Waldorfschulen auf Rechtskurs

von Peter Bierl
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 156 - September / Oktober 2015

Wiederholt fielen zuletzt völkische LehrerInnen, »Reichsbürger« und VerschwörungstheoretikerInnen an Waldorfschulen auf. Die Anziehungskraft dieser Schulen auf die extreme Rechte ist auch Resultat der anthroposophischen Ideologie von Rudolf Steiner.

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Rudolf Steiner

Die Waldorfschulen kommen derzeit aus den Negativ-Schlagzeilen nicht heraus. So gab es im vergangenen Jahr gleich mehrere Fälle von Kontakten zur Szene der »Reichsbürger«. Unter anderem wurde der Geschäftsführer der Waldorfschule Rendsburg im September 2014 entlassen, weil er mit Gruppen wie »NeuDeutschland«, »Reichsbürger« und »Deutsches Polizeihilfswerk« in Verbindung stand. Der Mann klagte auf Wiedereinstellung, man einigte sich im Frühjahr vor dem Arbeitsgericht in Kiel auf eine Abfindung. Der »Bund der Freien Waldorfschulen« sah sich schließlich veranlasst, im Januar 2015 eine Broschüre zur »Reichsbürger«-Bewegung zu veröffentlichen. Man müsse sich damit auseinandersetzen, weil die alternative Szene, zu der anthroposophisch inspirierte Initiativen in der Landwirtschaft, der Medizin und Pädagogik gehören, eine »große Anziehungskraft auf Reichsbürger« hätten. Dabei ginge es nicht um Ausgrenzung oder Diffamierung Andersdenkender, sondern um »klare Begriffsbildung und die notwendige Abgrenzung zu rechtsextremen Positionen«, heißt es in der Einleitung der Broschüre unter dem Titel »Die Reichsbürgerbewegung – eine kritische Auseinandersetzung mit dem Neu-Deutschtum«.

Verschwörungstheoretiker
Diese Veröffentlichung hat jedoch wohl wenig genutzt. Im Juli 2015 sah sich der Vorstand des Bundesverbandes erneut genötigt zu intervenieren. Anlass waren SchülerInnen der Einrichtung Filstal in Göppingen, die den Verschwörungstheoretiker und Mitinitator der »Friedensmahnwachen« Ken Jebsen, selbst ein ehemaliger Waldorfschüler, sowie den österreichischen Rapper Kilez More zu Projekttagen eingeladen hatten. Die LehrerInnen sollten doch darauf achten, dass man sich nicht irgendwelche Verschwörungstheoretiker ins Haus hole, mahnte der Vorstand. Die SchülerInnen-Mitverwaltung hingegen unterstellte den Journalisten, die den Vorgang publik gemacht hatten, sie wollten Menschen, die eine »ungewohnte und provozierende Meinung vertreten, »mundtot machen«.
Die Veranstaltung mit Jebsen in der Schule wurde abgesagt. Der sprach daraufhin vor mehr als 100 TeilnehmerInnen in einer Vereinsgaststätte. Dann stellte sich heraus, dass More ebenfalls bei den Projekttagen der Schule auftreten sollte. Die »Landeszentrale für Politische Bildung« in Baden-Württemberg warnte vor ihm, die »Schulführungskonferenz« der Waldorfschule verteidigte jedoch den Auftritt. Zwar könne die »Radikalität seiner Aussagen« Erwachsene schockieren, sie sei aber »Stilmittel des Rap«, in dem sich »der Unmut der Jugend« ausdrücke, hieß es in einer Stellungnahme. Der Rapper leugnet in seinen Songs den Klimawandel, behauptet, die Menschheit werde durch so genannte »Chemtrails« aus Flugzeugen vergiftet und zieht auch gerne KZ-Vergleiche.

