Herkunft unbekannt

von Martina Renner
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 184 Mai / Juni 2020

#Waffen

In den letzten Jahren wurden bei Rechtsterror-Ermittlungen zehntausende Schuss Munition, Waffen und Sprengstoff entdeckt. Woher diese stammen, scheint die Behörden nicht zu interessieren. Dabei sind immer öfter Kriegswaffen, Bundeswehr- und Polizeibestände darunter.

Antifa Magazin der rechte rand
Waffenfund bei Neonazi Heise in Fretterode

Im Jahr 2018 stellte die Polizei 1.091 Waffen im Zusammenhang mit 563 rechten Straftaten sicher. Daneben registrieren die Behörden mehr Schießtrainings im In- und Ausland. Es gibt kaum eine Durchsuchung gegen augenscheinlich anschlagsbereite Strukturen, bei denen nicht Schusswaffen oder gar fertige Bomben gefunden werden.
Auffällig ist eine neue Qualität in der Art und Menge dieser Waffen. Bei den Razzien im Rahmen der Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen die Gruppe »Nordkreuz« in Mecklenburg-Vorpommern wurden über 50.000 Schuss Munition sichergestellt. Und bei dem mutmaßlichen Komplizen des Soldaten Franco A., dem der oberste Ankläger der Bundesrepublik die Vorbereitung eines Anschlags unter falscher Flagge unterstellt, wurden über 1.000 Patronen und Granaten gefunden. Zumindest für die beim »Nordkreuz«-Gründer Marko G. beschlagnahmte Munition ließ sich nachzeichnen, dass diese wohl systematisch bei Spezialeinheiten verschiedener Landespolizeien, unter anderem in Bayern, Sachsen und Berlin, entwendet wurde. Im Verfahren gegen Franco A. sprechen die Asservate dafür, dass Bundeswehr-Material unterschlagen wurde. Eine Anfrage ergab, dass dies unbemerkt blieb. Die Kontrollmechanismen versagten somit.

Keine Terrorermittlungen
Sowohl Marko G., Matthias F. aus dem Fall Franco A. als auch der Gründer von »Uniter« und Administrator der sogenannten »Kreuzgruppen« André S. alias »Hannibal« (siehe drr Nr. 178) wurden wegen Waffen-, Munitions- oder Sprengmittelfunden bisher lediglich zu Bewährungsstrafen verurteilt. In keinem der drei Fälle gingen die Ermittler*innen aber der Frage nach, wer im Hintergrund möglicherweise noch bei der Beschaffung beteiligt war; ebenso waren Terrorismusverfahren Fehlanzeige. Die Kaliber der hier aufgefundenen Munition verweisen oftmals auf Sturmgewehre und Maschinenpistolen – eine Bewaffnung, die für die Vorbereitung von Anschlägen mit vielen Toten spricht.
Mit solchen Waffen trainierte auch jene »Combat18«-Einheit (C18), die im Herbst 2017 im tschechischen Cheb einen halblegalen Schießstand aufsuchte und bei der Rückreise nach Bayern von einer Einheit der GSG 9 gestoppt wurde. Mit dabei war Stanley Röske, ein enger Vertrauter des mutmaßlichen Lübcke-Attentäters Stephan Ernst. C18-Anhänger hatten schon früher keinen Hehl aus dem Hang zu solchen Waffen gemacht. Eine Maschinenpistole (MP) ziert viele Embleme der Terrororganisation. So ist es wenig verwunderlich, dass bei einer Durchsuchung auf dem Hof von Thorsten Heise im Oktober 2007 eine »Uzi« gefunden wurde, mitsamt der passenden Munition im Futter eines Helmes im Rittersaal des Anwesens. Diese MP gilt als eine Paradewaffe des Rechtsterrors. Sowohl Marko G. als auch Stephan Ernst besaßen solch eine in Deutschland unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallende Waffe. Beschlagnahmt wurde ein solches Modell ebenfalls 2013 bei der oberösterreichischen Terrorgruppe »Objekt 21« und der befreundeten »Blood&Honour« Band »SKD« in Crawinkel in Thüringen.
Auffällig an den Funden ist, dass oft Munition oder ganze Waffenteile voneinander getrennt aufbewahrt werden – ein Vorwand, um sie als angebliche »Dekowaffen« auszugeben.

