Antifeminismus von Staats wegen

von Lara Schultz
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 183 - März / April 2020

#Osteuropa

Bis 1989 galt in Polen und Ungarn das Recht auf Abtreibung, auf Kindergartenplätze und Erwerbsarbeit für Frauen als gesellschaftliche Selbstverständlichkeit. 30 Jahre nach dem Regime Change zeigt sich: Das alles steht zur Disposition und Frauenrechte müssen gegen einen Backlash erkämpft werden.

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Die beiden Visegrád-Staaten gehören zu den schärfsten Gegnern einer europäischen Flüchtlingspolitik. Ihre Regierungen lancierten 2015 Kampagnen, in denen sie wie in Polen vor hochansteckenden Krankheiten beziehungsweise Terroranschlägen und bürgerkriegs­ähnlichen Zuständen warnten oder wie in Ungarn Geflüchtete zu Staatsfeind*innen erklärten. Um den demografischen Wandel zu stoppen, setzen beide Länder auf Förderprogramme, um die autoch­thonen Bürger*innen zum Kinderkriegen zu animieren, statt eine fortschrittliche Einwanderungspolitik zu gestalten. Diese Förderungen kommen heterosexuellen Kleinfamilien mit stark traditionellem und hierarchischem Geschlechtermodell zugute. Die Betonung vermeintlich natürlicher Geschlechterrollen und die Festlegung der Frau auf die Mutter- und Hausfrauenrolle gehen in den jeweiligen antifeministischen Diskursen einher mit der Einschränkung sexueller Selbstbestimmung und der Marginalisierung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, inter und queeren Menschen (LGBTIQ). Nationalismus, gepaart mit der Betonung von Tradition und Christentum, fällt bei der großen rechts-konservativen Wählerschaft in beiden Ländern auf fruchtbaren Boden.

Kindergeld nur für Heterosexuelle
Nachdem die Partei »Prawo i Sprawiedliwosc« (»Recht und Gerechtigkeit«, PiS) im Oktober 2015 mit absoluter Mehrheit die Regierung übernommen hatte, löste sie ihr wichtigstes Wahlversprechen ein: das Förderprogramm »Familie 500+«. Heterosexuelle verheiratete Eltern bekommen seither monatlich 500 Zloty (ca. 120 Euro) pro Kind; vier Kinder ergeben somit rechnerisch fast schon einen durchschnittlichen polnischen Nettomonatsverdienst. Im Unterschied zum Kindergeld in der Bundesrepublik ist das Programm der PiS aber an ein traditionelles Familienmodell geknüpft. Eine Folge: Seit Einführung sind 200.000 weniger Frauen berufstätig als zuvor.

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Kampagne gegen Minderheiten
Vor den jüngsten Parlamentswahlen im Oktober 2019 stand die Ablehnung von LGBTIQ ganz oben auf der Tagesordnung. Führende Politikerinnen und Politiker der PiS hatten ebenso wie katholische Priester eine neue Kampagne gegen Minderheiten gestartet, die in öffentlichen Reden abgewertet und diskriminiert wurden. Schließlich waren Familienpolitik und Traditionserhalt schon immer zentrale Themen der hiesigen Rechtskonservativen in Politik und Kirche. So erklärte der Krakauer Erzbischof Marek Jedraszewski, die kommunistische Ideologie werde durch die LGBT-Ideologie ersetzt und die Regenbogenfahne sei eine »Seuche«. Auf Nachfrage der Presse setzte Jedraszewski sogar nach, indem er die allgemeine Ablehnung dieses »anthropologischen Fehlers in Form von sehr gefährlichen Gender- und LGBT-Ideologien« forderte, die nur die »polnische Nation verderben« wollten. Dabei war die geistige Vorarbeit von Papst Benedikt XVI. Wasser auf die Mühlen der polnischen Bischofskonferenz. Denn der Vatikan hatte die »Gender-Theorie« mehrfach als Widerspruch zur katholischen Kirche bezeichnet, da es gegen die Schöpfung verstoße und dem Willen Gottes widerspreche.

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Nachdem die Bischofskonferenz 2013 gewarnt hatte, die »Gender-ideologie« sei im Marxismus verwurzelt und es werde ein neuer »Familientypus homosexuellen Charakters« geschaffen, mahnte sie 2019 eine angebliche Intoleranz unter Homosexuellen an: »Man kann mit Umfeldern keinen Dialog führen, die keinen Dialog wollen, auf Heiligtümern herumtrampeln, Gott verfluchen und den Menschen entrechten.« Die feindselige Haltung gegenüber der Kirche und religiösen Werten habe in Polen ein unerträgliches Maß angenommen. Erst im Februar dieses Jahres protestierte der Konferenzvorsitzende Erzbischof Stanislaw Gadecki gegen die Annahme der »Europäischen Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene« durch den Stadtrat in seinem Bischofssitz Poznan.

Generelles Abtreibungsverbot gefordert
Das seit 1993 geltende polnische Abtreibungsrecht ist so restriktiv wie fast nirgendwo sonst in Europa. Erlaubt ist eine Abtreibung nur bei einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren, bei Hinweisen auf eine Missbildung oder eine schwere unheilbare Erkrankung des Fötus sowie in Fällen von Vergewaltigung. Polens katholische Kirche unterstützt ein vollständiges Abtreibungsverbot. Dass das Parlament 2016 mit großer Mehrheit eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes auf Grundlage des Gesetzesentwurfes der Bürger*inneninitiative »Stop Aborcij« (»Stoppt die Abtreibung«) abgelehnt hat, ist vor allem den zahlreichen Großdemonstrationen »Czarny Protest« (»Schwarzer Protest«) zu verdanken. Die Zeitung »Gazeta Wyborcza« berichtete damals, PiS fürchte angesichts der Massenproteste, 2019 abgewählt zu werden. Der Gesetzentwurf sah vor, Abtreibungen selbst in Fällen von Vergewaltigung zu verbieten. Verstöße sollten laut dem zunächst noch von der Regierung unterstützten Entwurf mit Haftstrafen von bis zu fünf Jahren gegen Frauen und behandelnde Ärzt*innen geahndet werden.

