Zwischen Dogma und Differenz

von David Begrich
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 190 - Mai / Juni 2021

#DDR

Die DDR verstand sich als antifaschistischer Staat und wurde von aktiven Gegner*innen des Nationalsozialismus geführt. Gleichzeitig war sie, wie die Bundesrepublik, Nachfolgestaat des NS-Systems. Doch anders als dort nahm die DDR für sich in Anspruch, den Opfern der Nazis in der Gesellschaft moralisch höchste Priorität einzuräumen.

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Gedenkstätte KZ-Buchenwald © Mark Mühlhaus / attenzione

Kommunistische Dominanz
In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) setzten im Frühjahr 1945 sogenannte Antifaschistische Ausschüsse das gesellschaftliche Leben wieder in Gang. Sie bestanden aus weitgehend vom Nationalsozialismus unbelasteten Personen aus dem gesamten politischen Spektrum. Doch bereits im Herbst 1945 kristallisierte sich ein von den sowjetischen Behörden intendierter Führungsanspruch der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) heraus, der darauf abzielte, führende Positionen in der Verwaltung mit Kommunist*innen zu besetzen. Dies führte zu einer Marginalisierung anderer politischer Akteur*innen, die nicht selten in Repression gegen Sozialdemokrat*innen sowie liberale und konservative Demokrat*innen mündete. Die in der SBZ proklamierte »antifaschistisch-demokratische Ordnung« setzte auf den vollständigen Bruch mit Praxis und Ideologie des Nazismus im Geiste des Potsdamer Abkommens, das am 2. August 1945 von den alliierten Befreier*innen beschlossen wurde. Insofern wurden NS-belastete Personen aus dem öffentlichen Dienst entfernt. Verfügten sie allerdings über nachgefragte Schlüsselqualifikationen, so wurden sie – wie in der Bundesrepublik – stillschweigend integriert. Dessen ungeachtet kehrten zahlreiche nicht-kommunistische Intellektuelle aus dem Exil in die SBZ, die spätere DDR, in der Erwartung zurück, die dort im Aufbau begriffene Gesellschaft werde anders als die BRD konsequent mit der Ideologie des Nationalsozialismus brechen.

Machtgruppen und Kulturkämpfe
Die Macht ausübenden Kommunist*innen in der DDR setzten sich aus drei Herkunftsgruppen zusammen, die um Einfluss und Deutungshoheit in Staat und Gesellschaft rangen. Da waren zum einen jene, die in der NS-Zeit in Zuchthäusern und Konzentrationslagern gesessen hatten und mit der Autorität der Überlebenden auftraten. Die beiden anderen Gruppen bestanden aus Remigrant*innen, die entweder in der Sowjetunion oder im Westen im Exil gewesen waren. Wer die Zeit in Moskau verbracht hatte, stand unter dem Eindruck des Stalinismus und der mit diesem verbundenen Säuberungen, die auch deutsche Kommunist*innen nicht verschonten. Wer dagegen in Staaten wie England oder die USA geflüchtet war, hatte den liberalen Geist der dortigen Demokratien ebenso erlebt wie dessen Umschlag in den paranoiden Antikommunismus der McCarthy-Ära.
Zurück in der DDR lebten die Debatten des Exils über die zukünftige Verfasstheit eines neuen, antifaschistischen Staates fort. Im Schatten der von der Sowjetunion beherrschten politischen Kultur der DDR und des beginnenden Kalten Krieges setzten sich die Exilant*innen aus der Sowjetunion im Bündnis mit den vormaligen kommunistischen KZ- und Zuchthausinsass*innen durch. Exponent*innen dieser Gruppe vertraten in der Kultur- und Gesellschaftspolitik einen Kurs ideologischer Rigidität, der mit Konzepten relativer kultureller Offenheit konkurrierte, wie sie in ihrer Mehrheit von den Westemigrant*innen vertreten wurde. Diese Kontroverse über die Auslegung antifaschistischer kultureller und erinnerungspolitischer Praxis prägte den Charakter der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und ihren Ausdrucksformen. Der Staat DDR bezog aus der Berufung auf die Opfer des Nationalsozialismus und die Widerstandskämpfer*innen seine zentrale moralisch-politische Legitimation auch und gerade in Abgrenzung zur Bundesrepublik.


Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen und dem Nationalsozialismus nahm in der Kulturpolitik von Beginn an breiten Raum ein. Es lassen sich im Wesentlichen zwei Linien der kulturellen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erkennen. Jene, der es um die kulturelle Befestigung des kommunistischen Deutungsmonopols über den antifaschistischen Widerstand ging, und eine, die versuchte, sich dem engen Korsett politischer Vorgaben zu entziehen. Letztere vertrat einen Antifaschismus, der über die Wiedergabe ideologischer Formeln ästhetisch und moralisch hinauswies.

