Trump, die Republikaner und der Sturm auf das Kapitol

von Carl Kinsky
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 187 - Januar 2021

#USA

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Trump sucht sein Herz vergeblich.

Fünf Tote und eine extreme Rechte im Rausch der Selbstermächtigung – das ist die Bilanz der gewalttätigen Erstürmung des Kapitolgebäudes in Washington D.C. Bei der formalen Zertifizierung der Präsidentschaftswahlen am 6. Januar 2021 spielte sich ein Szenario ab, das sich spätestens ab Frühjahr 2020 abgezeichnet hatte. Donald Trump und ihm loyale Fraktionen der Republikanischen Partei griffen angesichts von antirassistischen Massenprotesten gegen Polizeigewalt und institutionalisiertem Rassismus sowie unbeliebten Lockdowns zur Eindämmung der Covid19-Pandemie, insbesondere in Ländern und Gemeinden unter Führung der Demokratischen Partei, vor allem auf die Mobilisierung extrem rechter Milizen und Straßenschläger zurück, um ihre politische Macht zu wahren. Begleitet wurde diese Entwicklung von einer vollumfänglichen Reproduktion Trumpscher Narrative durch rechte Medien wie Fox News, die pausenlos von einer »sozialistischen» beziehungsweise »kommunistischen« Bedrohung durch antirassistische Proteste und Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid19 faselten.

Hierdurch fühlte sich insbesondere die Milizbewegung, welche die Bundesregierung und ihre Behörden durch eine breite Militarisierung der Zivilbevölkerung abschaffen möchte, dazu berufen, als Vorkämpferin des Trumpismus zur Förderung ihrer eigenen Ziele aufzutreten. Im April 2020 organisierten der Republikanischen Partei nahestehende Organisationen Proteste gegen eine Lockdown-Verordnung der demokratischen Gouverneurin von Michigan Gretchen Whitmer. Trump machte sie immer wieder zur Zielscheibe seiner verbalen Angriffe, um die Proteste anzuheizen. Schnell traten Mitglieder von Milizen – zumeist Männer – mit Schusswaffen im Anschlag bei diesen Protesten auf und nutzten die schlechte Vorbereitung von Sicherheitskräften, um in der Sicherheit der Masse in das Kapitolgebäude von Michigan einzudringen und Mitglieder des Landesparlaments zu bedrohen. Fatal war hier eine Sicherheitsverordnung, welche das Tragen von Schusswaffen im Kapitolgebäude gestattet, womit dem Gebaren der Milizen Tür und Tor geöffnet wurde. Für sie blieb daher der Affront gegen die parlamentarische Demokratie folgenlos und daher ein nicht zu unterschätzendes Erfolgserlebnis.

Unter den Milizionären, die in das Kapitol von Michigan am 30. April 2020 eindrangen, waren auch Mitglieder der »Wolverine Watchmen« (derrechterand Nr. 187), die mindestens seit März 2020 mit der Planung eines Bürgerkriegs von Rechts begonnen hatten. Beflügelt von diesem Erfolgserlebnis bereiteten sie in den folgenden Monaten die Entführung von Whitmer vor, um sie in einem Akt der Lynchjustiz vor ein »Volksgericht« zu stellen und hinzurichten. Anfang Oktober wurden 13 Mitglieder wegen der Vorbereitung terroristischer Akte von der Bundes- und Landespolizei verhaftet. Aus einer Anklage des Generalstaatsanwalts von Michigan im November geht hervor, dass die Gruppe auch plante, das Kapitolgebäude erneut zu stürmen, aber diesmal wahlweise Landtagsabgeordnete einzeln vor laufender Kamera zu erschießen oder das komplette Gebäude samt Landtagsabgeordneten niederzubrennen. So zeichnete sich spätestens hier ab, dass die Republikanische Partei die extrem rechten Mobs, die sie anrief, nicht kontrollieren kann und sie auch jederzeit selbst zur Zielscheibe von deren Gewalt werden kann. Für Trump selbst fungieren sie letztlich nur als Mittel, um politische Gegner*innen bei der Demokratischen und Republikanischen Partei einzuschüchtern.

Bereits vor der Präsidentschaftswahl im November 2020 sprach die antirassistische Bildungsstelle Political Research Associates von einem »weichen Coup«, den Trump durch die Missachtung demokratischer Normen auf politischem Wege, ohne Unterstützung von Militär oder Polizei, anstrebe. Tatsächlich versuchte Trump die Legitimität und Funktionalität der Wahlen zu untergraben, erkannte seine Niederlage nicht an und ging schließlich dazu über, selbst Wahlleiter*innen der Republikanischen Partei zu bedrohen. Seit der Wahl sind immer wieder kleinere, teilweise bewaffnete, extrem rechte Gruppen gegen angeblichen Wahlbetrug vor den Privatwohnungen von Wahlleiter*innen und Politiker*innen beider Parteien aufgezogen oder lauern ihnen im Alltag auf, um diese zur illegalen Wahlfälschung beziehungsweise deren Unterstützung zu drängen. Viele erhalten seit der Wahl ununterbrochen Morddrohungen, zuletzt insbesondere in Georgia aufgrund der dortigen Senatswahlen.