Keine gleichgeschlechtliche Ehe
Die 2012 in Kraft getretene neue ungarische Verfassung, der das »Nationale Glaubensbekenntnis« vorangestellt ist, hatte nicht nur, wie vielfach kritisiert, das Rechtsstaatsprinzip unterminiert, die Nation ethnisch definiert und als christlich gekennzeichnet. Die Ehe wird gemäß Art. L (1) als eine »zwischen Mann und Frau zustande gekommene Lebensgemeinschaft« verstanden. Die Familie sichere den Fortbestand der Nation. Erst mit der Verfassungsreform galt auch »das Leben ab dem Zeitpunkt der Empfängnis« als schützenswert. Zwar ist Abtreibung juristisch erlaubt, für viele Frauen aber mit unüberwindbaren Hindernissen verbunden. 2013 verurteilte der Europarat das Land aufgrund des eingeschränkten Zugangs zur Abtreibung.

Ungarische Kinderkredite
Seit 2019 soll ein neues Förderprogramm ungarische Frauen zum Gebären anhalten. Nicht in die Förderung fallen »ausländische Eltern« und Alleinerziehende, in der Regel Frauen. Für sie ist ein Höchstalter von 40 Jahren festgelegt, für Männer gibt es keine weiteren Vorgaben. Dieser im Rahmen des »Family Protection Action Plan« vergebene Kredit in Höhe von 10 Millionen Forint (ca. 31.000 Euro) soll letztlich die Geburt von drei ungarischen Kindern pro Familie fördern. Nach Geburt des ersten Kindes kann er gestundet werden, beim zweiten Kind wird ein Drittel der Kreditsumme und ab dem dritten Kind der gesamte Kredit erlassen. Wird innerhalb von fünf Jahren kein Kind geboren oder die Ehe geschieden, wird eine Rückzahlung fällig.

Die stellvertretende Vorsitzende der führenden Regierungspartei »Fidesz« (»Ungarischer Bürgerbund«), Katalin Novák, verwehrte sich gegen Kritik an diesem Modell: »Die politischen und ökonomischen Eliten Westeuropas glauben nicht an das christliche Familienmodell. Sie wollen gar keine Schritte für ein familienfreundliches Europa unternehmen. Sie setzen ganz andere Prioritäten und gehen den einfachsten Weg, indem sie auf den demografischen Niedergang Europas mit der Förderung der Einwanderung antworten und zugleich die familien- und lebensfreundlichen Kräfte als ›autoritär‹ und sogar ›rechtsextrem‹ verunglimpfen.«

»Europäischer Bevölkerungsaustausch«
Wie nah »Fidesz« sich tatsächlich an extrem rechten Positionen in Bezug auf Migration äußert, zeigte exemplarisch die Wahlkampfrede des Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden Viktor Orbán anlässlich der Europawahlen: Der Kontinent sei von einer »Völkerwanderung bedroht« und diese sei niemals friedlich, weswegen die Alteingesessenen »ihr Heim, ihre Kultur und ihre Lebensform verteidigen« müssten. Brüssel plane einen »Bevölkerungsaustausch«, deshalb höre man dort nie etwas über Familienpolitik, sondern nur über Migration, was der Tarnname für »das Programm eines europäischen Bevölkerungsaustausches« sei.

Gender Studies abgeschafft
Schlagzeilen machte auch, dass die ungarische Regierung im August 2018 per Erlass Gender Studies aus der Liste der zugelassenen Studiengänge gestrichen hatte und somit die Freiheit der Wissenschaft und Lehre massiv einschränkte. Das betrifft vor allem die »Eötvös Loránd Tudományegyetem« als größte Universität des Landes. Der Studiengang wurde gestrichen, noch bevor die ersten Studierenden ihren Abschluss erreicht hatten. Orbáns Kanzleramtsminister Gergely Gulyás ließ verlautbaren, für Menschen mit einem Abschluss in Gender Studies gebe es schlicht keine Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Und da »Fidesz« überzeugt sei, Geschlechter seien biologischer Natur und keine gesellschaftlichen Konstrukte, müsse auch nichts anderes gelehrt werden.

Seitdem bietet nur noch die private »Central European University« in Budapest Gender Studies an. Ein in der EU anerkanntes ungarisches Diplom, wie es die Absolvent*innen bis vor kurzem zusätzlich zum amerikanischen Diplom erhielten, wird jetzt nicht mehr vergeben.
In einer aktuellen Studie des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen zur Repräsentanz von Frauen in der Politik liegt Ungarn auf dem vorletzten Platz. Die Frage, warum ihr Anteil in Parlament und Regierung so gering sei, beantwortete Orbán damit, sie würden die Atmosphäre in der ungarischen Politik nicht gut vertragen. Er befasse sich aber auch nicht mit »Frauensachen«.
Von einer starken Zivilgesellschaft, die in Polen im Rahmen der »Czarny Protest«-Bewegung mehrfach Zehntausende auf die Straße brachte und einen antifeministischen Gesetzesentwurf stoppte, ist in Ungarn bisher nichts zu sehen.