Die Akademien vom Ziegenhof

von Stephanie Heide
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 182 - Januar / Februar 2020

#Schnellroda

Das »Institut für Staatspolitik« in Schnellroda als neofaschistische Kaderschmiede.

Antifa Magazin der rechte rand
Veranstaltung in der Gaststätte »Zum Schäfchen« mit Höcke als Gast. © Stephanie Heide

Vom 10. bis 12. Januar 2019 lud das »Institut für Staatspolitik« (IfS) zur mittlerweile »21. Winterakademie« nach Schnellroda, diesmal zum Thema »Lesen«. Die seit 20 Jahren durchgängig stattfindenden »Sommer- und Winterakademien« zählen zum Markenkern des IfS. Anfangs an wechselnden Orten, finden sie seit 2005 in Schnellroda statt. Im Jahr 2000 zogen Götz und Ellen Kubitschek, genannt Kositza, in den sachsen-anhaltischen Ort und etablierten dort zusammen mit Karlheinz Weißmann und anderen das IfS mit dem zugehörigen »Verlag Antaios« und der zweimonatlich erscheinenden Zeitschrift »Sezession«. Seitdem hat sich Schnellroda zur beständigen Schnittstelle der extremen Rechten in der Bundesrepublik bis nach Österreich entwickelt. Hier treffen junge Erwachsene auf langjährig Erfahrene, Theoretiker*innen auf Praktiker*innen und Burschenschafter, (Ex-)Aktivist*innen der »Identitären« und Parteifunktionär*innen – nicht selten in Personalunion – auf Dorfbewohner*innen und Ziegen. Der offizielle Teil der »Akademien« findet im örtlichen Gasthof »Zum Schäfchen« statt.

Vorträge, Vernetzung, Geselligkeit
In seinen Anfangsjahren bediente das IfS eine eher ältliche und unbewegliche Klientel aus dem Milieu von »Junger Freiheit« und Burschenschaften. Kositza brachte es jüngst in einem befreundeten Podcast auf den Punkt: »Die Stock-im-Arsch-Typen waren absolut überrepräsentiert«. Mit jungen ambitionierten Autoren und Referenten wie Martin Semlitsch, alias Lichtmesz, Felix Menzel, Nils Wegner und Benedikt Kaiser bekam Schnellroda jedoch schon Anschluss an jüngere Zielgruppen, bevor »Neurechts« das neue »Nazi« wurde. Ab circa 2012 entwickelten sich die »Akademien« zum Anlaufpunkt der entstehenden »Identitären Bewegung« (IB). 2015 sagte der Leiter der IB, Martin Sellner, dass er und die österreichischen IB-Aktivist*innen schon seit längerem nach Schnellroda kommen. Er nennt den Ort und die »Sezession« ihr »geistiges Zentrum, seitdem wir uns intensiver mit der Neuen Rechten befassen«. In den ersten Jahren fanden die Wochenenden je nach Andrang mit etwa 30 bis höchstens 60 Teilnehmer*innen statt.

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Mittlerweile sind es 150 Plätze, die an Jugendliche und junge Erwachsene bis 35 Jahren vergeben werden. Glaubt man Kositza, ist das Teilnehmer*innen-Interesse jedoch doppelt so groß. Auch lege das IfS Wert auf Rotation, so dass das Stammpublikum bei nur 20 Prozent liege. Zum festen Referent*innen-Stamm gehören neben Kubitschek und dem Institutsleiter Erik Lehnert auch die Autor*innen Lichtmesz, Wegner und Kaiser sowie Stefan Scheil, Caroline Sommerfeld und Thor von Waldstein. Letzterer war in den 1970er und 1980er Jahren in der NPD aktiv und wandte sich dann verstärkt den Ideen der »Nouvelle Droite« zu. Seitdem ist er als Autor und Referent in einem breiten extrem rechten Spektrum vertreten. Bei der »Winterakademie« 2016 referierte er unter dem Titel »Wir Deutschen sind das Volk« zum »politischen Widerstandsrecht der Deutschen nach Art. 20 IV Grundgesetz«. Zur Erläuterung seines Volksbegriffs bezieht er sich in weiteren Vorträgen auf die extreme Rechte aus Vormärz, Kaiserreich und Weimarer Republik, distanziert sich von Hitler und versucht, den Begriff »aus dem diffusen NS-Zwielicht« herauszulösen. In seiner völkisch-nationalistischen Lesart unterscheidet er sich jedoch nicht von der NPD. Im Januar 2020 steht Waldstein erneut als Referent im »Akademie«-Programm, diesmal heißt sein Vortrag »Staat, Volk, Nation«.

