Formierung der extremen Rechten in Europa

von Ulrich Schneider
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 195 - März / April 2022

#International

Seit Anfang 2021 vollzieht sich ein Prozess der Kooperation zwischen Parteien der extremen Rechten in Europa. Nachdem rechtspopulistische und extrem rechte Parteien bei den letzten Wahlen zum Europäischen Parlament gestärkt in dieses eingezogen sind, soll nun offenkundig die gemeinsame Schlagkraft erhöht werden.

der rechte rand Antifa Magazin
Matteo Salvini, Jörg Meuthen und Marine Le Pen im Mai 2019 in Mailand

Anfangs waren die Parteien der extremen Rechten, wenn sie einer Fraktion im Europaparlament angehörten, in drei Gruppen vertreten: in der Fraktion »Identität und Demokratie« (ID), bei den »Europäischen Konservativen und Reformern« (EKR) und in der »Europäischen Volkspartei« (EVP). Nachdem die ungarische Fidesz im März 2021 auf Druck anderer christdemokratischer Parteien die Fraktion der EVP verlassen hatte, suchte sie neue Bündnisse innerhalb und außerhalb des Parlaments: Im Frühjahr 2021 lud Ungarns Regierungschef und Fidesz-Vorsitzender Viktor Orbán andere europäische Rechtsparteien zu Sondierungstreffen ein. Ein erstes Zusammenkommen fand in Budapest mit Matteo Salvini von der italienischen »Lega« und dem polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki von der Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) statt. Auch Marine Le Pen vom französischen »Rassemblement National« (RN) wurde kontaktiert, wobei diese aufgrund des Präsidentschaftswahlkampfs in Frankreich internationale Kontakte zurückstellte. In diese Lücke sprangen kurzfristig der extrem rechte französische Kandidat Éric Zemmour und die spanische Rechtspartei »Vox«.

Eine Erklärung für ein rechtes Europa

Ergebnis dieser Zusammenkünfte ist eine Anfang Juli 2021 veröffentlichte Erklärung für eine extrem rechte Orientierung in Europa. Diese wurde von Parteien aus 16 EU-Ländern unterzeichnet, neben Viktor Orbán von dem Vorsitzenden der polnischen PiS Jaroslaw Kaczynski, Italiens »Lega«-Chef Matteo Salvini, der französischen RN-Präsidentin Marine Le Pen, Spaniens »Vox«-Vorsitzendem Santiago Abascal Conde und der »Fratelli d’Italia«-Chefin Giorgia Meloni. Weitere Unterstützerinnen waren die FPÖ (Österreich), JA21 (Niederlande), EL (Griechenland), PNT-CD (Rumänien), LLRA (Litauen), VMRO (Bulgarien), »Vlaams Belang« (Belgien), »Dansk Folkeparti« (Dänemark), EKRE (Estland) und PS (Finnland) – allesamt Parteien, die für ihren extremen Nationalismus und Rassismus bekannt sind. Die Zusammenarbeit der europäischen Nationen müsse auf Tradition, dem Respekt vor der Kultur und der Geschichte der europäischen Staaten, dem Respekt vor dem jüdisch-christlichen Erbe Europas und den gemeinsamen Werten, die diese Nationen vereinen, beruhen – und nicht auf deren Zerstörung, hieß es vollmundig und in blumiger Sprache in diesem Papier. Gemeint sind de facto Nationalismus, rechtskonservative Vorstellungen von Familie, die Diskriminierung von Menschen, die nicht der hetereosexuellen Norm entsprechen, und insbesondere die Ablehnung jeglicher Unterstützung für Geflüchtete in Europa.
Auffällig war das Fehlen der »Alternative für Deutschland«, die sich mit ihrer Forderung nach einem EU-Austritt im Programm zur Bundestagswahl selbst in dieser Runde isoliert hatte.

antifa Magazin der rechte rand
Orbán steht auf Putins Seite. © wikimedia / Roman Kubanskiy / CC BY 2.0

Der »Warschauer Gipfel«

Später als geplant fand Anfang Dezember 2021 ein »Warschauer Gipfel« statt. Er litt darunter, dass neben den polnischen Gastgebern an Prominenz nur Viktor Orbán und Marine Le Pen vertreten waren. Andere Parteien waren mit der »zweiten Garde« anwesend, Matteo Salvini von der »Lega« schickte eine Grußbotschaft. Die Presseberichterstattung zeigte, dass dieses Treffen vor allem PR-Charakter hatte. Es ging dabei auch um die anstehenden Wahlkämpfe in den jeweiligen Ländern. Fidesz und PiS bestätigten sich gegenseitig, dass sie trotz der angekündigten EU-Sanktionen nicht alleine seien. Und Marine Le Pen zeigte mit den Fotos ihres Treffens mit dem polnischen Premierminister Mateusz Morawiecki, dass sie staatsmännisch die »Nummer 1« der extremen Rechten in Frankreich sei und nicht Éric Zemmour.
Polens Ministerpräsident Morawiecki verkündete, Aufgabe dieser Zusammenarbeit sei es, »der Usurpation, die die Macht in den Händen der europäischen Eliten konzentriert, einen Riegel vorzuschieben« und für ein Europa »souveräner EU-Mitgliedsstaaten« einzutreten. Doch die einzige Gemeinsamkeit auf dem »Warschauer Gipfel« blieb die Ablehnung der Aufnahme von nichteuropäischen Geflüchteten, die in der Kälte an der Grenze zwischen Belarus und Polen unter menschenunwürdigen Verhältnissen ausharren mussten.