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Q-Anon © Mark Mühlhaus / attenzione

Nachdem Wahlleiter*innen in Georgia Trumps explizite Bitte um Wahlfälschung ausschlugen und auch die Trump sonst stets loyalen Mitch McConnell, Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, und Mike Pence, Vizepräsident, die Gefolgschaft im Wahlbetrug in letzter Sekunde verwehrten, entschloss er sich zu einem verzweifelten letzten Versuch, seine Präsidentschaft doch noch fortzusetzen. Trump rief seine fanatischsten Anhänger*innen zu einem finalen Kampf am 6. Januar zusammen und viele extrem rechte Milizionäre und andere Gruppen wie die »Proud Boys« folgten seinem Ruf in die Hauptstadt. Sie machten keinen Hehl daraus, mit Gewalt gegen das Ende der Präsidentschaft Trumps vorgehen zu wollen. Ideologisch vereinten an diesem Tag die Mehrheit vor allem antikommunistische und antisemitische Verschwörungserzählungen, die derzeit vor allem in dem »Q-Anon«- Verschwörungsmythos ihren Ausdruck finden. Dabei geht es einerseits um die Vorstellung, die Demokratische Partei versuche mittels antirassistischer und antifaschistischer Organisationen einen autoritär-sozialistischen Staat zu errichten und andererseits um die Erzählung, eine »pädophile, satanische« – sprich »jüdische« – gesellschaftliche Elite lenke die gesamte Politik des Landes im Hintergrund . Entsprechend wähnten sich viele der Anwesenden bereits in einem Bürgerkrieg. Der faschistische Mob, der im August 2020 in Berlin versuchte, in das Reichstagsgebäude einzudringen, war auch erheblich durch den »Q-Anon« -Verschwörungsmythos mitbeeinflusst. Anders als in Washington waren die Anwesenden aber scheinbar nicht auf einen Kampf mit den Polizeikräften vor Ort vorbereitet und drangen nur aufgrund ihrer geringeren Zahlen und eigener Unentschlossenheit nicht in das Gebäude ein. In Washington brachten die Demonstrant*innen entsprechend ihrer Straßenkampferfahrungen der letzten fünf Jahre Schlagstöcke, Reizgase, Schusswaffen und Molotow-Cocktails zur Kundgebung mit und kündigten in ihren Internetauftritten bereits den Beginn einer »Revolution« an. Vor den Hauptquartieren der Republikanischen und Demokratischen Partei wurden Rohrbomben platziert. Trump und seine Handlanger stachelten die Menge bewusst mit expliziter Kampfrhetorik auf, um sie dann auf den Kongress zu hetzen und insbesondere auf die eigene Partei Druck auszuüben.

Der entfesselte Mob hatte dabei wenig Schwierigkeiten, die unvorbereitete Bundespolizei zu überwältigen. Einzelne Beamt*innen machten gar Selfie-Fotos mit den Eindringenden, während andere Kolleg*innen bereits in die Menge gezogen und mit Tritten, Schlägen und Elektroschocks traktiert wurden. Ein Beamter erlag am Folgetag seinen Verletzungen, er war mit einem Feuerlöscher geschlagen worden. Mit der Tötung von Ashli Babbitt, Militärveteranin und »Q-Anon«-Anhängerin, während sie versuchte eine verbarrikadierte Tür zu überwinden, hat die extreme Rechte eine neue Märtyrerin erhalten, die für zukünftige Mobilisierung genutzt werden kann. Drei weitere Trump-Anhänger*innen starben, beispielsweise weil sie im Gedränge totgetrampelt wurden. Das Ermächtigungsgefühl, die Räume der verhassten Bundesregierung beziehungsweise der Legislative, wenn auch nur kurz, übernommen, selbstständig Trump zum Präsidenten ernannt und Abgeordnetenbüros geplündert zu haben, wird ein Schlüsselerlebnis bleiben, welches die extreme Rechte für Jahrzehnte zu weiteren direkten Angriffen auf die parlamentarische Demokratie anspornen wird. Entsprechend feierten sie am Abend ihre selbsterkorene Revolution mit Partys in Lokalen und Hotels in der Hauptstadt – weitestgehend unbehelligt, von Sicherheitsbehörden.

Parallel zum Putschversuch in Washington D.C. versammelten sich Trump-Fanatiker*innen und Milizionäre vor Landesparlamenten in verschiedenen Bundesländern. In Los Angeles griffen Rassisten während einer Kundgebung eine zufällig vorbeilaufende schwarze Frau an und versuchten sie zu lynchen. In Atlanta, Georgia, versammelten sich circa 25 Bewaffnete vor dem dortigen Kapitolgebäude, darunter der regionale Neonazikader Chester Doles. Zuvor hatte Doles an einigen Wahlkampfveranstaltungen der republikanischen Kandidatin für den Senat Kelly Loeffler teilgenommen und mit ihr auch mindestens ein Selfie geschossen. Zwar nutzt die extreme Rechte seit Anbeginn Trumps Wahlkampfveranstaltungen, um für ihre menschenverachtende Politik zu werben (derrechterand Nr. 164), dennoch brachte der sprichwörtliche Schulterschluss mit einem bekannten Neonazi Loeffler in Bedrängnis. Geholfen wurde Loeffler durch diese Unterstützung nicht, schließlich verloren die Republikaner in einer historischen Wahl gegen den personifizierten Albtraum der weißen Vorherrschaft: Der erste jüdische und der erste schwarze Senator in der Geschichte des Bundeslandes.

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Die extreme Rechte steht weiterhin bereit, die Angriffe von Trump und der seinem Personenkult hörigen Politiker*innen der Republikaner auf die liberale Demokratie für ihre eigenen politischen Ziele zu nutzen. Ihr Erfolg wird von der Entschiedenheit abhängen, mit der ihr politisch entgegengetreten wird. Entscheidend wird aber auch sein, inwiefern sich die Republikanische Partei selbst von der extremen Rechten in den kommenden Jahren lossagen kann.