Bewegung für die Medien

von Bernard Schmid
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 186 - September / Oktober 2020

#Frankreich

Antifa Magazin der rechte rand

»Widerstand« von Rechts mit viel rebellischer Attitüde – aber bitte de luxe! So stellte sich die Situation eines Dutzends junger Aktivist*innen der »Identitären Bewegung« in Frankreich dar, die am 13. Juni dieses Jahres durch die Pariser Polizei kurzzeitig in Gewahrsam genommen wurde. Hätte es sich um Linke oder um politisch aktive »Ausländer« gehandelt, wäre folgender Ablauf wahrscheinlich: vorübergehende Festnahme, Anlegen von Plastikfesseln oder Handschellen, Abtransport mit dem Polizeibus, Stunden in Gewahrsam auf der Wache. Danach die Einleitung eines Strafverfahrens.
Doch in diesem Fall lief es in bemerkenswerter Weise anders. Um die zehn »Held*innen« versandten munter aus dem Polizeibus heraus ein Gruppenfoto, auf dem sie ohne Handschellen und in bester Laune zu sehen sind. Auch ihre Benutzer*innenprofile, fein säuberlich jedem Gesicht zugeordnet, verrieten sie dabei. Corentin Rochefort und Jérémie Cavanna benutzen ohnehin ihre Vollnamen als User*innenidentitäten. Zusätzlich wurden etwa Jérémie Piano aus dem Raum Marseille, Johan Teissier oder die Toulouser Aktivistin Thaïs d’Escufon identifiziert. In Haft oder Polizeigewahrsam kamen sie nicht, lediglich ihre Personalien mussten sie angeben.

Schauplatz des Geschehens war die place de la République in der französischen Hauptstadt. Am Nachmittag jenes Sonnabends hatten die französischen »Identitären« einen ihrer wohl bedeutendsten PR-Erfolge erzielt. Zehntausende Menschen versammelten sich zunächst auf dem Platz im nördlichen Pariser Zentrum, um – im Zuge der Protestbewegung nach dem brutalen Tod von Georg Floyd in den USA, aber auch im Zusammenhang mit Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus in Frankreich selbst (s. drr Nr. 185) – eine Protestdemonstration abzuhalten. Diese wurde dann im weiteren Verlauf des Nachmittags durch massive Polizeikräfte verhindert und letztendlich abgebrochen.

ABO
Das Antifa Magazin

alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.

Doch bevor es dazu kam, hatten die Aktivist*innen von »Génération identitaire« (GI) – die in ungleich geringerer Zahl vor Ort waren – es geschafft, die Nachrichten vom Protest der mindestens zwanzigtausend Versammelten bei den Nachrichtenagenturen mit ihrer eigenen Aktion kurzfristig zu überschatten. Sie hatten aus dem Dachfenster im siebten Stockwerk eines an die place de la République angrenzenden Gebäudes ein größeres Transparent gehisst. Auf diesem stand »Justice pour les victimes du racisme anti-blanc« (»Gerechtigkeit für die Opfer des anti-weißen Rassismus«), eine bewusste Provokation der sich unten auf dem Platz und den ihn umgebenden Straßen formierenden Proteste.

Anschließend wurden nacheinander Rauchfackeln in den Farben der Nationalfahne blau, weiß und rot entzündet. Auf dem Platz stellte sich die Aktion der »Identitären« für die Anwesenden nicht ganz so triumphal dar, wie diese selbst es gern wahrgenommen hätten: Nach wenigen Minuten eilte ein junger Mann aufs Dach, den wohl Anwohner*innen über ihren Balkon hoch gelassen hatten und über den später bekannt wurde, dass er für seine Praxis bei Extremsportarten bekannt ist und den Spitznamen »Akrobat« trägt. Er schnitt das Transparent kurzerhand in der Mitte auseinander und knüllte den unteren Teil zusammen. Die »Identitären« flohen wenig später auf die andere Seite des Dachs.
Doch für das Medienpublikum außerhalb des Platzes kam nicht unbedingt dieses eher unrühmliche Ende der Aktion an, sondern die Botschaft, dass sie stattgefunden hatte, zusammen mit ein oder zwei spektakulären Bildern.