Bekenntniszwang und Loyalität
Den moralischen Kredit des Widerstandes gegen den Faschismus, über den die Kommunist*innen verfügten, die im KZ oder im Widerstand gewesen waren, setzte die SED gezielt ein, um alle Formen von Kritik und Opposition gegen ihre Politik zu delegitimieren und politische Loyalität zu erzwingen. Mit dem Verweis auf die moralische Autorität des antifaschistischen Widerstandes wurden Verbote und Zensur von Büchern, Musik und Filmen gerechtfertigt. Der Antifaschismus der DDR schuf einen politischen Bekenntniszwang, dem sich niemand entziehen konnte, der diesen Staat als Gesellschaftsordnung bejahte oder auch nur akzeptierte. Politische Unduldsamkeit und Herrschsucht vergifteten die politische Kultur des Landes im Namen des Antifaschismus. Oppositionelle Haltungen gegenüber der DDR fanden sich oft in die Nähe des Faschismus gerückt oder pauschal als faschistisch gebrandmarkt. Die ideologische Unduldsamkeit zu spüren bekamen indes auch prominente Schriftsteller wie Jurek Becker oder Stefan Heym, wo sie auf der literarischen Autonomie ihrer Werke bestanden und sich das Recht zur politischen Intervention abseits der offiziellen Linie nahmen. Obwohl beide als Juden Verfolgte des Naziregimes waren, erfuhren sie Ausgrenzung und Repression für ihre literarischen und politischen Positionen.
Die Annahme, es habe innerhalb des kulturellen Kosmos nur inhaltliche Eindimensionalität und keine Handlungsspielräume oder inhaltliche Kontroversen gegeben, geht aber fehl. So konnte etwa der Roman »Der siebte Brunnen« des österreichischen Autors Fred Wander in der DDR erscheinen und Literaturpreise bekommen, obwohl im Mittelpunkt des Buches, anders als im sehr viel bekannteren Roman »Nackt unter Wölfen« von Bruno Apitz, nicht-kommunistische Helden und ihr Handeln stehen, sondern das Leiden, Überleben und Sterben jüdischer Häftlinge im KZ.

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Auf der anderen Seite wurde trotz positiver Gutachten der Akademie der Künste der DDR die Herausgabe der Werke des italienischen Schriftstellers Primo Levi in der DDR vom SED-ergebenen Komitee antifaschistischer Widerstandskämpfer verhindert: Levi habe in seinen Romanen über die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz die Soldaten der Roten Armee nicht adäquat heldenhaft dargestellt und mache sie letztlich verächtlich. Die Aufführung des Theaterprojekts »Die Ermittlung« von Peter Weiss, in dem Motive des Frankfurter Auschwitzprozesses dramaturgisch verarbeitet sind, wurde Ende der 1960er Jahre beinahe zwischen Ost und West zerrieben. Im Westen als Zumutung empfunden, weil es die Täter*innen und ihre Verantwortlichkeiten benannte, war dessen Aufführung im »Berliner Ensemble« in Ostberlin mit der Erwartung an Weiss verbunden, sich uneingeschränkt zur DDR zu bekennen, was dieser bei aller Sympathie ablehnte.

Theoretische Engführung der Faschismusforschung
Dass die Widersprüche des Kapitalismus den Faschismus hervorbringen und mit der Beseitigung des Kapitalismus durch den Sozialismus dessen Ursachen und Wirkmechanismen entfielen, war herrschende Lehrmeinung in der DDR-Geschichtswissenschaft. Diese ökonomistische Verkürzung des Wesens des Nationalsozialismus blieb in der geisteswissenschaftlichen Publizistik nicht unwidersprochen, aber hegemonial, was Publikationen und kontroverse, interne wissenschaftliche Debatten um andere Aspekte der Charakterisierung des Nationalsozialismus zwar nicht ausschloss, ihrer Reichweite jedoch Grenzen setzte.

 

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Die Haltung, die der DDR-Antifaschismus zur Rolle des Antisemitismus des NS und zum Holocaust einnahm, war in seiner Hauptströmung von der marxistisch-leninistischen Sicht auf die Ideologie des Faschismus geprägt. In ihr wurde der Antisemitismus nicht als eine eigenständige wirkungsmächtige Ideologie, sondern lediglich als Ablenkungsinstrument zur Blendung der Arbeiter*innenklasse durch die herrschende Kapitalist*innenklasse verstanden. Der Antisemitismus des Nationalsozialismus galt also als ideologischer Nebenwiderspruch. Die erinnernde Wahrnehmung der Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden stand in der DDR bis 1988 weitgehend im Schatten der erinnerungspolitischen Dominanz des aktiven kommunistischen Widerstands. Im Vorfeld des 50. Jahrestages der Pogromnacht von 1938 erfuhren die Arbeiten von Kurt Pätzold, Rudolf Hirsch und Rosemarie Schuder endlich ein breites publizistisches Echo. Gleichwohl blieb die Fortwirkung des Antisemitismus in der DDR weithin tabuisiert. Der Staat Israel wurde bis zum Ende der DDR in deren Medien in den Mustern antizionistischer Stereotypen dargestellt.

