Von der Bürgerwehr zum Rechtsterror – die »Gruppe S«

von Klaus Maler
und Martina Renner
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 189 - März 2021

#Terror

Im Februar letzten Jahres bremsten die Behörden ein Terrornetz aus, das durch wiederholte massive Anschläge und Attentate und dadurch ausgelöste Gegenreaktionen eine Bürgerkriegssituation schaffen wollte, die schließlich in eine Militärdiktatur münden sollte. Mit ihrem zentralen Vorhaben, Massaker in Moscheen anzurichten, lag die »Gruppe S« auf einer Linie mit aktuellen Rechtsterrorbestrebungen. Im Unterschied zum Attentäter von Halle waren deren Mitglieder aber in organisierte faschistische Strukturen quer durch die Republik eingebunden. Die Generalbundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen.

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»Freikorps Heimatschutz«


Der Prozess beginnt voraussichtlich am 13. April 2021 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Angeklagt sind elf Angehörige und ein Unterstützer der rechtsterroristischen Vereinigung »Gruppe S«. Neben dem Namensgeber Werner Somogyi aus Mickhausen bei Augsburg richten sich die Anschuldigungen ausnahmslos gegen Personen, gegen die am 14. Februar 2020 eine bundesweite Durchsuchungswelle mit anschließenden Festnahmen rollte. Ein V-Mann, der das LKA Baden-Württemberg stets auf dem Laufenden gehalten und durchaus als treibende Kraft fungiert haben soll, befindet sich auf freiem Fuß. Offensichtlich wird er im Verfahren als Kronzeuge auftreten und scheint sich in einem Zeugenschutzprogramm zu befinden. Wohl nicht grundlos, denn Somogyi soll aus der Haft versucht haben, einen Mafiakiller anzuheuern, um ihn aus dem Weg zu räumen. Der V-Mann soll auf beiden Gruppentreffen gewesen sein und eng mit dem Anführer zusammengearbeitet haben. Lediglich einer, der durchsucht wurde, wird nicht auf der Anklagebank Platz nehmen: Der »Reichsbürger« Ulf Rösener aus Porta Westfalica wurde in der U-Haft tot aufgefunden. Über die Todesursache schweigt sich die Bundesregierung bisher aus.


Die Ermittlungen liefen seit September 2019, in diesem Monat hatte sich während der Formierungsphase der Gruppierung erstmalig ein größerer, zu Gewalttaten bereiter Kreis von rund 20 Personen persönlich im baden-württembergischen Alfdorf-Hummelgautsche getroffen. Das zweite Treffen, auf dem es konkret werden sollte, musste zwei Mal verschoben werden und brachte am 8. Februar 2020 in Minden nur 13 Personen an einen Tisch, trotz mutmaßlich zahlreicher Versuche vor allem seitens Somogyis, mehr Interessenten zu gewinnen. Konkret wurde es dennoch: Für die Zielsumme von 50.000 Euro gaben die Teilnehmer zahlreiche Zusagen, um davon Waffen zu kaufen. Nur 10.000 fehlten noch. Diese Lücke würde, nach Somogyis Idee, der damals nicht anwesende Düsseldorfer Ralf N. mit seiner »Bruderschaft Deutschland« füllen – wenn nicht, springe er selber ein. Auch welche Waffentypen beschafft werden sollten, wurde bereits besprochen.


Der Gründer der Bürgerwehr »Viking Security Germania – Division Sachsen-Anhalt« wollte die gewünschten Kurz- und Langwaffen wohl über seinen Waffenhändlerkontakt besorgen. Er habe zudem angeboten, Gruppenmitglieder billig mit sogenannten Slam-Guns, wie sie der Halle-Attentäter eingesetzt hatte, zu versorgen. Während der Durchsuchung bei ihm stießen die Ermittler auf solch ein selbstgefertigtes Gewehr. Der zeitweilige Präsident der Bürgerwehr »Wodans Erben Germanien« aus München habe die Aufgabe übernommen, Pistolen in Tschechien zu kaufen.
Die Polizei schlug nur eine knappe Woche nach dem zweiten ­Treffen zu. Denn gegen den Informanten war Misstrauen aufgekommen, seine Nerven lagen blank und die Sicherheitsbehörden mussten ein vorverlegtes Losschlagen der Rechtsterroristen befürchten – was dann zu einem noch größeren Desaster als dem in Halle hätte führen können.

Freikorps Revival – erwächst ein neuer Terrortypus?
Werner Somogyi, Hirn und Treiber der »Gruppe S«, war sehr rührig, sich Zugang zu verschiedenen faschistischen Strukturen zu verschaffen und deren Führungspersonen in seine Terrorgruppe einzubinden. Das gelang ihm mit dem »Viking«-Gründer und dem Präsidenten von »Wodans Erben« sowie mit Tony Ebel aus dem Landkreis Uelzen. Dieser gilt der Bundesanwaltschaft neben Somogyi als zweiter Rädelsführer und ist eine mutmaßliche Führungsperson beim »Freikorps Heimatschutz – Landesgruppe Niedersachsen«, ein Ableger der »Bruderschaft Deutschland«. Besonderes Augenmerk legte Somogyi auf den bereits erwähnten Ralf N., dessen Organisation über eine regionale Gliederung in Bayern verfügte, die »Bruderschaft Deutschland Sektion Süd« (BDSS), in der der LKA-Informant bereits Fuß gefasst hatte.