Völkische Gruppen
Über Monate zog sich eine Auseinandersetzung an der Waldorfschule Minden um Wolf-Dieter Schröppe hin, nachdem die Verbindungen des Lehrers zu völkisch-neuheidnischen Gruppen bekannt wurden. Demnach war Schröppe beim »Bund Deutscher Unitarier« (BDU) aktiv und fungierte bis 2005 jahrelang als stellvertretender Vorsitzender der Gruppe Mittelhessen. Diese neuheidnisch-pantheistische Gruppe formierte sich 1989 um Sigrid Hunke, eine wichtige Ideologin der »Neuen Rechten«, die das Christentum als einen Europa aufgezwungenen, fremden, im Kern jüdischen Glauben verwirft und durch eine »arteigene Religion« ersetzen will. Der BDU stand so in der Tradition der »Deutschen Glaubensbewegung« aus der NS-Zeit. Außerdem hatte Schröppe Kontakte zur »Artgemeinschaft«, einer rassistischen Organisation, und ist Vorsitzender des »Ahnenstättenvereins Conneforde« bei Oldenburg, einem Sammelbecken von Alt- und Neonazis.
Zwar forderten der »Bund der Waldorfschulen« und die »Arbeitsgemein­schaft der Waldorfschulen« in Nordrhein-Westfalen die Mindener Schule auf, den Mann zu entlassen, aber eine Schulversammlung im Juni 2015 zeigte sich gespalten. Zu dem Zeitpunkt lag bereits eine Studie der »Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus« in Herford vor. Darin heißt es, Schröppe müsse als »Aktivist innerhalb eines extrem rechten völkischen Netzwerkes gesehen werden«. Dennoch wollte nur ein Drittel der Teilnehmenden der Schulversammlung Schröppe entlassen, ein Drittel ihn vom Dienst suspendieren und die Vorfälle prüfen und ein Drittel den Mann sogar weiter beschäftigen. Der »Bund der Waldorfschulen« reagierte prompt und stellte ein Ultimatum: Sollte die Einrichtung sich nicht bis zum Schuljahresbeginn in Nordrhein-Westfalen von Schröppe trennen, drohe der Waldorfschule ein Ausschlussverfahren. Schließlich wurde das Arbeitsverhältnis von Schröppe in beidseitigem Einvernehmen Anfang August aufgelöst.

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Anziehungskraft auf Rechte
Diese aktuellen Beispiele sind nicht die ersten Vorfälle dieser Art. 2004 kündigte Andreas Molau seinen Job an der Waldorfschule Braunschweig, wo er jahrelang Deutsch und Geschichte unterrichtet hatte, weil er als schulpolitischer Experte für die neue NPD-Fraktion im sächsischen Landtag und für die NPD-Zeitung »Deutsche Stimme« arbeiten wollte. Die Waldorfschule feuerte Molau und erteilte ihm Hausverbot. Der Waldorflehrer Bernhard Schaub aus der Schweiz veröffentlichte im Oktober 1992 ein Buch mit dem Titel »Adler und Rose«. Darin behauptete er, der Zweite Weltkrieg sei ein Präventivkrieg gewesen und stellte auch die Existenz der Gaskammern in Auschwitz in Frage. Nach Presseberichten über Schaub entließ die »Rudolf-Steiner-Schule« in Adliswil im Januar 1993 den Deutsch- und Geschichtslehrer.
In dem Brief des Waldorfbund-Vorstandes vom Juli 2015 wegen der Vorgänge um Jebsen ist davon die Rede, dass Waldorfschulen eine »gewisse Anziehungskraft auf Menschen auszuüben scheinen, die dem rechten oder verschwörungstheoretischen Spektrum angehören«. Warum das so ist, wird jedoch nicht untersucht. In Minden scheint Schröppe nicht aufgefallen zu sein, ähnlich wie Jahre zuvor Molau in der Braunschweiger Schule. Das könnte daran liegen, dass die Anthroposophie von Rudolf Steiner, auf der die Waldorfpädagogik beruht, einige Anknüpfungspunkte für Rechte und VerschwörungstheoretikerInnen bietet. Steiner vertrat eine spezifische Rassenlehre, verkündete eine besondere spirituelle Mission der Deutschen und beklagte einen negativen Einfluss der Jüdinnen und Juden. In der Analyse der »Mobilen Beratungsstelle Herford« heißt es, in den Texten von Schröppe fänden sich wesentliche Denk- und Argumentationsmuster völkischer Ideologie, darunter ein verklärendes Germanenbild sowie eine Abneigung gegen die moderne Zivilisation und den Intellekt.

Antisemitische Stereotype
Nötig wäre eine offene und kritische Auseinandersetzung mit der Anthroposophie. Denn bis heute werden zum Beispiel auf den Homepages der Waldorfschulen Minden und Filstal Aufführungen der »Oberuferer Weihnachtsspiele« angekündigt, in Minden mit Verweis auf Rudolf Steiner und seinen Mentor, den deutschnationalen Germanistikprofessor Karl-Julius Schroer, der das Stück angeblich bei deutschen Siedlern in Ungarn entdeckt haben soll. Steiner und Schroer galt dieses Bauerntheater als Ausdruck des deutschen Volksgeistes. Im Stück finden sich klassische Stereotype des christlichen Antisemitismus. Die Juden berichten Herodes von Jesu Geburt und stacheln ihn damit zum biblischen Knabenmord auf. Sie sind nach Steiners Regieanweisung servil und schmeichlerisch darzustellen. Selbst unter AnthroposophInnen regt sich gelegentlich Unmut über die Aufführungen. Es handle sich um eine »stereotypische, antisemitische Darstellung von Juden«, wie sie heutzutage »außerhalb des anthroposophischen Zusammenhangs höchstens noch Applaus im Lande von Ahmadinedschad bekommen hätte«, äußerte Sebastian Gronebach vor einigen Jahren in der Zeitschrift »Info 3«, einem anthroposophischen Blatt.

