Rezensionen Ausgabe 181

Von Sascha Schmidt, Paul Wellsow, Nina Rink
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 181 - November / Dezember 2019

Soziale Frage von Rechts
von Sascha Schmidt

antifa Magazin der rechte rand

Nachdem die »Alternative für Deutschland« (AfD) bei fünf Landtagswahlen im Jahr 2016 hohe Stimmengewinne unter Arbeiter*innen und Arbeitslosen verzeichnen konnte, hat die Relevanz der Sozialen Frage für Teile des extrem rechten Spektrums deutlich zugenommen. Während »Der Flügel« der AfD auf einen »solidarischen Patriotismus« setzt, diskutieren Teile der »Neuen Rechten« (NR) über einen ‹Antikapitalismus› von Rechts. Einen Überblick über die mit dieser Entwicklung einhergehenden wirtschafts- und sozialpolitischen Debatten, Positionen und Konzeptionen bietet der Sammelband »Zwischen Neoliberalismus und völkischem ‹Antikapitalismus›« des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS). Das 17 Artikel umfassende Buch ist in drei Teile gegliedert. Teil eins widmet sich ideengeschichtlichen Bausteinen aus der Weimarer Republik. Im Fokus: der »preußische Sozialismus« von Oswald Spengler (von Michael Lausberg), der »nationale Sozialismus« bei Arthur Möller van den Bruck (Volker Weiß) und ‹national-soziale› Konzepte aus der Zeitschrift »Die Tat« (Simon Eberhardt). Helmut Kellershohn widmet sich dem Zusammenhang von Neo­liberalismus und ‹Konservativer Revolution›. Teil zwei und drei setzen sich größtenteils mit aktuellen Wirtschaftskonzepten und -themen der extremen Rechten sowie den damit verbundenen Kampffeldern auseinander. Darunter: die NPD in der Ära Voigt (Gideon Botsch/Christoph Kopke), die Betriebsratskampagne der NR von 2018 (Tim Ackermann/Mark Haarfeldt), die Soziale Frage im »Compact«-Magazin (Michael Barthel/Anna-Lena Herkehoff) oder – besonders lesenswert – Marx interpretiert von Vertretern der NR (Kellershohn).
Einen Schwerpunkt nimmt die Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD ein. Während sich Kellershohn den Programmatiken zuwendet, beleuchten Simon Eberhard und Sebastian Friedrich die unterschiedlichen »Flügel«-Positionen. Clemens Hölzel thematisiert die antiamerikanischen und antisemitischen Denkfiguren in der Partei. Gerd Wiegel analysiert die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundestagsfraktion, Ackermann und Haarfeldt die Rentenkonzepte, Nicole Gohlke und Christian Schaft das Hochschul- und Wissenschaftsprogramm.
Alles in allem bietet der Sammelband einen sehr gelungenen und lesenswerten Überblick über die Materie.

Becker, Andrea/Eberhardt, Simon/Kellershohn, Helmut (Hg.): Zwischen Neoliberalismus und völkischem ‹Antikapitalismus› – Sozial- und wissenschaftspolitische Konzepte und Debatten innerhalb der AfD und der Neuen Rechten. Münster 2019, Unrast Verlag Edition DISS, 268 Seiten, 24 Euro.

 

Entkultiviertes Bürger*innentum
von Paul Wellsow

antifa Magazin der rechte rand

Schon die ersten Sätze machen klar, welchen Gegenstand das Buch verhandelt: »Sie kommen nicht aus dem Nichts. Sie sind keine Nobodys. Sie können langjährige Nachbarn und gute Bekannte sein, renommierte Persönlichkeiten und gestandene Politiker. (…) Vom gesellschaftlichen Rand kamen die extrem Rechten selten. Mit ihren Positionen bewegen sie sich vielmehr selbst an den politischen Rand. Was sich gestern noch politisch am Rande befand, ein No-Go war, noch undenkbar erschien, steht heute in der Mitte, wird nicht bloß gedacht, sondern gesagt. An den Rändern der Gesellschaft hat sich die politische Entwicklung der Weimarer, Bonner und Berliner Republik nie entschieden. Die gesellschaftliche Mitte trug und trägt die Verantwortung mit. Und diese Mitte driftet seit geraumer Zeit nach rechts, erst allmählich, nun beschleunigt.«
In seinem neuen Buch »Die Entkultivierung des Bürgertums« – eine Mischung aus politischem Essay und Sachbuch – untersucht Andreas Speit den Zustand des deutschen Bürger*innentums, sein trügerisches Selbstbild und dessen Ambivalenz zwischen dem Streben nach dem eigenen Vorteil und der universalistischen Seite des Citoyen, dessen Werte auf den Errungenschaften der französischen Revolution beruhten.
Die Hetze von Rechts von enthemmten früheren Konservativen und Neonazis schlägt um in Gewalt und Mord – auch gegen jene Bürgerlichen, die zum Beispiel noch christliche Werte im Umgang mit Geflüchteten hochhalten. Es seien Personen wie Erika Steinbach oder Hans-Georg Maaßen, die beispielhaft für die »Rechtsverschiebung« des Bürgertums stehen. Mit Daten zu politischen Einstellungen und historischen Verweisen zeigt Speit die Verantwortung der »Mitte«. Er trägt Belege zusammen, die zeigen, dass die »Zerstörung der deutschen Demokratie« ein »Werk der Mittelklasse« war. Und er sammelt Belege, dass sich das heute wiederholt. Die »selbsternannten Tabubrecher« von Rechts kommen »aus der Mitte der Gesellschaft, sind renommiert und profiliert«. Speit nennt Thilo Sarrazin, Botho Strauß oder Peter Slo-terdijk. Als »Entkultivierung des Bürgertums« beschrieb der Politikwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer diesen Prozess. Bürgerliche versuchen, ihre »privilegierte Position« mit »rabiaten Mittel« zu sichern, ein »Verteilungskampf von weißen Männern mit Bildung und Besitz um das verlorene Paradies oder die bedrohte Idylle der eigenen Heimat«. Speit warnt: »Der Firnis der Demokratie und der Empathie scheint dünner zu sein als angenommen«. Die Aufforderung, »wehret den Anfängen«, sei überholt. Es gelte »Brandmauern« gegen die Rechte hoch zu ziehen.