Die meisten Teilnehmer*innen interessieren sich jedoch nicht nur für das Vortragsprogramm. In der Mittagspause kann man sich dem Dauerlauf um das Dorf anschließen oder im »Antaios«-Gebäude nach Büchern stöbern. Und abends pflegen die Teilnehmer*innen bei Bier, Gesprächen und Gesang zünftige Geselligkeit. Übernachten können sie unter anderem im »Zum Schäfchen« und auf dem Ziegenhof der Kubitscheks. Nicht zuletzt dieses informelle Zusammenkommen und Vernetzen macht die »Akademien« attraktiv. Für manche weit Angereiste entfaltet auch das Abenteuer »wilder Osten«, wie Lichtmesz es nannte, seinen Reiz. Sonntags ist die Altersbegrenzung in der Regel aufgehoben und dann schauen auch mal AfD-Lokalpolitiker*innen vorbei.

Aufgrund der großen Nachfrage finden seit 2016 auch »Herbstakademien« in Semriach in Österreich statt. Hierbei arbeitet das IfS nach dem gleichen Konzept mit dem »Freiheitlichen Akademikerverband« (FAV) zusammen. Zum Schnellrodaer Bildungsbetrieb gehören neben den »Akademien« zusätzlich noch die seit 2015 zuletzt in Magdeburg stattfindenden »Staatspolitischen Kongresse« sowie die »Staatspolitischen Salons« in Berlin. Längst finden Kongresse, Konferenzen und mehrtägige Seminare jedoch nicht mehr nur seitens des IfS statt. Philip Stein, Burschenschafter und Kleinstverleger, veranstaltete im Oktober 2019 in der »Marburger Burschenschaft Germania« den »2. Jungeuropa-Kongress«. Und die der österreichischen IB nahestehende »Info Direkt« führt bereits seit 2016 den »Kongress Verteidiger Europas« durch. Auch hier vergrößern die »Sezession« und der »Verlag Antaios« ihren Abnehmer*innenkreis, und damit ihre Solvenz und Reichweite.

Viele rechte Burschen
Das IfS ist seit seiner Entstehung eng an das burschenschaftliche Milieu gebunden. In Eisenach gehört der »Deutschen Burschenschaft« (DB) das »Berghotel« am Burschenschaftsdenkmal, in welchem 2002 die »2. Winterakademie« stattfand. Der österreichische Burschenschafter Wolfgang Dvorak-Stocker ist seit 2003 fester Mitarbeiter der »Sezession«. Als Verleger hat er unter anderem 1994 das Buch von Wolf Rüdiger Heß, »Rudolf Heß – Ich bereue nichts« herausgebracht. Er war in Österreich auf mehreren IB-Aufmärschen und tritt als burschenschaftlicher Redner auf. Mit ihm hatte Schnellroda schon früh einen Draht in das Land der »Freiheitlichen Partei Österreichs«, welcher später mit Lichtmesz und Sellner ausgebaut wurde.

