Terror von Rechts

von Andreas Speit
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 184 - Mai / Juni 2020

# Radikalisierung

antifa Magazin der rechte rand
Protest in Hanau nach dem rassistischen Mord
© Roland Geisheimer / attenzione

Sie richten mit Kopfschüssen hin, liquidieren mit Maschinengewehren, töten mit Bomben, morden mit Brandsätzen oder schlagen mit Gegenständen tödlich zu. Die Geschichte des Terrors von Rechts ist lang. Die Geschichte der politischen Relativierung der Täter nicht weniger. Die Geschichte der mangelnden Empathie für die Betroffenen ebenso. In Deutschland nichts Neues. Doch seit »Deutschland schafft sich ab« von Thilo Sarrazin hat sich die militante Szene weiter radikalisiert. Das sogenannte »besorgte Bürgermilieu« und die vermeintlich alternative Partei befeuern die politische Atmosphäre gegen die ausgemachten Feind*innen von »Wir sind das Volk«.

Seit 2010 haben rechte Täter allein in Deutschland 33 Menschen ermordet. Die rechten Gewalttaten halten sich auf hohem Niveau. Nicht erst die jahrelang unentdeckte Mordserie des NSU darf Zweifel an den Zahlen aufkommen lassen. Bis heute ringen Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt von Fall zu Fall um eine Einordnung. Nachvollziehbar, die Ermittlungen müssen den gesamten Täter erst gänzlich betrachten; weniger nachvollziehbar, dass einschlägige Indizien oft nicht wahrgenommen werden. Die Angehörigen der Opfer wussten schnell, dass auch sie getroffen werden sollten.

Erst nach eineinhalb Jahren stufte das Bundesamt für Justiz den Anschlag von David Sonboly in München als »rechtsextremistisch« ein. Neun Menschen erschoss er am 22. Juli 2016, fünf weitere verletzte er. Das bayrische Innenministerium folgte der Bewertung erst Ende 2019. Eine Verzögerung, die eine weitere Verletzung für die Überlebenden und Angehörigen ist. Die Diskussion um eine Einschätzung des Bundeskriminalamtes zu dem Attentäter in Hanau, Tobias Rathjen, dieser sei mehr von Verschwörungstheorien als vom Denken der extremen Rechten geprägt gewesen, spiegelt die Debatte wider. Die Angehörigen der Opfer waren entsetzt. Dass das Amt die Tat dennoch als »rechtsextrem« einstufte, half wenig. Am 19. Februar dieses Jahres hatte Rathjen zehn Menschen ermordet.

Nach Hanau räumte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ein, der »Rechtsextremismus« sei die »größte Bedrohung«. Neue Töne aus einer Partei, deren Übervater eine der größten neonazistischen terroristischen Vereinigungen einst klein redete. Zur »Wehrsportgruppe Hoffmann« meinte Franz Josef Strauß, da würden ein paar deutsche Männer mit Koppel und Rucksack aus Spaß durch den Wald marschieren. Anhänger der Gruppe werden mindestens 17 Morde zugeschrieben. Aus deren Kreis wurde am 26. September 1980 das Attentat beim Münchner Oktoberfest verübt – 13 Menschen starben, über 200 Menschen wurden teilweise schwer verletzt. Beinahe 40 Jahre bedurfte es für die neue Tonlage. Wie vielen Menschen in dieser Zeit durch Taten von extrem Rechten und Fehler oder Verstrickungen von Ermittler*innen starben, kann nur geschätzt werden. Erst ab 1990 werden die Opfer erfasst. Die Amadeu Antonio Stiftung zählt mindestens 208 Menschen, die durch rechte Gewalt starben, die Bundesregierung gibt hingegen 94 Tötungsdelikte an. Diese Diskrepanz bestätigt das Dilemma.

Einer der vielen blinden Flecken: die rechte Gewalt gegen Frauen. Statt von radikalem Antifeminismus scheint oft eher von privater Beziehungstat ausgegangen zu werden. Der Attentäter von Halle, Stephan Balliet, war auch von Antifeminismus angetrieben. Sonboly und Balliet offenbaren einen neuen Tätertyp, der sich im digitalen Raum radikalisiert. Sie mordeten im Real Life allein, sind aber in einer digitalen Hass-Community tief verankert – und global vernetzt. Mit seinem Livestream ahmte Balliet die Live-Morde von Brenton Tarrant nach, der 51 Menschen in Christchurch tötete. Der mutmaßliche Mörder in Kassel, Stephan Ernst, gehört hingegen zu dem älteren Tätertypus, der sich in der militanten Szene radikalisierte. Sie alle eint, dass sie die Sorge vor dem »großen Austausch« antrieb, sie ihre Welt der weißen männlichen Vorherrschaft bedroht sehen.

Der »Volkstod« ist kein neuer Topos, neu ist die Dringlichkeit. Diesen Handlungsdruck haben nicht minder der Bundestagsfraktionsvorsitzende der »Alternative für Deutschland«, Alexander Gauland, oder der Mitbegründer des »Instituts für Staatspolitik«, Götz Kubitschek, oder die Vorsitzende der »Desiderius Erasmus Stiftung«, Erika Steinbach, aufgebaut. Sie alle befürchten letztlich, jetzt gehe unwiederbringlich die biologische Substanz der weißen Welt verloren. Aus diesem Grund agieren mehr Personen und Gruppen nun militant. Das Sag- und Wählbare hat neue Koordinaten, dem folgt das Handel- und Mordbare.

Die Interventionen der Bundesanwaltschaft im erhöhten Takt spiegeln die Radikalisierung. Inwieweit in Innenministerien, Polizei und Justiz ein grundlegender Einstellungswandel erfolgt ist, darf hinterfragt werden. Der Geist der Extremismustheorie spukt weiterhin und die gesellschaftliche Mitte wird aus der politischen Verantwortung genommen. In der post-nationalsozialistischen Gesellschaft soll nicht sein, was ist – die Virulenz nämlich von Antisemitismus und Antifeminismus, Rassismus und Ressentiment. Viele hetzen, einer mordet. Sollte da von Einzeltätern gesprochen werden, selbst wenn er allein tötet?