscheiden 2021 bereits Kuratoriumsmitglied der AfD-nahen »Desiderius-Erasmus-Stiftung« gewesen. Die Nominierung war von vornherein aussichtslos, ihr Zweck war alleine, die Partei jenseits der Pandemie-Politik ins Gespräch zu bringen. Der schädlichen Wirkung des parallel erfolgten Austritts des AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen, der lange als wirtschaftspolitisches Aushängeschild der AfD fungierte, vermochte Ottes Kandidatur jedoch wenig entgegenzusetzen.


Wie Otte sorgte auch Erika Steinbach für Klarheit. Die ehemalige CDU-Politikerin war bereits 2018 Vorsitzende der Stiftung geworden, nach Meuthens Austritt hat sie ihren Eintritt in die AfD angekündigt, deren Positionen sie ohnehin längst teilte. Die Personalie der langjährigen Präsidentin des »Bundes der Vertriebenen« passt gut in eine Partei, die längst auch dieses Feld bespielt. Fern der öffentlichen Wahrnehmung wird hier intensiv die Volkstumspolitik der Vergangenheit gepflegt. Auf Facebook-Seiten wie »Vertriebene, Aussiedler und deutsche Minderheiten in der AfD« reicht »Deutschland« noch von Südtirol bis Schlesien und Ostpreußen. Hier präsentieren sich »Auslandsdeutsche« von Ungarn bis Südamerika und sind Bildergalerien aus Königsberg, Danzig oder dem Elsass, also dem ehemaligen Reichsgebiet, zu sehen. In diesen Kreisen zeichnen sich auch die Bruchlinien innerhalb der europäischen Nationalismen deutlicher ab, die sonst von der gemeinsamen antieuropäischen Haltung übertüncht werden. So wird derzeit die wegen ihrer antieuropäischen und traditionalistischen Politik sehr geschätzte polnische Regierung für ihre Politik gegenüber der deutschsprachigen Minderheit scharf angegangen.

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Ähnlich äußert sich »Freies Sachsen« – die im Februar 2021 neu gegründete Struktur versteht sich als sächsische Dachorganisation der extremen Rechten. Zur Verdeutlichung des Vernetzungsgedankens steht dem Vorsitzenden Martin Kohlmann (Pro-Chemnitz, früher DSU und REP) mit Stefan Hartung ein NPD-Politiker als Stellvertreter zur Seite, wie auch das NPD-Format »Deutsche Stimme TV« genutzt wird. Anlass zur Gründung von »Freies Sachsen« gaben die Corona-Proteste, ihre Hauptaktivität ist eine Kampagne gegen die Impfpflicht. Doch auch die Interessen der Gruppe gehen über die Pandemie hinaus, wie ihr Programm verdeutlicht: »Wir Sachsen sind Deutsche – ebenso wie Nordschleswiger, Kärntener, Südtiroler und Elsässer Deutsche sind.«


Dieses Faible für Volksstämme treibt in Hinblick auf den Krieg in der Ukraine aufseiten der Rechten bemerkenswerte Blüten. Obgleich es auch in der Ukraine Nationalisten mit dem »Asow-Bataillon« und damit eine neofaschistische Struktur gibt, neigt das Gros der europäischen Rechten zu Russland. Erst Ende 2021 hat der russische Präsident Wladimir Putin sein Land zur Schutzmacht des Konservatismus erklärt und gesellschaftliche Emanzipationsbestrebungen mit dem sowjetischen Bolschewismus verglichen. Sein Bekenntnis zu den Werten von Tradition, Religion und Familie entsprach ebenso wie die Angriffe auf die westlichen Gender-Debatten genau den Bedürfnissen europäischer Rechter, die sich von einem allgegenwärtigen Kulturmarxismus umgeben sehen. Längst ist auch der russische Sender »Russia Today« zum Hausmedium von AfD, »Wutbürgern« und »Querdenkern« geworden. AfD-Politiker wie Markus Frohnmeier leisten routinierte Lobbyarbeit für die russische Seite, schon 2014 warb Alexander Gauland (AfD) um Verständnis für Putin mit den Worten, dieser wolle nur »russische Erde« einsammeln. All das lässt die Erklärung der russischen Regierung grotesk erscheinen, die Ukraine mit ihrem Angriff »denazifizieren zu wollen«.


Putins Politik des »starken Mannes« wird bewundert. Zusätzlich zur Begeisterung für dessen neoimperialen Kurs erkennt man die Konturen einer klassischen Volksgruppenpolitik, die derzeit in Osteuropa vorgeführt wird. Mit der geforderten Angleichung von Staatsgrenzen an ethnische Besiedelung bahnt sich ein gefährlicher Abschied vom Leitprinzip der Staatsbürgernationen an. An seine Stelle soll nun ein historisch-organisches Verständnis der Nation treten. Jedoch gibt es durch die umfangreichen Verschiebungen von Staatsgrenzen in Osteuropa unzählige Territorien, auf die sich von verschiedenen Seiten historisch und bevölkerungspolitisch begründete Ansprüche erheben ließen. In Ungarn gehört der Hinweis auf 1920 mit dem Vertrag von Trianon verlorenes Gebiet mitsamt seiner Auslandsungar*innen zur Standardagitation sämtlicher Nationalist*innen. Auch das Deutsche Reich hat seit 1918 signifikant Staatsfläche verloren, auf die hiesige Rechte traditionell Anspruch erheben. Derartige Begehrlichkeiten werden durch die jetzigen Ereignisse natürlich geschürt.


Kein Wunder also, dass die pro-russische Orientierung derzeit innerhalb der äußersten Rechten dominiert. Lediglich die Nazi-Kleinstpartei »Der III. Weg« positioniert sich – nebst anderen europäischen Neonazis – aufseiten der Ukraine. Sie zelebriert mit Delegationsreisen ihre Verbundenheit zu ukrainischen Kämpfern der Waffen-SS, steht im Austausch mit ukrainischen Neonazis und agitiert gegen den jüdischen Präsidenten des Landes, Wolodymyr Selenskyj. Ihre Verlautbarungen hoffen auf die weitere Eskalation, die sich im Sinne der eigenen Sache auswirken solle. Aus den Trümmern eines dekadenten Europas sollen dann endlich wieder wahre Nationen erwachen. Da sie sich damit im Widerspruch zu den meisten Kräften der extremen Rechten, aber auch zum eigenen Anti-Amerikanismus befindet, lautet eine Losung der Kleinstpartei: »Für die Nation, nicht für die Nato.« In diesem Punkt wie auch in der Ablehnung der USA sind sich alle Fraktionen bis zur NPD einig. Es ist nicht auszuschließen, dass in den irregulären Einheiten beider Seiten schließlich Freiwillige der extremen Rechten aufeinander schießen.