ABO
Das Antifa Magazin

alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.

Auch andere Parteien erkannten den propagandistischen Wert solcher Begegnungen. So lud Spaniens Rechtspartei »Vox« Ende Januar 2022 unter dem wohlklingenden Titel »Europa verteidigen« die Parteien des »Warschauer Gipfels« nach Madrid ein. Aber auch diesmal wurden lediglich Absichtserklärungen formuliert. Der Schritt zu einer gemeinsamen Fraktion im Europaparlament oder für weitere politische Signale ist weiterhin völlig offen.

Haltung zu Russland als Konflikt

Ein Streitpunkt ist neben den jeweiligen Nationalismen die Haltung zum Konflikt Russland-Ukraine. Während Viktor Orbán sich eindeutig auf die Seite Russlands stellt und die ukrainische Regierung wegen »Verletzung der Rechte der ungarischen Minderheit« kritisiert, ist die polnische Regierung – trotz Auseinandersetzungen um die geschichtsrevisionistische Bandera-Verherrlichung – an der Seite der USA ein starker Unterstützer der Ukraine. Auch Marine Le Pen gehört zu den Unterstützer*innen der russischen Position. »Vox« und »Fratelli d’Italia« stehen vor dem Dilemma, dass ihre inhaltliche Unterstützung der ukrainischen Haltung in diesem Konflikt sie an die Seite der jeweiligen Regierungsparteien bringen würde, was sie tunlichst vermeiden wollen.

Im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine wurden die »Karten jedoch noch einmal neu gemischt«. Orbán und Morawiecki beteiligten sich – als Teil der Regierungen der Europäischen Union – an den Sanktionsmaßnahmen der EU. Orbán versuchte zwar noch eine eigenständige Rolle als »neutraler Vermittler« zwischen den Kriegsparteien zu spielen. Das wurde aber von der Ukraine mit Hinweis auf die ungarischen Interessen zurückgewiesen.
In Italien unterstützen Matteo Salvini und Giorgia Meloni die italienische Regierung in ihrer Politik gegenüber Russland. Parallel dazu warnte Salvini vor zu scharfen Sanktionen, weil möglicherweise dann Italien ohne Gas dastehen werde. Meloni ging noch einen Schritt weiter und kündigte einen Antrag zur »Verteidigung der italienischen nationalen Interessen« an, bei dem es um die Beendigung der Aggression Russlands gegen Kiew gehe – die Einrichtung eines zeitlich befristeten Fonds im EU-Rat zur Entschädigung der europäischen Länder, die durch die Sanktionen gegen Russland am meisten benachteiligt werden, und die Gewährung des Flüchtlingsstatus für ukrainische Bürger*innen.

Auch die französische Rechte hat Sorge, dass das russische Vorgehen ihren politischen Chancen im Präsidentschaftswahlkampf schaden könne. So erklärte Le Pen Russlands Vorgehen als ungerechtfertigt und forderte, es müsse »ohne jede Zweideutigkeit« verurteilt werden. Zemmour hob hervor, dass Russland von der Ukraine weder angegriffen noch direkt bedroht worden sei. Anders als Salvini, Meloni oder Le Pen kritisierte er gleichzeitig die NATO-Osterweiterung.

Ob unter den gegenwärtigen Bedingungen das geplante Treffen im März 2022 in Budapest stattfinden wird, ist ungewiss. Viktor Orbán möchte im Rahmen des Präsidentschaftswahlkampfes zeigen, dass er mit seiner Partei trotz der Kritik der Europäischen Union international anerkannt ist. Mit einer »Conservative Political Action Conference« (CPAC) in Budapest will er dies unter Beweis stellen. Möglicherweise kommt dann auch die portugiesische Rechtspartei »Chega!« (dt.: Es reicht!), deren Chef Andre Ventura mit seiner Hetze gegen »Zigeuner, Abtreibung, Einwanderung und Subventionen« vollständig in dieses ideologische Konzept passt. Presseberichten zufolge soll sogar der brasilianische Staatspräsident Jair Bolsonaro aus diesem Anlass anreisen. Es würde nicht überraschen, auch Steve Bannon dort zu treffen, der immer noch nicht aufgegeben hat, sich als Stichwortgeber der europäischen Rechtsparteien zu profilieren.