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Erstes Treffen der »Gruppe S«


In der »Gruppe S« haben von den 13 Verhafteten vom Februar 2020 acht einen Bezug zu Bürgerwehren und Bruderschaften. Somogyi selbst soll bereits früher bei dem ursprünglich aus Finnland stammenden Format der »Soldiers of Odin« aktiv gewesen sein. Die Aktionen sollten vor allem Angst verbreiten und einschüchtern: So drangen »Wodans Erben« im Februar 2019 in eine Münchner Flüchtlingsunterkunft ein und marschierten im Juli desselben Jahres in der Landeshauptstadt vor einer Synagoge auf.
Diese »Heimatschutz«-Gruppierungen mit ihren rassistischen Patrouillen sehen sich in der historischen Tradition der Freikorps Anfang des 20. Jahrhunderts, zu deren Wesenskern auch die Ermordung politischer Gegner*innen zählte. Deren heutiges Pendant rekrutiert sich aus Neonazis, Hooligans und Germanentümler*innen, allseits mit hoher Gewaltbereitschaft. Dieses Spektrum finden wir zugleich als radikalisierenden Faktor unter Corona-Leugner*innen, wo sie an eine breitere Bewegung anschließen können.


In der »Gruppe S« wirkten mit dem verstorbenen Ulf Rösener und einem Mann aus Minden zudem zwei »Reichsbürger« mit. Der als Terrorunterstützer geführte Polizeiverwaltungsangestellte Thorsten W. aus Hamm sei indes auf Events zu nordischer Mystik und Germanentum zu sehen gewesen. Außerdem habe er dem »Freundeskreis der Truppenkameradschaft der 3. SS-Panzer-Division ›Totenkopf‹« angehört. Bei der Polizei in Hamm war er zeitweise sogar für Fragen der Waffenregistrierung zuständig. Nahe dran an den »Reichsbürgern« ist auch ein Vollzeit-Prepper aus Kirchheim unter Teck. Somogyi habe ihn als Knallharten, Hundertprozentigen geschätzt – und wohl auch, weil er eine Firma besaß, in der sicherlich genug Maschinen vorhanden waren, um unbrauchbare Dekowaffen wieder schussfähig zu machen.
Auffällig ist die Altersstruktur der Beteiligten. Alle waren jenseits der 30, meist deutlich älter. Fast alle standen im Berufsleben und waren finanziell in der Lage, schnell Zusagen zum gemeinsamen Waffenankauf abzugeben. Umgekehrt gab es Spannungen, weil einige der mutmaßlichen Rechtsterroristen sich sorgten, ihre Familien und Jobs zu gefährden. So wollten der »Reichsbürger« Rösener und der Polizeimitarbeiter W. ihren Beitrag allein auf die Terrorfinanzierung begrenzen.

Lücken der Anklage
Seine Gruppe hatte Somogyi sich in einem weit größeren Umfang vorgestellt und sah sich fortlaufend nach weiteren geeigneten Kandidaten für sein Unterfangen um. Besonders im Auge hatte er die »Die Hamburger«, deren körperliche Kampfstärke ihn wohl beeindruckte. Somogyi und seine rechte Hand Ebel standen in Kontakt mit Thorsten K. und wollten außer ihm noch eine einstige Hamburger Türstehergröße anwerben, die schon vor Jahrzehnten im Umfeld einschlägiger Neonazi-Parteien auftauchte. Außerdem sei es um einen AfD-Kommunalpolitiker und Personenschützer aus dem Hamburger Umland gegangen, der ebenfalls bei diesen Demonstrationen in Erscheinung trat. Des Weiteren war wohl von einem Offizier der französischen Fremdenlegion im Ausstieg die Rede; Somogyi soll darauf spekuliert haben, dass er für Waffentransporte von Nutzen sein könnte. Die geplanten Anwerbungsversuche endeten jedoch mit den plötzlichen Razzien und Verhaftungen.
Schon wie beim weit verzweigten Terrornetz von »Nordkreuz« liegt der Verdacht nahe, dass nicht alle Personen und Einrichtungen, gegen die die »Gruppe S« konkrete Anschlagsplanungen hegte oder Daten sammelte, durch die Sicherheitsbehörden hinsichtlich der Gefährdungslage informiert wurden. Das wäre dringend nötig gewesen, denn es steht der Verdacht im Raum, dass die BDSS einen Angriff auf die »Antifa Freiburg« plante und Feindeslisten geführt wurden. Wahrscheinlich sind zudem illegale Datenabfragen durch den Polizeiangehörigen aus Hamm, wie es in der Vergangenheit bereits bei rechten Netzwerken in der Polizei der Fall war.

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Eine weitere Schwachstelle der Ermittlungen und der Anklage ist die Einengung des Beschuldigtenkreises auf Teilnehmer des zweiten Treffens in Minden. Ein solches Vorgehen des Generalbundesanwalts kennt man bereits aus den Ermittlungen zur Gruppe »Nordkreuz«. Es vereinfacht zwar die Beweisführung, ist aber verwunderlich. Denn andere eng in die Planungen eingebundene Männer waren damals offensichtlich nur aus Zeitgründen nicht erschienen. Sie könnten straffrei davonkommen.