Reaktionär, autoritär, nationalistisch

von Wolfgang Laskowski
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 195 - März / April 2022

#Putin

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© Mark Mühlhaus / attenzione

Der medialen Pathologisierung Putins als einen irren Herrscher im Kreml steht die Tatsache gegenüber, dass seine gegenwärtige Politik nur die Fortsetzung einer seit langem betriebenen autoritären, großrussischen Agenda darstellt. Sein offenkundiges Ziel, die Wiederherstellung eines russischen Imperiums, geht bis auf das Zarenreich zurück und speist sich ideengeschichtlich aus diversen reaktionären Quellen.

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Nationalist Vladimir Putin

Nahezu perfekt passen Wandlung und Gedankenwelt des schillernden Ideologen Alexander Dugin und die aktuelle russische Außenpolitik zusammen – Dugin, der sich nach dem Ende der Sowjetunion vom rechten Nationalbolschewisten zum großrussischen Ideologen wandelte und in der extremen Rechten Westeuropas als großer geopolitischer Denker im Anschluss an Carl Schmitt gefeiert wird. Intensiv rezipierte Dugin die Autor*innen der »Konservativen Revolution« und wandte deren Theorien auf Russland an. Dugin propagiert eine eurasische Geopolitik, in der einem russischen Reich die Rolle einer Führungsmacht zukäme. Sein Hass auf die westliche, liberale Moderne dringt aus jeder seiner Zeilen. Er redet der Re-Sakralisierung der russischen Politik das Wort: »Es ist Zeit, zum Mythos zurückzukehren. Und das meint eine Rückkehr zu dem magischen, heiligen (…) Ort, dem leuchtenden Rus.« Solch sprachlicher Kitsch kann nicht verdecken, dass es Dugin um eine knallharte, »raumorientierte« Machtpolitik und autoritäre Formierung geht. Dugin ist einer der Stichwortgeber einer imperialen Ideologie Russlands.

Doch Dugin selbst stützt sich auch auf russische Autor*innen, die nachweisbar Putin direkt beeinflusst haben. Zu nennen wäre dabei zunächst der esoterische Geschichtsphilosoph Lev Gumilev, der auch in der europäischen »Neuen Rechten« populär ist. Er spricht von einem »ewigen Konflikt« zwischen Russland und dem Westen. In einer Rede zum tausendjährigen Bestehen von Kazan bezog sich Putin direkt auf Gumilev und erklärte, die Eroberungen der Goldenen Horde im 16. Jahrhundert hätten Russland zur Großmacht geformt. Bei dieser Gelegenheit wurde in Kazan ein Denkmal für Gumilev eingeweiht.
Erwähnt werden sollte weiterhin der Schriftsteller Alexander Prochanow, der wegen seiner apologetischen Romane über den russischen Afghanistan-Krieg als »Nachtigall des Generalstabs« bezeichnet wird. Seine Position: »Es ist an der Zeit, die kläffenden, beißenden Nachbarn loszuwerden, sich aus ihrem knurrenden Rudel zu befreien und allein zu bleiben. Das ständige Bändigenmüssen des russischen Nationalgefühls, die russische Angst, das empfindliche Selbstwertgefühl anderer Völker treffen, verletzen und verwunden zu können, ist unerträglich.« Er leistete auch einen wichtigen Beitrag dazu, die russische KP in die nationalistische Front einzubinden.

Wer Putins Reden liest, findet auch immer wieder Anklänge an den russischen Philosophen Iwan Iljin, einen konservativen Monarchisten. Sein Plädoyer für eine erzieherische Diktatur ist an die antiwestliche, anti-emanzipatorische Tradition des Stalinismus ebenso anschlussfähig wie an die großrussische, antiwestliche und nationalistische Rhetorik unserer Tage. Ebenfalls anschlussfähig ist die Ideologie des Nationalbolschewismus. Zwar hat dessen ideologischer Einfluss gegenüber den 1990er Jahren abgenommen, doch im Amalgam extrem rechter Strömungen ist er Teil der Ideen- und Organisationsgeschichte.


Zweifellos gehört zu den Quellen, aus denen die antiwestlichen Affekte der Rhetorik des russischen Nationalismus schöpfen, die sowjetische Geschichte. Der Kampf gegen angebliche »Spione«, »Diversanten«, »Westler«, »Saboteure« und »Kosmopoliten« und »Trotzkisten«, die im Auftrag der Nazis agierten oder selbst Nazis seien; all das war Teil der Propaganda der Rechtfertigung der Repressalien gegen die Bevölkerung unter Stalin. Kritiker*innen der sowjetischen Politik wurden umstandslos als »Nazis« diffamiert und in ein Arbeitslager (GULag) gesteckt. Putins Rhetorik von der »Entnazifizierung« der Ukraine lässt sich vor diesem Hintergrund als ideologische Finte entlarven. Putin ist kein Antifaschist. Den Antifaschismus nimmt er dann in den Dienst seiner politischen Agenda, wenn es der Legitimation seiner Politik dient. Dies war bei den nationalistisch aufgeladenen Feiern zum »Tag des Sieges« am 9. Mai in Moskau unübersehbar. Vor allem macht sich der Vorwurf der westlichen Dekadenz an der sexuellen Liberalisierung fest, und auch an den Repressionen gegen Feminist*innen, wie zum Beispiel die Band »Pussy Riot«, oder an Verboten und Verfolgung von Pride-Paraden – zum Schutze der traditionellen Familien.

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Ein Blick in die Geschichte der Ukraine zeigt, dass auch dort nationalistische Ideologien Teil der politischen Tradition sind. Im zweiten Weltkrieg agierte der Milizenführer Stephan Bandera an der Seite der deutschen Besatzer. Banderas Miliz OUN-B war maßgeblich für die Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung Galiziens verantwortlich. Bis heute gilt er nationalistischen Ukrainer*innen als Held. Das »Asow-Regiment«, welches sich bei europäischen Neonazis und extremen Rechten großer Beliebtheit erfreut, ist eine Truppe gewaltbereiter, antisemitischer Kämpfer, die gleichwohl Teil der ukrainischen Armee sind. Es steht zu erwarten, dass deutsche und europäische Neonazis versuchen, dem Aufruf des ukrainischen Präsidenten zu folgen, und sich den Freiwilligenverbänden anzuschließen.

Wer sich im gegenwärtigen Konflikt der Nationalismen politisch orientieren will, sollte auf die Stimmen russischer und ukrainischer Anarchist*innen, Liberaler und antimilitaristischer Aktivist*innen hören, deren Standpunkte nicht an die nationalistischen Narrative ihrer Länder gebunden sind, sondern an die Idee der Humanität.