Erzengel und Elementargeister
Auch die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien kommt nicht von ungefähr. Die Anthroposophie lehrt die Existenz von höheren Mächten, von Erzengeln, Volksgeistern und Götterboten, die das Leben der Menschen lenken. In der Waldorfpädagogik spielen sogenannte Elementargeister eine große Rolle. Zeitgeschichtliche Ereignisse werden durch das Wirken der Dämonen Ahriman und Luzifer erklärt, die für Materialismus und Intellektualismus stehen. Den Ersten Weltkrieg deuteten Steiner und sein Anhang als Verschwörung finsterer Mächte gegen Deutschlands Mission, insbesondere einer Allianz aus britischen Freimaurern, Jesuiten und jüdischen Bankern. Nach dem Ersten Weltkrieg wehrten sich Anthroposophen deshalb gegen den Vorwurf der Kriegsschuld Deutschlands sowie gegen den Versailler Vertrag. Die Galionsfigur der späteren Ostermarschbewegung, Renate Riemeck, Anthroposophin und vormaliges NSDAP-Mitglied, wiederholte diese abstruse Sichtweise in einer Artikelserie, die unter dem Titel »Mitteleuropa – Bilanz eines Jahrhunderts« (1965) veröffentlicht wurde und inzwischen vier Auflagen erlebt hat.
Der anthroposophische »Perseus-Verlag« in der Schweiz hat sich auf dieses Thema seit vielen Jahren spezialisiert. Dessen Chef Thomas Meyer deutet den Ersten Weltkrieg wie auch den aktuellen Ukraine-Konflikt als Versuche der angloamerikanischen Mächte, die Mission Mitteleuropas zu torpedieren. Diese bestehe darin, den »aus der Tyrannei des Bolsche­wismus befreiten Ostvölkern« neue spirituelle Entwicklungen zu vermitteln. Meyers Zeitschrift »Der Europäer« bietet VerschwörungstheoretikerInnen ein Forum. »Wer sich genauer informierte, weiß, dass die US-Regierung selbst die Hand im Spiel hatte«, schrieb Meyer im Vorspann zu einem Interview mit Gerhard Wisnewski über die islamistischen Anschläge des 11. September 2001 in den USA.
Zum 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs von 1914 schrieb Lorenzo Ravagli in der Zeitschrift »Erziehungskunst«, die der »Bund der Waldorfschule« herausgibt, Steiners Äußerungen zum Ersten Weltkrieg und seiner Vorgeschichte hätten sich allesamt als wahr erwiesen. Das gelte insbesondere für die »esoterischen, okkulten und spirituellen Tatsachen«, etwa die Fähigkeiten der angelsächsischen politischen Elite mit Verstorbenen zu kommunizieren, sowie das Wirken maurerischer und pseudo-maurerischer Bruderschaften in der britischen, lateinischen, russischen und slawischen Welt (Heft Juli/August 2014). Ravagli hatte mit dem damaligen NPD-Funktionär Molau zusammen ein Buch verfasst, es aber vor der Veröffentlichung zurückgezogen, nachdem das Magazin »stern« im Herbst 2007 darüber berichtete. Ravagli ist bis heute Redakteur der »Erziehungskunst«.

Nur »vereinnahmt«?
Der »Bund der Waldorfschulen« wird dem Anspruch von Aufklärung und Auseinandersetzung nicht gerecht, wenn er braune Flecken in der Anthroposophie leugnet. So heißt es in der »Reichsbürger«-Broschüre lediglich, einige AnthroposophInnen hätten sich 1933 von den NationalsozialistInnen blenden lassen und die Waldorfschulen hätten nach Kompromissen mit dem NS gesucht. So wird zum Beispiel die aktuelle Studie des US-Historikers Peter Staudenmaier »Between Occultism and Nazism: Anthroposophy and the Politics of Race in the Fascist Era« (Brill Academic Pub, Leiden 2014) über ideologische und personelle Überschneidungen nicht berücksichtigt. Das Fazit in der »Reichsbürger«-Broschüre lautet stattdessen, die kosmopolitisch-individualistischen Ideen Steiners seien von völkischen Ideologen »vereinnahmt« und »missbräuchlich verwendet« worden. Bei solcher Verdrängungsleistung dürften die nächsten Coming-Out-Fälle rechter LehrerInnen an Waldorfschulen wohl vorprogrammiert sein.