Verfolgung von NS-Verbrechen
Seit ihrer Existenz rechnete sich die Staatsführung die konsequente Verfolgung von NS-Verbrechen als moralisches Verdienst zu. Die Bilanz der Verurteilung von NS-Täter*innen fällt dennoch zwiespältig aus. Zahlreiche Täter*innen hatten sich dem Zugriff der DDR-Justiz durch Flucht in den Westen entzogen, andere waren innerhalb der DDR mit legendierten Biografien abgetaucht. Wurden sie identifiziert, kamen sie vor Gericht. Andere wurden jedoch aufgrund taktisch-politischer Erwägungen oder ihrer benötigten beruflichen Qualifikation von der Strafverfolgung ausgenommen, mit ihrer Vergangenheit zu einer Kooperation mit der Staatssicherheit erpresst und integriert. Der Anteil von NS-belasteten Personen in Führungspositionen war in der DDR signifikant geringer als in der Bundesrepublik. Die verbreitete Legende, es habe keine ehemaligen Nazis in leitenden Rollen gegeben, ist aber unzutreffend.

Sprechräume kultureller Differenz
Zu einer fairen Bewertung des Antifaschismus in der DDR gehört, seine Wechselwirkungen in der Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West, die ideologischen Konjunkturen im realen Sozialismus und den kategorischen Dogmatismus dieses Staates im Blick zu behalten. Über Jahrzehnte blieb der Antifaschismus der DDR den Schemata der post-stalinistischen Ära verhaftet, was diskursive Tabus und Debattenverbote einschloss. Innerhalb der skizzierten politischen Koordinaten gab es zugleich Sprechräume eines begrenzten politisch-intellektuellen und künstlerischen Binnenpluralismus, der bemerkenswerte Abweichungen von der offiziellen Linie in Filmen, Büchern und in intellektuellen Debatten mal zuließ, mal mit Sanktionen oder harter Repression belegte. Intellektuelle Akteur*innen, die diese Spielräume ausloteten, verhielten sich situationsangepasst taktisch und daher ambivalent. So etwa Konrad Wolf, Filmemacher und Präsident der einflussreichen Akademie der Künste der DDR. Er vertrat einerseits die offizielle Linie der staatlichen Kulturpolitik, suchte zugleich aber nach Möglichkeiten, den ästhetischen und politischen Handlungsraum der Darstellbarkeit politischer Widersprüche in der Gesellschaft zu erweitern. Wer jedoch die Grenzen der Binnenpluralität verließ und über den Umweg der westdeutschen Öffentlichkeit Kritik äußerte oder die Kontroverse suchte, geriet mit dem Staat in Konflikt und sah sich der Publikationsmöglichkeiten und öffentlicher Auftritte beraubt. Die Folge war, dass zahlreiche Intellektuelle und Künstler*innen die DDR verließen.

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Das Ende der DDR bedeutete auch das Ende eines Staates, der auf einer antifaschistischen Idee aufbaute. An den Montagsdemonstrationen, wie hier in Leipzig 1990, nahmen auch viele rechte und rechtsradikale DDR-Kritiker*innen aus Ost und West teil.

Die 1980er Jahre
Bis Anfang der 1980er Jahre fand der Antifaschismus in der Bevölkerung der DDR eine breite grundsätzliche Zustimmung. Diese erodierte allerdings ab Mitte der 1980er Jahre zusehends. Die Engführung des Antifaschismus führte bei der Staats- und Parteiführung in ideologische Erstarrung und einen zunehmenden Realitätsverlust mit Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung. Die moralische Autorität des Antifaschismus begann in den Nachkriegsgenerationen nachzulassen. Die Reglementierung des gesellschaftlichen Lebens, das Fehlen von Kritik und Demokratie sowie die Tabuisierung der Widersprüche und Verbrechen bei der Durchsetzung des realen Sozialismus verstärkten den grundlegenden Mangel an Konfliktfähigkeit in der Gesellschaft. Die Rituale des Gedenkens wirkten entleert und hatten die Verbindung zu den Widersprüchen der DDR-Gesellschaft verloren.
Wenngleich kommunistische Widerstandskämpfer*innen und KZ-Überlebende ihr moralisch berechtigtes Vermächtnis in eine Staatsräson überführt hatten: Es war verengt und dogmatisch. Dies führte parallel zum aufkommenden Deutungsverlust der SED-Führung Ende der 1980er Jahre zum Erodieren der Bindungskraft des staatlichen Antifaschismus.