Andreas Speit: Die Entkultivierung des Bürgertums. Zürich 2019, Orell Füssli, 112 Seiten, 12 Euro (Ebook 9,99 Euro).

 

Umkämpfte Meinungsfreiheit
von Nina Rink

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Dieses Buch kommt angesichts der (erneut) hochgekochten medialen Debatte um Meinungsfreiheit und deren Grenzen genau richtig. Auch wenn die Autor*innen wohl kaum von dieser Entwicklung gewusst haben können – es zeigt, wie zeitlos aktuell das Thema und wie notwendig die dauerhafte und wiederholte Auseinandersetzung damit ist. »Kämpfe um Meinungsfreiheit und Medien – Im Spannungsfeld von Hate Speech, Fake News und Algorithmen« ist Ergebnis des vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) ausgerichteten Kolloquiums zum Themenkomplex »Öffentliche Debatten um Meinungsfreiheit«. Die Teilnehmenden tauschten sich aus mit dem Ziel, »Wege eines kritischen Umgangs mit der gegenwärtigen Medienberichterstattung« zu erarbeiten. Der vorliegende Sammelband dokumentiert und vertieft verschiedene Aspekte in unterschiedlichen Darstellungsformen. Nach einer Einleitung des Herausgebers Paul Bey, die schon wesentliche Schlagworte in der Debatte einführt und aktuelle Bezüge herstellt, eröffnet Helmuth Kellershohn das breite Spektrum an angesprochenen Themen mit einer Analyse der öffentlichen Kommunikation der »Alternative für Deutschland« (AfD) mit ihrem strategisch eingesetztem Tabubruch bei gleichzeitigem Appell an die Meinungsfreiheit. Das Muster ist nicht neu, aber immer noch und immer wieder wirkungsvoll. Angesichts der Abhängigkeit des Erfolges dieser Strategie von der Rezeption in der Öffentlichkeit und den Medien kann man daran auch gar nicht oft genug erinnern. Andrea Becker schließt mit ihrer Arbeit über die Kampagnen der extremen Rechten in sogenannten sozialen Netzwerken an. Die von ihr sehr anschaulich beschriebene Orchestrierung gezielter Manipulationen und deren algorithmische Verstärkung in einem vielschichtigen Mediensystem aus Social Media, klassischen Medien und Öffentlichkeit ist mehr als aufschlussreich und gleichzeitig ernüchternd. Marc Fabian Erdl widmet sich dem Mythos der politischen Korrektheit von der Entstehung bis hin zu seinem heute auch in linken Kreisen unreflektierten Gebrauch. Jobst Paul beleuchtet in seinem Beitrag »Fake News und Real News in den USA« die unsauberen Methoden der Kommunikation der Trump-Administration und den Widerstand der kritischen Presse am Beispiel der Diskussion um den Mueller-Report. Das capulcu redaktionskollektiv schlüsselt mit einer technologiekritischen Perspektive die Nutzung von Algorithmen durch die großen Tech-Konzerne auf und zeigt die Gefahren einer »programmierten Gesellschaft« – inklusive möglicher Formen des Widerstands. Abgerundet wird der Band durch den Vortrag von Jennifer Eickelmann »Ab- und Ausgrenzungspolitiken im Netz«, in dem sie den alternativen Begriff »mediatisierte Missachtung« einführt, um den Dualismus »Free Spech vs. Hate Speech« aufzubrechen, der nach ihrer Darstellung offensichtlich unzureichend ist. Fazit: die Beiträge sind nicht immer ganz leicht zu lesen, aber höchst interessant und hilfreich, um sich für die Diskussion um das umstrittene Thema Meinungsfreiheit zu wappnen.


Paul Bey, Benno Nothardt (Hg.): »Kämpfe um Meinungsfreiheit und Medien – Im Spannungsfeld von Hate Speech, Fake News und Algorithmen«. Münster 2019, Unrast Verlag Edition DISS Band 44, 160 Seiten, 16,00 Euro.


 

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