Ein Rauswurf – ein Pyrrhussieg

von Andreas Speit
Magazin »der rechte rand« Mai 2020 - online only

#Hochverrat

Antifa Magazin der rechte rand
Noch Teil der Parteiführung Meuthen und Gauland © Roland Geisheimer / attenzione

Der Rauswurf gelang knapp und der Rechtsstreit dürfte langwierig werden. Seitdem am 15. Mai der Antrag des Bundessprechers der AfD Jörg Meuthen zur Annullierung der Mitgliedschaft des brandenburgischen Landtagsfraktionsvorsitzenden Andreas Kalbitz eine dünne Mehrheit fand, ist die Partei nachhaltig und sichtbar gespalten. Die von Meuthen erst angestoßene und dann abgebrochene Debatte um »zwei Parteien« in »einer Partei« hat er erneut angefeuert. Der Bundessprecher fühlt sich im Aufwind, nachdem nun eine der führenden Personen des ehemaligen »Flügels« ausgeschlossen ist. Trotz Gegenwinds erklärt er jedem Medium, »eine klare Mehrheit in der Partei hinter« sich zu haben.

Politische Auseinandersetzung übertönt Kalbitz-Formalie
Über das Machtgefüge in der jungen Partei kann spekuliert werden. Der Bundestagsfraktions- und Ehrenvorsitzende der AfD Alexander Gauland sprach von rund 40 Prozent Anhängern des »Flügels« in der Partei. Mit der offiziellen Selbstauflösung durch den thüringischen Landtagsfraktionschef Björn Höcke ist nur das Label weg, nicht aber das Personal. Gauland sprang auch längst seinem politischen Ziehsohn bei, dessen Verbindungen zu den »Republikanern« und der »Heimattreue Deutsche Jugend« (HDJ) ihn nicht stören. Unter ihm stieg Kalbitz in der vermeintlichen Alternative mehr und mehr auf. Auch wuchs unter ihm der anhaltende »Flügel«-Einfluss an, dem Meuthen immer wieder nicht entgegen wirkte. Im Gegenteil, er stellte sich schützend vor Höcke und trat 2016 beim »Flügel«-Treffen am Kyffhäuser auf. Der Anlass für seinen Umschwung dürfte nicht in dem möglichen Verstoß von Kalbitz gegen die Parteisatzung zu finden sein. Der Grund kann zwischen persönlichen Motiven und politischen Intentionen gesucht werden. Die offizielle Aussage von den Befürwortern des Ausschlusses im Bundesvorstand, nur formal gehandelt zu haben, übertönt kaum die politische Auseinandersetzung.

»Wer die Argumente von Parteigegnern aufgreift und sie gegen Parteifreunde wendet, der begeht Verrat an der Partei«
Bernd Höcke 16. Mai 2020

Sozialpatriotismus vs. Neoliberalismus
Sieben Jahre nach Parteigründung und Wahlerfolg auf Wahlerfolg kann einer Debatte um die fundamentale Ausrichtung nicht weiter ausgewichen werden. Eine »Brandmauer nach Rechtsaußen« sei geboten, lässt Meuthen nun wissen, der erst mit diesem »Rechtsaußen« Parteikarriere bis zur Parteispitze machte und den Kampfslogan »Weg vom links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland« erfand – der nichts anderes meint, als dass die »Links-rot-Grünen« und »68er« weg sollen. Die Frage der Abgrenzung ist in der AfD aber eng mit der Frage der Hinwendung verbunden: Wen will diese Partei mit welchen Positionen jenseits von Protest als festes Potential ansprechen und gewinnen? In dem zentralen Politikfeld, das alle Menschen täglich betrifft, fehlt eine gesamt getragene Position. Die Fraktionen stehen sich nicht in der Geschichts-, Erinnerungs- und Einwanderungspolitik konträr entgegen, sondern in der Wirtschafts-, Sozial- und Rentenpolitik. Höcke pocht auf einen »Sozialpatriotismus«, Meuthen propagiert einen »Neoliberalismus«. Der eine will mehr Staat vor allem für die von ihnen anerkannten Deutschen, der andere möchte weniger Staat. Die jeweilige Ausrichtung bedingt eine entsprechende Rhetorik, um entweder ein mit Meuthen gesprochen »bürgerlich-konservatives« oder ein »staatlich paternalistisch geprägtes« Wählermilieu zu erreichen.

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Erfolgreiches antifaschistisches und journalistisches Engagement
Die Debatte um eine Beobachtung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat diesen Disput beschleunigt. Im gesamten extrem rechten Milieu haben sich alte Lager neu aufgestellt. Die »Junge Freiheit« um Dieter Stein spricht beim Rauswurf von Kalbitz von einen »Befreiungsschlag«, das »Institut für Staatspolitik« um Götz Kubitscheck von einem Verrat. Nichts anderes war zu erwarten – ebenso wie, dass Höcke der Brandenburger AfD-Fraktion gratulierte, weil sie Kalbitz nicht ausschlossen und dass Gauland den Rauswurf missbilligt, nur um der Gefahr einer Spaltung entgegen zu wirken.

In den Kommentaren wettern die Kritiker des Rauswurfs nicht nur über einen »instrumentalisierten« Verfassungsschutz. Sie halten ihren Parteifreunden, die mittlerweile Parteifeinde sind, auch vor, auf antifaschistische Recherchen bei der »Säuberung der Partei« zurückzugreifen – quasi Hochverrat. Die Vorhaltung stimmt jedoch. Erst die Aufnahmen eines HDJ-Lagers 2007 und deren Ausstrahlung im Frühjahr 2018 beim RBB stießen die Causa Kalbitz an. Ohne das antifaschistische und journalistische Engagement dürfte der parteiinterne, extrem rechte Konflikt nicht begonnen haben. Ohne diese zivilgesellschaftlichen Initiativen und den medialen Druck scheint auch das BfV nicht die Asservate in Behördenkellern ausgewertet zu haben. Erst im März 2020 wurde öffentlich, dass das Amt wusste, dass die HDJ unter der Mitgliedsnummer 01330 die »Familie Andreas Kalbitz« führte. 2008 hatte das Bundesinnenministerium eine Durchsuchung bei rund 100 HDJ-Anhänger*innen durchführen lassen, 2009 erfolgte ein Verbot mit neuen Beschlagnahmungen – eine lange Zeit für die Auswertung.

In der AfD wird nun über einen Sonderparteitag nachgedacht. Die »Haltungsgemeinschaft« um Höcke, glaubt Meuthen, hätte in der Partei noch nie eine Mehrheit gehabt. Die geschassten Amtsvorgänger*innen scheinen vergessen. Meuthen hat eines wieder erreicht – er erscheint als moderat, bürgerlich, konservativ. Die Einladungen vieler Medien folgten schon. Nichts dazu gelernt?