Die DB beharrt noch immer auf dem völkischen »Blutsprinzip« als Grundlage von Gemeinschaft. Unter ihrem Dach sammeln sich die habituell akademischen Teile von AfD, »Junger Alternative« (JA), (Ex-) IB, »Ein Prozent«, NPD und weitere extreme Rechte und sind sich in den wesentlichen Punkten einig. Alljährlich treffen sie sich zum »Burschenschaftstag« am Burschenschaftsdenkmal in Eisenach. Der als DB-Pressesprecher auftretende Philip Stein von der »Marburger Burschenschaft Germania« ist als Geschäftsführer von »Ein Prozent« eng mit Schnellroda verbunden. Seinen Einfluss auf die Burschenschaft baut das IfS auch aus, indem es neben Sellner auch ausgewiesene IfS-Referenten wie Kaiser und Waldstein mit Vorträgen durch Burschenschaftshäuser touren lässt.

»Einfluß auf die Köpfe von Mandatsträgern«
»Es geht um Einfluß auf die Köpfe, und wenn die Köpfe auf den Schultern von Macht- und Mandatsträgern sitzen, umso besser”, sagte Mitgründer Weißmann 2001 anlässlich der IfS-Gründung. 2015 war Björn Höcke, AfD-Landes- und Fraktionsvorsitzender in Thüringen sowie Mitgründer von »Der Flügel«, beim »3. IfS-Kongress« zum Thema »Ansturm auf Europa« zu Gast. Er sorgte für Beachtung, als er von »afrikanischen und europäischen Ausbreitungstypen« referierte. Am Rande des Kongresses sagte er: »Es ist bekannt, dass ich engen Kontakt zu Götz Kubitschek habe und geistiges Manna aus der Lektüre von Werken ziehe, die hier in Schnellroda entstehen.« Das lässt vermuten, dass Kubitschek an Höckes politischer Inszenierung nicht unbeteiligt ist.

Für ostdeutsche Anhänger*innen ist Höcke, der seine Zeit als »interessante persönliche, politische Person in diesem Land« noch kommen sieht, die zentrale Integrationsfigur der Partei. Und für den Oberleutnant der Reserve Kubitschek wäre Höcke, der die AfD als »die letzte friedliche Chance für dieses Land« bezeichnet, die perfekte Führungsfigur für eine über einen längeren Zeitraum auf einen Umsturz ausgerichtete Strategie. Seit 2018 ist mit den beiden damaligen AfD-Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen und Alexander Gauland sowie der Co-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Alice Weidel, die gesamte Parteispitze bei IfS-»Akademien« aufgetreten. Bei Gaulands Auftritt im Januar 2019 saßen auch Höcke und der brandenburgische AfD-Chef und prominenter »Der Flügel«-Vertreter Andreas Kalbitz im Publikum.

Auch in der AfD-nahen »Desiderius-Erasmus-Stiftung« hat das IfS längst mehrere Füße in der Tür. Der Institutsleiter und langjährige Geschäftsführer Erik Lehnert ist 2019 in den Vorstand der Stiftung gewählt worden. Hier bieten sich dem IfS die Möglichkeiten, in noch weit größerem Maß Einfluss auf die »staatsbürgerliche Bildung« zu nehmen. Im Kuratorium dieser Stiftung sitzen gute Bekannte von Lehnert: AfD-MdB Harald Weyel, als dessen Mitarbeiter er bis mindestens März 2019 geführt wurde, der 2014 ausgeschiedene IfS-Mitgründer Weißmann sowie Karl Albrecht Schachtschneider, Mitgründer von »Ein Prozent«. Der IfS-Referent Scheil trat im November als Redner auf einer Stiftungsveranstaltung auf.
Trotzdem beschreibt Lehnert das IfS als »metapolitisch«. In den Köpfen wesentlicher Mandatsträger ist das IfS längst angekommen, doch es geht um mehr: um die Macht im außerparlamentarischen Diskurs. Mit »rechter Metapolitik« und »Ein Prozent« soll eine kritische Masse im sogenannten vorpolitischen Raum aktiviert werden, die verhindert, dass die AfD es sich in den Parlamenten bequem machen könnte. Denn das Ziel der IfS-Aktivist*innen ist ein kompromissloser gesellschaftlicher Umsturz.