»Hier ist Polen, nicht Israel!«

von Jos Stübner
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 182 - Januar / Februar 2020

#Konfederacja

Antifa Magazin der rechte rand
Die anderen wesentlichen Inhalte fasste der »KORWiN«-Vizechef Slawomir Mentzen Anfang 2019 bei einem öffentlichen Vortrag so zusammen:

Das im Herbst 2019 neugewählte polnische Parlament ist nicht nur bunter, sondern vor allem auch brauner. Auch wenn nach vierjähriger Abwesenheit wieder eine nominelle Linke im Sejm, einer Kammer des polnischen Parlaments, vertreten ist. Jaroslaw Kaczynskis autoritär-nationalistische »Prawo i Sprawiedliwosc« (»Recht und Gerechtigkeit«, PiS) besitzt aber weiterhin die absolute Mehrheit. Und mit der »Konfederacja« hat zudem ein neues, extrem rechtes Parteienbündnis Einzug ins Abgeordnetenhaus gehalten. Ihren Wahlerfolg von fast sieben Prozent der Stimmen feierten sie gemeinsam mit einer Delegation der »Alternative für Deutschland« (AfD). Und während im Nachbarland in NS-Diktion gerne zum Angriff auf die »Altparteien« geblasen wird, erklären die Konföderierten, das System der »Viererbande« – damit sind die im Sejm vertretenen Parteien PiS, »Bürgerplattform« (PO), »Bauernpartei« (PSL) und »Sozialdemokraten« (SLD) gemeint – der übrigen »eurosozialistischen« Parteien zerschlagen zu wollen.

Rechte Sammlung
Bei der »Konfederacja« handelt es sich um ein heterogenes Koalitionskonstrukt, in dem sich der in den letzten Jahren zunehmend offen gegen PiS gerichtete Kurs der extremen Rechten auf parlamentarischer Ebene manifestiert (s. drr Nr. 173). Seit Ende 2018 haben unter diesem Vorzeichen ganz unterschiedliche Lager zu einer gemeinsamen Formation zusammengefunden. Dazu gehört zunächst »Ruch Narodowy« (»Nationale Bewegung«, RN), der für jene Strömung steht, die seit 2010 jährlich am 11. November das nationalistische Massenspektakel des Warschauer Unabhängigkeitsmarschs veranstaltet. Grundlegend ist die direkte organisatorische und ideologische Kontinuität zu antisemitischen, nationalkatholischen, gewalttätigen faschistischen Gruppierungen der Zwischenkriegszeit. In enger Verbindung mit der Kaderorganisation der »Allpolnischen Jugend« sowie bis vor kurzem dem faschistischen »Obóz Narodowo-Radykalny« (»National-Radikales Lager«, ONR) dominiert der RN seit Jahren das öffentliche Bild der extremen Rechten in Polen. Es ist kein Zufall, dass die »Konfederacja« ihren größten Zuspruch bei den männlichen Wählern der jüngsten Altersgruppe findet. Die nationalistische Mobilisierung des letzten Jahrzehnts auf der Straße, im Stadion und in jugendkulturellen Sphären findet nun ihren Niederschlag an der Wahlurne.
Den zweiten wesentlichen Baustein des Parteienbündnisses bildet die rechtslibertäre »KORWiN«-Partei. Deren exzentrischer Vorsitzender Janusz Korwin-Mikke sorgt seit Jahrzehnten vor allem mit notorisch misogynen Einlassungen für Aufsehen. Mittlerweile haben sich die »Korwinisten« aber auch als feste Strömung etabliert. Bei den Wahlen 2015 waren sie als eigenständige Partei nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Für das ideologisch-personelle Grundgerüst sorgt ein Netz aus Vereinen und Think Tanks. Fundamental ist ein extremer Wirtschaftsliberalismus mit der Vision eines absoluten Minimalstaats.
Weniger als Repräsentant einer konkreten Strömung, dafür aber als mediales Zugpferd hat nun auch der Verschwörungstheoretiker Grzegorz Braun einen Platz im Parlament. Mit Korwin-Mikke teilt er die Vorliebe für eine monarchische Staatsform. Braun, der Anfang 2019 öffentlich Erwägungen über das Auspeitschen von Homosexuellen anstellte, sieht die polnische Souveränität nicht nur als »Eurokolchose« der EU bedroht, sondern insbesondere durch eine Konspiration zur Destabilisierung der gesamten Region vom Schwarzen bis zum Baltischen Meer mit dem Ziel eines »jüdisch kontrollierten Territoriums«.
Zu diesen Kerngruppen kommt noch die enge Anbindung an weitere Strömungen des extrem rechten Spektrums, wie das fundamentalistisch-katholische Lager international vernetzter Abtreibungsgegner*innen oder die völkisch-großpolnisch orientierte »Kresy«-Bewegung, die für die polnische Minderheit in den früheren polnischen Ostgebieten – dem heutigen Litauen und Belarus – einen nationalistisch-landsmannschaftlichen Fürsorgekult entwickelt hat. Auch zu der in Polen starken Antiimpfbewegung bestehen Verbindungen – deren Spitzenvertreterin kandidierte direkt auf der Liste der »Konfederacja«.