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Söldnereinsätze und Bundeswehrlecks
Die bei militanten Neonazis sichergestellten Waffen sind längst nicht alle neuerer Bauart. Neben Waffen aus Polizei- und Militärbeständen spielen auch ehemals legale Waffen aus dem Besitz von Schützen, Jägern, Militariasammlern oder Waffenhändlern eine Rolle. Auffällig häufig werden Waffen gefunden, die in den frühen 1990er Jahren während der »Jugoslawienkriege« in Bosnien zum Einsatz kamen. Nach Schätzungen des Bundeskriminalamts nahmen damals bis zu 350 deutsche Neonazis an Kampfhandlungen auf Seiten kroatisch-faschistischer Milizen wie »HOS« und »Legion Condor« teil. Als Sold oder Trophäe wurden Waffen mit nach Deutschland zurückgebracht.
Meist tauchen solche Waffen danach viele Jahre nicht mehr auf und werden erst im Zuge von Ermittlungen teils mehr als 20 Jahre später, sichergestellt. Unter den Asservaten des NSU befanden sich der jugoslawische Nachbau einer »AK 47« sowie zwei Pistolen Fabrikat »Pleter 91« und eine in Thüringen fabrizierte »Erma EP 552«. Letztere kamen nachweislich im damaligen Bürgerkrieg zum Einsatz. Will man deren Weg aus Ex-Jugoslawien herleiten, kommt man nicht um die Annahme herum, dass diese nach dem Söldnereinsatz in Depots versteckt und später an andere Neonazis weitergegeben beziehungsweise verkauft wurden.
Bei den Untersuchungen zum NSU – mit Ausnahme der Mordwaffe »Ceska« – und weiteren Verfahren ist die Frage nach der Herkunft der Waffen bislang unzureichend beantwortet. Dabei könnten Ermittlungen zur Beschaffung klären, welche Strukturen sich teilweise sogar über viele Jahre auf rechten Terror vorbereiteten und wer in diesen Netzwerken durch Tatmittelbeschaffung eine zentrale Unterstützerfunktion innehatte oder weiterhin hat.
Auffällig ist, wie wenig engagiert die Behörden derzeit der Frage nachgehen, bei welchen Übungen, Schießständen und Kasernen jenes militärische Material, das bei »Nordkreuz« und Franco A. auftauchte, wann und unter Zutun von welchen Personen entwendet wurde. Auf Nachfrage gibt die Bundesregierung vor, es seien keine Fehler aufgetreten, da die abhanden gekommenen Gegenstände nicht als vermisst gemeldet wurden. Offenbar ist es in der Bundeswehr gängige Praxis, verschwundene tödliche Waffen, Munition und Granaten nur als Verlust und nicht als Diebstahl zu behandeln. Lediglich im einstelligen Prozentbereich erstattete die Armee in solchen Fällen Anzeige. Selbst über die bei Razzien in Mecklenburg-Vorpommern und Hessen festgestellten Losnummern will die Bundeswehr zwar grob die Kaserne ausmachen können, die Zuordnung zu Personen und Dienststellen sei jedoch unmöglich. Es ist offenkundig, dass bei Generalbundesanwalt und Bundeskriminalamt als federführende Ermittlungsbehörden der Nachdruck fehlt und damit die Bundeswehr viel zu schnell aus der Verantwortung entlassen wird.