Medienaffine Reaktionäre
Inhaltlich war diese Art von »Widerstand« selbstredend nicht gegen die Mächtigen, nicht gegen die Staatsmacht und auch nicht gegen das Kapital gerichtet. Das dürfte auch der Grund sein, warum den Betroffenen eine ausgesprochen freundliche Begleitung durch die Polizei widerfuhr. Das Aufgreifen der Beteiligten am Fuße des Gebäudes diente mehr ihrem Geleit als dazu, sie festzunehmen oder gar einer Strafe zuzuführen. Es habe »keine Straftat bestanden«, sollte die Pariser Polizeiführung dazu dann später erklären, was wiederum nicht stimmt, denn mindestens ein Hausfriedensbruch dürfte vorgelegen haben.
So verlief eine geradezu prototypische Aktion von »Génération identitaire«, die, wie die meisten ihrer Art, auf eine psychologische und symbolische Wirkung in den Medien abzielte. In jüngerer Zeit häuften sich solche Aktivitäten wieder, die an die sechsstündige Besetzung eines Moscheedachs im westfranzösischen Poitiers durch mehrere dutzend Mitglieder am 20. Oktober 2012 anknüpfen. Zum Beispiel im Oktober 2019, als ihre Anhänger*innen in vergleichbarer Weise mit einem Transparent am Rande einer Kundgebung zahlreicher algerischer Staatsbürgerinnen und -bürger – die sich mit den Massenprotesten in ihrem Herkunftsland solidarisierten – provozierten. Bereits zuvor hatten »Identitäre« am 29. März 2019 ein Transparent mit der Aufschrift »Geld für Franzosen, nicht für Ausländer« auf dem Dach einer Sozial- und Wohngeldstelle in der Pariser Vorstadt Bobigny (der Hauptstadt des Départements Seine-Saint-Denis – des ärmsten der 100 französischen Verwaltungsbezirke), gehisst. Die örtlichen Gewerkschaften und die Stadtverwaltung verurteilten die Aktion scharf. Regelmäßig fordern »Identitäre« bei solchen Aktionen, wie auch im Mai 2018 auf einem Alpenpass nahe der französisch-italienischen Grenze oder im Oktober desselben Jahres bei einer Besetzung der Seenot-Hilfsorganisation SOS Méditerranée in Marseille, eine »rémigration«, das heißt: Eine »Ausländerrückführung«.

Im Zusammenhang mit der Aktion in Bobigny hatte auch die französische Regierung zeitweilig erwogen, nun auch »Génération identitaire« mit einem Verbot zu belegen, nachdem kurz zuvor eine andere extrem rechte Vereinigung verboten wurde. Dabei handelte es sich um den »Bastion social«, einen Ableger der aus dem klassisch faschistisch orientierten Spektrum kommenden 1969 gegründeten Gruppierung »Groupe Union Défense« (GUD), der jedoch das traditionelle Tätigkeitsspektrum dieser Gruppe um soziale Demagogie und Hausbesetzungen erweitert hatte.

