Strömungsübergreifende Geschlossenheit

von Sascha Schmidt
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 183 - März / April 2020 - online only

#Hessen

In Hessen haben prominente »Flügel«-Anhänger*innen angekündigt, ihre Strukturen aufzulösen. Diese Entscheidung dürfte die Geschlossenheit des Landesverbandes stärken.

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Andreas Lichert gratuliert Robert Lambrou zur Wahl als Landesvorsitzenden
© Mark Mühlhaus / attenzione

Nachdem der Bundesvorstand seine Forderung nach Auflösung des »Flügels« verkündet hatte, forderte Klaus Herrmann, einer von zwei Landessprechern der hessischen »Alternative für Deutschland« (AfD), »die komplette Auflösung aller Strukturen, seien sie finanziell oder personell«. Dem kamen namhafte Vertreter*innen des hessischen »Flügels« nach: mit einem entsprechenden Schreiben wandten sich die Flügel-Obfrau Christine Anderson sowie die Landtagsabgeordneten Andreas Lichert und Heiko Scholz an die Anhänger*innen des »Flügels«.

Nur wenige »Flügel«-Mitglieder bekennen sich
In Hessen haben sich in der jüngeren Vergangenheit nur wenige Mitglieder offen als Anhänger*innen des »Flügels« zu erkennen gegeben. Diejenigen, die es taten, nehmen führende Positionen ein. Der prominenteste unter ihnen ist Andreas Lichert. Er war von 2005 bis 2018 im Vorstand des Trägervereins des »Instituts für Staatspolitik« – in dem er zudem über zehn Jahre den Vorsitz inne hatte. 2017 trat er als Bevollmächtigter beim Kauf eines Hauses in Halle auf, das sich zum wichtigsten Stützpunkt der »Identitären Bewegung« (IB) in Deutschland entwickeln sollte. Lichert stand der IB schon länger nahe und kritisierte öffentlich den im Juni 2016 verabschiedeten Unvereinbarkeitsbeschlusses der Parteimitgliedschaft mit der IB. Trotz dieses Beschlusses trat Lichert immer wieder mit Vertreter*innen der IB auf. Doch geschadet hat dies dem Landesvorstandsmitglied kaum. Innerhalb der Landtagsfraktion gilt er als einflussreich und vertritt die Fraktion in zwei Ausschüssen. Deutlich geringer ist der Einfluss der »Flügel«-Obfrau Christine Anderson. Nach internen Auseinandersetzungen trat sie 2018 vom Vorsitz im Limburger Kreisverband zurück und gab ihren Sitz im Kreistag auf. Doch ihre Wahl ins EU-Parlament im Mai 2019 verlieh ihrer Stimme neue Kraft. Die ehemalige PEGIDA-Aktivistin bekannte sich in ihrer Rede beim Kyffhäusertreffen im Juli 2019 zu Höcke und betonte, für sie mache der »Flügel« den entscheidenden Faktor für die Erfolge der AfD aus.

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Flügel-Obfrau Christine Anderson erklärt die Welt
© Mark Mühlhaus / attenzione

Der dritte im Bunde, Heiko Scholz, war bis dato noch nicht öffentlich als »Flügel«-Anhänger in Erscheinung getreten. Scholz ist bildungspolitischer Sprecher der Fraktion und nimmt im LV insbesondere die Rolle des Fürsprechers der – auch vom hessischen Verfassungsschutz beobachteten – »Jungen Alternative« (JA) ein. Mit Jens Mierdel stellte er im Juli 2019 den damaligen Vorsitzenden der JA Hessen als persönlichen Referenten ein. Über Mierdel war zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt, dass er zwei Jahre in der IB aktiv und zeitweise auch Bezirksleiter der IB Hessen war.