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Wie PiS, nur konsquenter
Diese wüste Mischung bezieht ihre gegenwärtige Geschlossenheit und Reputation aus einer aggressiven Oppositionshaltung gegenüber PiS. Die Kaczynski-Partei habe sich in der Regierung als »Pseudo­rechte« entpuppt. Die »Konfederacja« versteht sich dagegen als einzig wahre und ideologisch authentische Rechte. In Wirklichkeit stößt die »Konfederacja« aber einfach jene Türen ganz auf, die PiS bereits weit geöffnet hat, und buchstabiert die von Regierung, PiS-Medien und katholischer Kirche vermittelten Inhalte bis zur letzten Konsequenz aus. Grundlegend ist ein rassistisches und migra­tionsfeindliches Konzept der Nation. Erst zuletzt betonte der RN-Chef Robert Winnicki, dass die größte Herausforderung für Polen in der Wahrung der »ethnischen Kohärenz« bestehe. PiS dagegen sei mit der Öffnung des Landes für eine vermeintliche Massenzuwanderung dabei, die Fehler des Westens zu wiederholen. Die anderen wesentlichen Inhalte fasste der »KORWiN«-Vizechef Slawomir Mentzen Anfang 2019 bei einem öffentlichen Vortrag so zusammen: »Wir wollen keine Juden, Homosexuellen, Abtreibungen, Steuern und keine Europäische Union.« In allen diesen Punkten hat die PiS-Regierung nach »Konfederacja«-Lesart versagt: Unter PiS gibt es keinen EU-Austritt und kein totales Abtreibungsverbot, dafür räumt die Polizei den Pride-Paraden der »Regenbogen-Revolution« den Weg frei.
Als wichtigster gemeinsamer Nenner des heterogenen Bündnisses fungiert aber der Antisemitismus. Im Mai 2019 sah Warschau den wohl seit Jahren größten offen antisemitischen Aufmarsch. Angeführt von der »Konfederacja« zogen über 10.000 Menschen gegen vermeintlich drohende jüdische Restitutionsforderungen vor die amerikanische Botschaft und skandierten »Nieder mit der jüdischen Okkupation«. Auch der Warschauer Unabhängigkeitsmarsch am 11. November stand in diesem Jahr ganz im Zeichen des Antisemitismus. An der Hauptbühne prangte in riesigen Lettern die Losung »Nein zu jüdischen Ansprüchen«. Zehntausende brüllten »Hier ist Polen, nicht Israel«.
Schon seit längerem versucht das RN-Umfeld, das 2018 vom US-Kongress verabschiedete »Justice for Uncompensated Survivors Today Act 447« (JUST 447) zur existentiellen Bedrohung für Polen zu stilisieren. Die Regelung betrifft 46 Länder und erfordert einen jährlichen Bericht des US-Außenministeriums zum Stand der Entschädigungen für unrechtmäßige Gütertransfers infolge des Holocausts. Und auch wenn dieses Monitoring keinerlei direkte rechtliche Konsequenzen hat, verfängt am Ende die simple Botschaft der antisemitischen Kampagne: Die Juden wollen an unser Hab und Gut. Polen gerate unter die Knute des »internationalen Judentums« und die PiS schaue zu – so die Logik der »Konfederacja«. Während einer Europawahldebatte hielt der »KORWiN«-Vertreter Konrad Berkowicz einer PiS-Kandidatin demonstrativ eine Kippa über den Kopf.
Gegenwärtig werden Unterschriften gesammelt für ein Bürgerbegehren über eine gesetzliche Regelung, die eine Erfüllung jüdischer Entschädigungsansprüche auf der Grundlage des JUST 447 ausschließen soll. Das Thema könnte so auf die parlamentarische Ebene gelangen und PiS mit der unumgänglichen Abstimmung im Plenum zu einer offenen Positionierung zwingen. Eine Gesetzesinitiative über ein Bürgerbegehren einzubringen ist die einzige Möglichkeit für die elf »Konfederacja«-Abgeordneten. Ihre Bedeutung liegt weniger in ihrer konkreten parlamentarischen Stärke. Wichtiger sind die neuen Möglichkeiten, den öffentlichen Diskurs mitzubestimmen, eigenen Akteur*innen und Positionen weitere Legitimation zu verschaffen und Einfluss auf das Gefüge im rechten politischen Spektrum zu nehmen.