90 Kilo Sprengstoff und kein Haftbefehl
Die jüngsten Funde 2020 demonstrieren erneut, wie terroraffin die Szene ist. Die Razzia gegen einen mutmaßlichen Angehörigen der weltweit vernetzten »Feuerkrieg Division« brachte im Januar mindestens eine selbstgebaute Waffe ans Tageslicht. Bei mutmaßlichen Mitgliedern der »Gruppe S.« wurden im Februar in mehreren deutschen Städten unter anderem eine großkalibrige Waffe und Chemikalien entdeckt. Und im März 2020 beschlagnahmte die Polizei bei Durchsuchungen in Brandenburg Nazidevotionalien sowie über 30 Schusswaffen, darunter zwei Maschinenpistolen russischer Herkunft.
Neben überregionalen und internationalen Strukturen fällt auf, dass der Takt, mit dem Waffen und Sprengstoff bei militanten Rassisten, Reichsbürgern und Selbstverwaltern gefunden werden, ebenfalls enorm hoch ist. Im März 2019 wurden bei einem extrem rechten Tag-X-Prepper in Hannover über 50 Waffen, mehrere Kilo Munition und eine Abschussvorrichtung für Panzerfäuste sichergestellt. Er erhielt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, weil es das Gericht als erwiesen ansah, dass er einen Anschlag plante. Ähnliche Beschlagnahmungen gab es im gleichen Monat bei Durchsuchungen in Kordel (Rheinland-Pfalz) und in Dorfmark in der Lüneburger Heide. Zuvor waren im Januar 2019 bei einer bundesweiten Razzia gegen wiedererwachte »Ku Klux Klan«-Strukturen (s. drr Nr. 159) in Baden-Württemberg mehr als 100 Waffen sichergestellt worden. Und erst im Februar gab es einen spektakulären Fund bei einem 40-Jährigen in Winnert (Niedersachsen): neben Reichskriegsflagge und NS-Andenken, unter anderem Panzerfaustköpfe, ein Maschinengewehr, mehrere Kilo Sprengstoff und Chemikalien. Bereits 2015 hatte man bei dem Beschuldigten ein ähnliches Arsenal gefunden, darunter 90 Kilogramm Sprengstoff. Zwar wurde im vergangenen Jahr Anklage erhoben, aber bis dato hat noch kein Verfahren begonnen. Noch absurder: Untersuchungshaft und ein Gerichtsprozess wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalt sind Fehlanzeige. Die Fahrlässigkeit, mit der Waffenbesitz bei extremen Rechten und Rassisten als »Waffennarren« oder »Pyro-Begeisterte« verhandelt wird, ist erschreckend.

Von der Pistole zur Panzerfaust
Nicht nur Menge und Häufigkeit von Waffenfunden lassen aufhorchen, sondern ebenso deren Qualität. Inzwischen werden mehr Kriegswaffen bei Durchsuchungen entdeckt, die zum Einsatz in Armeen bestimmt sind beziehungsweise panzerbrechende Wirkung haben können oder sogar geeignet sind Flugzeuge anzugreifen.
Bei einem 33-Jährigen in Magdeburg wurde im November 2019 ein riesiges Arsenal gefunden, das unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fällt und angesichts des Umfangs mit einem LKW und einem Kleintransporter abtransportiert werden musste. Darunter war eine Luft-Luft-Rakete. Ein derartiges Geschoss fand die Polizei bereits im Juli 2019 in Oberitalien bei örtlichen Neonazis. Dies zeigt, wie dringend die zuständigen Behörden, aber auch investigative Recherche sich den grenzüberschreitenden Liefer- und Beschaffungswegen genauso wie den Kooperationen verschiedener rechter Strukturen zuwenden müssen. Außerdem ist eine Reihe von repressiven Maßnahmen notwendig.
Die Verengung auf die Frage, inwieweit Schützen und Jäger die waffenrechtliche Erlaubnis verlieren beziehungsweise keine erteilt bekommen, wenn sie als extreme Rechte oder Rassisten in Erscheinung getreten sind, ist zu kurz gemessen. Das Problem sind zugleich Militariahändler, Soldaten und Reservisten, Angehörige von Sicherheitsfirmen und Abbruchfirmen, die gesetzlich über Waffen beziehungsweise Sprengmittel verfügen dürfen. Der Kern des Problems liegt aber im unzureichenden Tatmittelabgleich. Funde und eingesetzte Waffen und Sprengstoffe müssen auf gleiche Herkunft, Zusammensetzung und Lieferweg untersucht werden, denn nur so können Zusammenhänge erschlossen werden. Damit dies geschieht, braucht es jedoch wie so oft mehr Druck auf die Sicherheits- und Ermittlungsbehörden.