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Obwohl sich über diese Personen hinaus kein Landtagsabgeordneter öffentlich zum »Flügel« bekannte, gibt es bei einigen eine erkennbare Nähe. So nahm der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Frank Grobe, an mehreren Kyffhäusertreffen teil. Dimitri Schulz war für den 28. März 2020 als Co-Redner von Höcke in Höxter angekündigt – ehe die Veranstaltung abgesagt wurde. Schulz hatte im August 2017 für Aufsehen gesorgt, nachdem er auf dem Kongress der Russlanddeutschen in der AfD Beifall klatschte, als der Redner Jan von Flocken den Holocaust-Leugner Horst Mahler einen »politischen Gefangenen« der BRD nannte. Ein Indikator für die Nähe zu Höcke und dem »Flügel« könnte die Zurückhaltung einiger Landtagsabgeordneter gegenüber dem Appell »Für eine geeinte und starke AfD« vom Juli 2019 sein. Den Appell, mit dem sich rund 100 Mitglieder aus dem gesamten Bundesgebiet gegen Höckes Angriff auf den Bundesvorstand wandten, unterschrieben – trotz Aufforderung durch die Vorsitzenden – nur 10 von 17 Abgeordneten. Auch in einigen Kreisvorständen scheinen »Flügel«-Anhänger*innen zumindest die Richtung vorzugeben. Hierzu dürften insbesondere der von Andreas Lichert geführte Wetteraukreisverband sowie Vorstandsmitglieder der Kreisverbände Offenbacher Land und Groß Gerau zählen.

»Flügel«-nahe »Junge Alternative«
Deutlich unverhohlener als die Abgeordneten gaben sich Mitglieder der JA Hessen als Höcke- und »Flügel«-Anhänger*innen zu erkennen. Dies zeigte sich zuletzt auf dem Kyffhäusertreffen 2019. Während Mary Khan die Veranstaltung moderierte, trat Patrick Pana als Bannerträger des hessischen Flügel-Ablegers auf. Khan ist seit 2017 Mitglied des Vorstandes der JA Hessen und mittlerweile auch stellvertretende Bundesvorsitzende. Von Ende 2017 bis Anfang 2019 war sie zudem Mitglied im Landesvorstand (LV) der hessischen AfD. Pana ist stellvertretender Landesvorsitzender der JA Hessen und bekennender Anhänger des Sozialpatriotismus des »Flügels«. Er nahm an Akademien des IfS teil und stand immer wieder im persönlichen Kontakt mit (ehemaligen) Akteur*innen der IB (siehe drr 177).

So zuletzt am 27. März 2020 im Rahmen eines Gastbeitrages für das online-Magazin »Tagesstimme«. Das Magazin hat seinen Redaktionssitz im ehemaligen Quartier der IB Graz und wird geleitet von Stefan Juritz, der bis vor kurzem Aktivist der IB Österreich war. Dort fordert Pana in klassischer »Flügel«-Sprache, die AfD müsse »Bewegungspartei werden« . Den »Flügel« bezeichnet er als »Wächter der Gründungsideale [der AfD] und Brandmauer zu einem verkommenen Parteienkartell«.

Die Landesvorsitzenden halten die Reihen geschlossen
In seinen ersten Jahren war der hessische LV von offen ausgetragenen Richtungskämpfen und persönlichen Machtkämpfen geprägt. Dies änderte sich im Dezember 2017 mit der Wahl von Robert Lambrou und Klaus Herrmann zur Landesspitze. Ihre damalige Losung war die Geschlossenheit des LV (siehe drr 170).

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Dies gelang ihnen, indem sie sich bei kritischen Pressenachfragen zum Verhalten ihrer Mitglieder – mit wenigen Ausnahmen – schützend vor ihre Parteikameraden stellten. Lediglich in Einzelfällen leitete man demonstrativ Ausschlussverfahren ein (siehe drr 175).

Darüber hinaus mied das Duo stets den Konflikt mit dem »Flügel«. Immer wieder behauptet Lambrou, die gesamte Partei – auch explizit der »Flügel« und Personen wie Andreas Lichert – stünden »auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung« (siehe drr 174).

Noch im Juli 2019 betonte Lambrou gegenüber der Hessenschau, der »Flügel« gehöre zur AfD.

Die Strategie der Landesspitze ging bisher auf: Die Mehrheit der hessischen »Flügel«-Mitglieder vermied trotz klarer Bekenntnisse zu Höcke & Co die Konfrontation mit der Landesspitze und bekundete als Reaktion auf die von Jörg Meuthen ins Spiel gebrachte Spaltung der Partei den Willen zur Einheit. Denn sie wissen: Sie können auf die Rückendeckung der Landesspitze bauen und weiter politisch wirken wie zuvor. Oder wie es Andreas Lichert als Reaktion auf den Beschluss des Bundesvorstands zur Auflösung des »Flügels«, formulierte: »Diese Leute, diese Gedanken und die politischen Schlüsse daraus, die bleiben ja in der Partei und das ist das wichtigste.«