Verharmlosung des Status quo
PiS ist vorerst damit gescheitert, eine Konkurrenz von rechts zu verhindern. Die bisherige Praxis, die extreme Rechte zu spalten sowie zu absorbieren, scheint im Falle der »Konfederacja« nicht erfolgreich zu sein. Stattdessen gibt es Spekulationen über mittelfristige Allianzen zwischen ihr und dem rechtem PiS-Flügel. Sogar eine Kooperation von wirtschaftsliberalen Kräften aus »Konfederacja«, PiS und der konservativ-neoliberalen Oppositionspartei (PO, übers. Bürgerplattform) erscheint auf längere Sicht nicht völlig abwegig.
Offen ist, wie die »Konfederacja« mit ihren inneren Widersprüchen umgehen wird. Das betrifft insbesondere die wirtschaftspolitische Ausrichtung. Ein Beispiel ist das von PiS eingeführte sonntägliche Verkaufsverbot, an dem der radikalkatholische RN im Gegensatz zur ultrakapitalistischen KORWiN-Partei festhalten will. Noch überdeckt aber der permanente Angriffsmodus, in dem sich das Parteienbündnis befindet, solche Differenzen.
Problematisch gestaltet sich auch das Verhältnis zur Straße und zu außerparlamentarischen Kräften. Bereits Ende 2018 kam es zum offenen Bruch zwischen dem RN-Lager und dem ONR sowie dem weiteren extrem rechten, speziell dem autonom-nationalistischen Spektrum. Hintergrund sind die Kooperation der RN-Führung mit der Regierung im Rahmen des Unabhängigkeitsmarschs 2018, die gleichzeitige Distanzierung von militanten Gruppierungen (s. drr Nr. 175) sowie die generelle, stärker parteipolitisch-parlamenta­rische Orientierung.
In jedem Fall bedeutet die neugewonnene institutionelle Präsenz aber einen weiteren großen Schritt für eine extrem rechte Normalisierung. Dazu kommt der gefährliche Effekt einer Neujustierung der Koordinaten im polnischen politischen System. In der Extremismustheorie erprobte Liberale waren schnell dabei, die Bedrohung für die Demokratie gleichermaßen bei den beiden Parlamentsneulingen auf der linken wie auf der rechten Seite zu verorten. Die seit 2015 regierende PiS wandert auf diese Weise unversehens in die Mitte des Spektrums. Das ist nicht nur angesichts ihres Programms und ihrer Politik fatal. Auch auf personell-struktureller Ebene bestehen Grenzen nur vordergründig. So werden zum Beispiel Posten in öffentlichen Einrichtungen wie Medien, Museen oder Gedenkinstitutionen weiter an extrem rechte Kader vergeben. Der von der »Konfederacja« so brachial vorgetragene Antagonismus ist daher letztlich ein Scheingegensatz.