Editorial / Kommentar Ausgabe 185

von der Redaktion

Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 185 - Juli / August 2020

Liebe Leser*innen,

es sei nicht auszuschließen, dass bis zu 85.000 Schuss Munition und 62 Kilo­gramm Sprengstoff aus der Bundeswehr »abgezweigt« worden seien, sagte Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) Anfang Juli 2020 in ungewohnter Deutlichkeit gegenüber der Presse. Und der Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn – ranghöchster Soldat der Armee und die Stimme der Truppe gegenüber der Regierung – ergänzte: »Das ist wirklich ein Gefährdungspotenzial.«

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Hätten wir noch vor wenigen Wochen davor gewarnt, dass deutsche Soldaten Munition und Sprengstoff in diesen Größenordnungen stehlen, um sie heimlich im sächsischen Garten zu bunkern und im Entscheidungsfall möglicherweise gegen Mitglieder einer demokratisch gewählten Regierung, die Opposition oder Linke einzusetzen – kurzum: zu morden, – wäre die Einschätzung für Alarmismus gehalten worden. Doch nun ist das anders – und es folgten sogar politische Konsequenzen: Teile des schon seit Gründung rechts geprägten »Kommandos Spezialkräfte« (KSK) der Bundeswehr wurden aufgelöst, andere Bereiche umstrukturiert. Sollte eine Reform bis Ende Oktober 2020 nicht gelingen, werde die Auflösung der gesamten Truppe erwogen, heißt es aus dem Bundesverteidigungsministerium. Dieser Schritt ist ungewöhnlich. Die Gründe müssen gravierend sein, die Bedrohung akut.

Andere Teile des Staats sprangen der Truppe jedoch sofort bei. So sah zum Beispiel der CDU-Militärpolitiker und Bundestagsabgeordnete Henning Otte (Celle / Uelzen) keinen Grund, das KSK »unter Generalverdacht« zu stellen. Ähnliche Töne sind in diesen Tagen aus der Gewerkschaft und den Berufsverbänden der Polizei sowie Teilen der Politik und der Presse zu hören. Der Vielzahl von rechtsradikalen und rassistischen Vorfällen in der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden dürfte man nicht mit Pauschalvorwürfen begegnen, heißt es. Drohschreiben mit Informationen aus Polizeicomputern, Nazi-Devotionalien bei Beamten oder rassistische Kontrollen – all das kam in den letzten Monaten gehäuft zu Tage. »Einzelfälle« seien das, so wird weiterhin oft betont. Doch nach dem Neonazi-Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke sowie nach den rechten Terror-Anschlägen in Hanau und Halle mit Toten und dem Anstieg rechter Taten und einer zunehmenden Zahl von registrierten Neonazis liegen auch in Teilen der Behörden und der Politik die Nerven blank. Zu offensichtlich ist, dass Polizei und Geheimdienste sogar ihren selbst gestellten Aufgaben nicht nachgekommen sind – einmal ganz abgesehen von einer notwendigen Grundsatzkritik dieser Institutionen. Diese Mängel haben sich inzwischen bis zu konservativen Hardlinern herumgesprochen. Und so erleben wir aktuell parallel zwei Entwicklungen: Einerseits sehen sich rechte Strukturen im Staat angesichts einer starken AfD in den Parlamenten auch in den Institutionen im Aufwind und gehen in die Offensive. Andererseits gibt es deutlich stärkeren Druck auf rechte Strukturen, wie eine Reihe von Vereinsverboten und zahlreiche Razzien gegen Neonazis und Reichsbürger*innen in den letzten Monaten zeigen.

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Es ist daher notwendig, auch das Handeln von Behörden und Beamt*innen genau im Blick zu behalten und die radikale Rechte an jeder Stelle der Gesellschaft in die Defensive zu drängen. Die Demonstrationen und Aktionen von Black Lives Matter und die durch sie endlich angestoßene breite Debatte um Rassismus – gerade auch in den Institutionen – trägt dazu bei.