Beihilfe zu Mord

von Andreas Speit
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 188 - Januar / Februar 2021

#Konzentrationslager

Die Staatsanwaltschaft Itzehoe hat Anklage gegen eine ehemalige Sekretärin im KZ-Stutthof erhoben. Erstmals ist damit eine Schreibkraft angeklagt.

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Frauen als Täterinnen waren am Massenmord und Holocaust vielfach beteiligt. Hier: Lagerschutz vom KZ Bergen-Belsen nach ihrer Festnahme @ Oakes, H (Sgt) No 5 Army

Nach einer etwa fünfjährigen Ermittlungsarbeit gegen Irmgard F. hat die Staatsanwaltschaft Itzehoe nun Klage gegen die ehemalige Sekretärin des Lagerkommandanten des KZ-Stutthof, Paul Werner Hoppe, erhoben. Der 95-jährigen wirft sie vor, in dem KZ nahe Danzig als Sekretärin und Stenotypistin zwischen Juni 1943 und April 1945 Beihilfe bei der Ermordung von mehr als 10.000 Menschen geleistet zu haben. In weiteren Fällen hält die Strafverfolgungsbehörde aus Schleswig-Holstein ihr auch  Beihilfe zum versuchten Mord vor. Die Beschuldigte soll den »Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von jüdischen Gefangenen, polnischen Partisanen und sowjetrussischen Kriegsgefangenen Hilfe« geleistet haben, erklärt der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft.

Das KZ-Stutthof in Polen war in den besetzten Gebieten das Konzentrations- und Vernichtungslager, das am längsten in Betrieb blieb. Die Vernichtungsmaschinerie endete erst am 9. Mai 1945, dem Tag des Kriegsendes, durch die Befreiung durch die  Rote Armee.

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@ Mark Mühlhaus / attenzione

Bereits einen Tag nach dem Überfall der Wehrmacht am 2. September 1939 hatte in dem KZ und dessen Nebenlagern die gezielte Vernichtung begonnen – in den sechs Jahren ermordete die SS dort etwa 65.000 Menschen. Die Tötungen  mit dem Giftgas Zyklon B fanden in einer Gaskammer und einem Gaswaggon statt. Andere Inhaftierte wurden durch eine Genickschussanlage oder mit der Giftspritze getötet. Viele starben auch durch eine Typhus-Epidemie im Lager, die von den Verantwortlichen nicht eingedämmt wurde.

Im bislang letzten KZ-Stutthof-Prozess gegen den KZ-Wachmann Bruno D., der 2020 vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts Hamburg mit einen Schuldspruch endete, schilderten Überlebende im Saal oder per Videoschaltung die Zustände. Die ankommenden Kinder seien sofort getötet wurden. Marek Dunin-Wasowicz, der aus einer polnischen Widerstandsfamilie kommt, betonte: Jeder habe gewusst, dass sie in dem Lager nahe Danzig sterben sollten. »Der Weg zur Freiheit führt durch den Schornstein«, sagte Dunin vor Gericht. Halina Strnad schilderte via Zuschaltung Erhängungen und Selbstmorde der Eingesperrten, die in den elektrischen Zaum liefen. »Wir wurden Untermenschen genannt und sahen wie Untermenschen aus«, sagte die Frau aus einer jüdische Familie und erzählte,  eine Schwangere habe ein fünf Monate altes Baby tot geboren. Mit einer Glasscherbe trennten sie die Nabelschnur durch, die Mutter  starb am Blutverlust. Das tote Baby versenkte Halina Strnad in der Latrine. »Ein paar Tage später schwamm der Körper des Babys oben auf.« Dieses Bild habe sie in ihren Albträumen jahrelang gesehen.

Von den Tötungen will Irmgard F. vor Ort nichts mitbekommen haben. Vor gut einem Jahr sagte die Rentnerin, die in einem Altersheim im Kreis Pinneberg lebt, einem NDR-Reporter, sie habe erst nach Kriegsende von den Morden erfahren. Ihr Arbeitsplatz lag allerdings in der Kommandantur beim Haupteingang des KZ. In den 1950er Jahren sagte Irmgard F. aus, ihr einstiger Chef Hoppe sei ein »pflichtbewusster« Vorgesetzter gewesen. Sie räumte ein, dass über ihren Schreibtisch der gesamte Schriftverkehr mit dem SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt gelaufen sei.

Nach Ermittlungen einer sowjetischen und später polnischen Kommission waren bereits ein Jahr nach Kriegsende fünf Aufseherinnen des KZ Stutthof zum Tode verurteilt worden. Nach 1945 liefen verschiedene Prozesse, in denen auch Frauen als Täterin verurteilt wurden. In den Konzentrationslagern im besetzten Polen sollen an die 3.500 Frauen beschäftigt gewesen sein, schätzt die Historikerin Andrea Rudorff. Die meisten Täterinnen kamen nicht vor Gericht, da gegen sie als Lagerpersonal, das in der Küche, Verwaltung oder Telefonzentrale tätig war, gar nicht ermittelt wurde. Erst vor zehn Jahren änderte sich die Rechtsinterpretation,als das Landgericht München 2011 den KZ-Aufseher John Demjanjuk wegen Beihilfe zum tausendfachen Mord verurteilte, da er »Teil dieser Vernichtungsmaschinerie« gewesen war.

In diesem Kontext hatte  die »Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen« in Ludwigsburg 2016 die Ermittlungen gegen Irmgard F. an die Staatsanwaltschaft in Itzehoe abgegeben. Diese beauftragte im vergangenen Jahr einen Historiker, um die Rolle der Beschuldigten als KZ-Sekretärin in dem Lager einzuschätzen. Das Ergebnis in einem Zwischenbericht: die Tätigkeit war für den Betrieb eines Konzentrationslagers elementar.

Weitere Ermittlungen in Schleswig Holstein richteten sich gegen eine frühere Sekretärin von Stutthof, die jedoch im vergangenen Jahr verstarb. Mit Irmgard F. könnte nun erstmals eine Sekretärin der Vernichtungsmaschinerie vor Gericht kommen. Die Anklage hat die Staatsanwaltschaft vor der Jugendkammer des Landgerichts Itzehoe erhoben, Irmgard F. war zur Tatzeit zwischen 18 und 20 Jahre alt. Bis heute soll sie geistiggesund sein, daher hält die Staatsanwaltschaft  sie für verhandlungsfähig.