Antifaschismus oder nicht? Eine nötige Entscheidung

von Ernst Kovahl
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 182 - Januar / Februar 2020

#Antikommunismus

Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes« macht klar: Politisch ist es an der Zeit, Konsequenzen zu ziehen: Antifaschismus oder antikommunistischer Verfassungsschutz.

»Ob Sozialdemokraten oder Kommunisten, ob Christen oder Freimaurer, Juden oder Atheisten, im Antifaschismus gehören sie alle zusammen. Es darf für jene, die gemeinsam in den Konzentrationslagern gelitten und gekämpft haben, es darf für die, die ihren Spuren folgen wollen, keine Berührungsängste geben. […] Weimar ging verloren, der demokratische Ansatz scheiterte auch, weil in der Demokratie die Arbeiterbewegung nicht einig war. […] Meine Damen und Herren, die Erfahrung des Widerstandes gegen den Nazismus sagt uns, wir müssen zusammenstehen, auch dort, wo wir unterschiedliche Auffassungen haben.« Diese Sätze wurden 1983 in einer Eröffnungsrede des Bundeskongresses der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) 1983 in Hamburg gesagt – ein Appell für einen Antifaschismus, der Kommunist*innen einschließt und aufgrund der historischen Erfahrungen eine parteiübergreifende Einheit gegen Rechts forderte.

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Diese Rede dürfte bis heute bei Teilen des Verfassungsschutzes die Alarmglocken klingeln lassen. Sie ist ein Beispiel, wie absurd die jahrzehntelange Jagd des Geheimdienstes auf die VVN ist. Deren Charakterisierung als angeblich »linksextrem« oder »linksextrem beeinflusst« begründen die Dienste seit Jahrzehnten fast gleichlautend – ungeachtet aller politischen Veränderungen. Der Vorwurf: Die VVN vertrete einen Antifaschismus unter Einbeziehung von Kommunist*innen – und das nicht nur in ihren Bekenntnissen, sondern eben auch organisatorisch. Die Organisation sei letztlich Vorfeld der Partei, der Antifaschismus nur Mittel zum Zweck. Früher einmal zur Durchsetzung der Interessen der Sowjetunion und der DDR, heute … tja, wofür eigentlich? Für die Interessen einer Kleinstpartei, der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)? Oder für den Kommunismus an sich? Dass der Antifaschismus den Behörden, die der Extremismus-Theorie anhängen, an sich schon fragwürdig erscheint, kommt hinzu. Der Antikommunismus, der gut ohne Kommunismus auskommt, ist Kern der Argumentation seit Ende der 1940er Jahre – und er ist die Grundlage dafür, dass der antifaschistischen Organisation nun in Berlin die Gemeinnützigkeit entzogen wurde.

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Klaus von Dohnanyi (SPD) mit viel Solidarität beim Kongress der VVN 1983 in Hamburg @derrechterand Archiv

Warum zeigt diese zitierte Rede exemplarisch die Absurdität der Geheimdienst-Praxis? Ganz einfach: Die Rede hielt Klaus von Dohnanyi (SPD), damals erster Bürgermeister der Hansestadt Hamburg. Seit 1950 führte der Geheimdienst im Stadtstaat die VVN als verdächtiges »Beobachtungsobjekt« – eben mit jener Begründung, die seit Jahrzehnten vorgetragen wird: Zusammenarbeit mit Kommunist*innen, Antifaschismus und Nähe zur DKP. Ob der Dienst also damals seinen obersten Dienstherren auch beobachtet hat? Zumindest wurde der Kongress ausdrücklich im Verfassungsschutzbericht des Bundes aufgeführt. Und ob der Dienst auch die Aussagen von von Dohnanyi notiert hat? Denn die von ihm geforderte Zusammenarbeit mit Kommunist*innen im antifaschistischen Gedenken und im Kampf gegen rechts und sein Auftritt bei einer Organisation, die auch DKP-Mitglieder in führenden Positionen und als Redner auf dem Kongress hatte, dürfte alle Vorbehalte der Spitzel erfüllen. Die »Zusammenführung von Sozialdemokraten und Kommunisten, von Christen und Liberalen, von Grünen und Alternativen«, das galt dem Amt als verdächtig. Fast wortgleich wie ein zitierter VVN-Funktionär hatte von Dohnanyi in seiner Rede für ein Bündnis von Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen und Christ*innen geworben.

Auf dem Kongress hielt ein weiterer Sozialdemokrat ein Grußwort, der damalige Vorsitzende der Jusos, Olaf Scholz. Er ist heute Bundesfinanzminister und Vize-Kanzler. Er plädierte dafür, »dass es für die Zukunft keinerlei Unvereinbarkeit zwischen der Mitgliedschaft in der VVN und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands« mehr geben dürfe. Scholz sprach über den »gemeinsamen Kampf« von Sozialdemokrat*innen und VVN und lobte das Motto des Kongresses: »In der Tradition des antifaschistischen Widerstandes – gemeinsam für den Frieden«. Es enthalte »verbindliche Aussagen […] für die demokratische Bewegung in diesem Lande«.

Unter Finanzminister Olaf Scholz wurde der VVN nun die Gemeinnützigkeit entzogen. Man muss ihm zugutehalten, dass er auf eine Änderung des Steuerrechts drängt, die politische Betätigung von Vereinen erlaubt – für attac oder Campact. Um jedoch im Fall der VVN eine Lösung zu erreichen, braucht es mehr, nämlich das Ende der Beobachtung des Verbandes durch den Geheimdienst. Neben Bayern führte bis 2011 noch Baden-Württemberg die VVN in den Berichten auf. Allerdings ist die VVN weiterhin »Beobachtungsobjekt« einer Reihe von Verfassungsschutzämtern. Zurecht steht nun Bayern in der Kritik, da dort die VVN noch immer im öffentlichen Bericht an den Pranger gestellt wird. Doch auch andere Länder – zum Beispiel das sozialdemokratisch regierte Hamburg – führen die VVN weiterhin als »Beobachtungsobjekt«. Auch wenn die Auflösung des Verfassungsschutzes die einzig richtige Antwort wäre, sollte doch in einem ersten Schritt die SPD in der Bundesregierung und den Ländern dafür sorgen, die VVN endlich als »Beobachtungsobjekt« zu streichen. Die Geschichte verlangt das – so, wie Klaus von Dohnanyi es schon 1983 gesagt hat.