Fast verboten
Zum Verbot von »Génération identitaire«, die ungleich innovativer, medienorientierter und gewollt »moderner« auftritt als die Stiefelfaschisten aus dem Umfeld des GUD, kam es dann jedoch nicht. »Génération identitaire« war ursprünglich die Jugend- und Jungerwachsenvereinigung des »Bloc identitaire«, der die Hauptorganisation der »Identitären Bewegung« in Frankreich darstellen sollte; in den letzten Jahren nimmt man jedoch faktisch nahezu nur »Génération identitaire« wahr, die in ihrem Spektrum stark im Vordergrund steht.
Beide Gruppierungen waren 2002/03 in wenigen Monaten Abstand hintereinander entstanden, zuerst »Génération identitaire« mit einer formalen Gründung im Oktober 2002 und dann der »Bloc« ein halbes Jahr später. Es ging damals darum, schnell einen organisatorischen Ersatz für die Anfang August 2002 per Auflösungsbeschluss des Ministerrats verbotene Vereinigung »Unité Radicale« (UR) zu sorgen. UR hatte sich 1998 als Zusammenschluss mehrerer kleinerer Gruppen und Miniparteien gebildet, um den »nationalen und außerparlamentarischen Flügel der nationalen Rechten« zu sammeln, also die Kräfte jenseits des institutionalisiert auftretenden »Front National« (FN, seit 2018 inzwischen in »Rassemblement National« (RN)/»Nationale Sammlung« umbenannt), mit dem es freilich nach wie vor personelle Überschneidungen gab. Doch nachdem am 14. Juli 2002 das UR-Mitglied Maxime Brunerie in einer eigenmächtigen Aktion aus einem Karabinergewehr auf Staatspräsident Jacques Chirac schoss, ereilte die »Unité Radicale« das Verbot.

Ihre Nachfolgeorganisationen vollzogen jedoch einige ideologische Brüche gegenüber UR, insbesondere relativierten der »Bloc identitaire« und seine Jugendorganisation die Bedeutung des bei UR sehr präsenten Antisemitismus ganz erheblich, ja schworen ihm sogar nach wenigen Jahren, zumindest offiziell, vollständig ab.
Ferner setzt der »Bloc identitaire« auf eine Art Dreiklang der zu verteidigenden »Identitäten« – regionale, nationale und europäische –, die wie eine Art russischer Puppen ineinandergreifen sollen. Dies ist aus seiner Sicht erforderlich, weil nur so eine »eingewurzelte echte Identität« definiert werden könne; denn Einwanderer*innen können nur durch Einbürgerung Französ*innen werden, aber eben unmöglich als »Baske, Bretone oder Elsässer« betrachtet werden. Kritisiert wird auch »Rassemblement National« dafür, dass hier allein die Nation im Mittelpunkt stehe und noch dazu in der »jakobinischen« – also in einer bürgerlich-revolutionären – Tradition über einen starken, republikanisch verfassten Zentralstaat definiert werde – ein absolutes Unding aus Sicht der »Identitären«.

Ein Angebot des »Bloc identitaire« zur formalen Kooperation mit ihrer Partei schlug Marine Le Pen deswegen im November 2012 aus. Sie griff die kleine Organisation dabei als »Europäisten und Regionalisten« ideologisch scharf an. Nichtsdestotrotz bestehen Kooperationen zwischen ihrer Partei und den »Identitären«; aus ihren Reihen kandidierte etwa Philippe Vardon aus Nizza vielfach für den FN und späteren RN zu Wahlen auf lokaler Ebene ebenso wie zu Parlamentswahlen. Parteichefin Marine Le Pen zählt ihn heute zu den »RN-Funktionären mit der am stärksten ausgeprägten sozialen Ader«.


Außerhalb des RN als Hauptpartei der extremen Rechten in Frankreich können die »Identitären«, die über offiziell 3.000 Aktive – in Wirklichkeit ein paar Hundert real »Abrufbare« – verfügen, jenseits ihrer PR-Effekte und Medienkampagnen nicht allzu viel ausrichten. Die zur europäischen Vernetzung veranstalteten »Conventions identitaires« tagten insgesamt dreimal – 2006, 2008 und 2012 – jeweils im seit 1996 von einem extrem rechten Bürgermeister regierten Städtchen Orange in der Provence. Regelmäßiger finden die Camps statt, zuletzt das Sommerlager von GI vom 9. bis 15. August 2020 in der Auvergne. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus theoretischer Bildung und Vorträgen sowie körperlicher Ertüchtigung wie Boxen, Klettern oder auch Blockadetraining.
Insgesamt kann festgestellt werden, dass die als »Bewegung« gestartete »Génération identitaire« zur Zeit auf die Funktion als Aufmerksamkeitsfängerin und Stichwortgeberin reduziert ist.