Wie man den Klimanotstand nicht widerlegt

von Frederik Mallon
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 181 - November / Dezember 2019

#Unseriös
Ein »Argument«, um den Klimawandel »anzuzweifeln« oder gar zu »widerlegen«, ist ein Aufruf von angeblich »zahlreichen Wissenschaftlern«. Die deutsche Rechte ist davon begeistert.

https://www.welt.de/politik/deutschland/article215113620/Verfassungsschutz-Ueber-90-Corona-Kundgebungen-von-Rechtsextremisten-dominiert.html
© Christian Ditsch

Die Liste mit den 400 Namen ist nach »scientists and professionals« sortiert. Einzelne Namen unter dem im September 2019 veröffentlichten offenen Brief an die »Vereinten Nationen« unter dem Titel »Es gibt keinen Klimanotstand« stechen schnell heraus. So findet sich dort unter anderem Václav Klaus, ehemaliger Präsident der Tschechischen Republik. Oder Fritz Vahrenholt, der SPD-Politiker, der den Klimawandel mehr oder weniger offen leugnet, seitdem er mit Shell, RWE und Co. zusammenarbeitet. Oder Richard Lindzen, der nicht nur den Klimawandel anzweifelt, sondern auch, ob man vom Rauchen wirklich Lungenkrebs bekommen kann.
Die große Mehrheit der Unterzeichner*innen ist unbekannt. Auffällig ist jedoch: Die Liste beinhaltet nur zwei Personen, die tatsächlich als »Professor of Climatology« gekennzeichnet sind. Andere scheinen zwar auch etwas mit Klima zu tun zu haben, aber als »Expert*innen« kann man sie nicht bezeichnen. Zum Beispiel ist da der Professor für Geologie, Stefan Kröpelin, der sich angeblich spezialisiert hat in Bezug auf »Climate Change of the Sahara«. Fakt ist: Der Klimawandel könnte tatsächlich den Effekt haben, dass die Sahara grüner wird. In diesem Kontext muss man die Arbeit des Geologen verstehen. Ob der auch den Blick »über den Tellerrand« hat für den globalen Klimanotstand, gegen den er sich ja ausspricht, bleibt anzuzweifeln. Auch andere Kuriositäten finden sich auf der Liste. Zum Beispiel ein gewisser David Thompson, der als »Tierernährungswissenschaftler« gekennzeichnet ist. Oder John Harrison, ein australischer Schiffsingenieur in Rente. Oder der Niederländer Kees Pieters, ein Mathematiker und ehemaliger Manager bei Shell.

Die IPCC-Lüge (»Intergovernmental Panel on Climate Change«, »Weltklimarat«)
Mehrere Unterzeichner*innen sind als »Expert Peer Reviewer of the IPCC« gekennzeichnet. Also »Peer-Reviewer Expert*innen des Weltklimarats«? Was gut klingt, ist beim näheren Hinsehen nicht so beeindruckend. Auf der eigenen Website schreibt der Weltklimarat nämlich: »Expert Reviewers can register with a self-declaration of expertise up to a week before the end of the review period.« (»Gutachter können sich mit einer Selbsterklärung bis eine Woche vor Ende der Anmeldefrist des Gutachterzeitraums anmelden«.) Also: Die »Peer-Reviewer-Experten« können sich ganz einfach dort anmelden, um den Review durchzuführen. Die einzigen, die ihre Expertise bezeugen müssen, sind sie selbst. Es kann also mehr oder weniger jede*r sich dort als Wissenschaftler*in mit Fachkenntnis ausgeben.

Inhalt
Kernstück des Aufrufs sind sechs Thesen zum Klima. Den Anfang macht die allgemeine wie auch banale Feststellung, »die Erderwärmung wird durch natürliche und menschliche Faktoren verursacht«. Die zweite These soll offensichtlich als Beruhigungspille dienen. »Die Erderwärmung verläuft viel langsamer als vorhergesagt.« Leider ist diese These ungenau formuliert. Es ist schwer nachvollziehbar, worauf genau sie sich bezieht. Langsamer als vorhergesagt von wem? Es ist zu vermuten, dass sie sich auf die sogenannte »Pause der globalen Erwärmung« bezieht. Zwischen 1998 und 2013 sind die Durchschnittstemperaturen auf der Erde nämlich scheinbar nicht angestiegen. Doch der selbst von Wissenschaftler*innen oft begangene Fehler ist, nur die Temperaturen an Land zu betrachten. Diese unterliegen naturgemäß größeren Schwankungen als die Temperaturen des Wassers. Hätte man letztere beobachtet, dann wäre man zu einem anderen Schluss gekommen: Die Erwärmung der Erde vollzog sich sogar schneller als in den Dekaden ab 1950.
Die dritte These soll diskreditieren: »Die Klimapolitik verlässt sich auf unzulängliche Modelle.« Ein weiteres, oft von »Klimawandelskeptiker*innen« genutztes Argument: Der Klimawandel sei nie in einem realistischen Experiment nachgewiesen worden. Stattdessen basiere unser gesamtes Wissen auf Computermodellen. Und gewissermaßen stimmt das sogar – und ist auch völlig logisch. Denn es geht hier immerhin um ein komplexes Zusammenwirken mehrerer physikalischer Effekte. Und das über den gesamten Planeten verteilt. Es ist schlicht unmöglich, ein solches Phänomen experimentell nachzubauen.
Dass die Ergebnisse der Klimatologie »unzulänglich« wären, stimmt aber auch nicht. Die einzelnen Effekte, die den Klimawandel verursachen, zum Beispiel der Treibhauseffekt, hat man sehr wohl intensiv untersucht – zum Teil schon seit mehr als 100 Jahren. In der Folge ist in der Wissenschaft ein breiter Konsens über Ursachen und Wirkung in Bezug auf den Klimawandel entstanden.

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Auf Platz vier folgt eine weitere Binsenweisheit. Mit der Aussage »CO2 ist die Nahrung für Pflanzen, die Basis allen Lebens auf Erden.« soll die Debatte um das Kohlendioxid eine andere Wendung bekommen. Zwar ist die Aussage inhaltlich korrekt, aber: Sie suggeriert, die Menge der Pflanzen steige proportional zu der Menge von CO2. Was viel zu vereinfacht ist. Denn: Pflanzen brauchen sehr wohl CO2. Und können auch mit viel CO2 besser wachsen. Aber: Die anderen Effekte, die ein hoher CO2 -Gehalt der Atmosphäre hat, wie zum Beispiel eine Erwärmung der Erdatmosphäre, werden verschwiegen.
Die fünfte These soll den »Alarmismus« der Klimaschutzbewegung verspotten: »Die Erderwärmung hat nicht zu einer Zunahme von Naturkatastrophen geführt.« Eine schwierige Aussage. Es ist richtig, wie in den sehr knappen Ausführungen zu den Thesen gesagt wird, dass bis jetzt noch keine gefestigte Statistik das belegen kann. Was daran liegt, dass der vorliegende Untersuchungszeitraum, für den es gesicherte Wetteraufnahmen der ganzen Welt gibt, noch nicht einmal 100 Jahre umfasst. Zwar ließen sich alle statistischen Auffälligkeiten in dieser Zeit als Zufall abtun, die nichts mit dem Klimawandel zu tun haben. Allerdings hat sich die US-amerikanische Weltraumbehörde bereits festgelegt. Die NASA erklärt, die Erwärmung des Ozeans führe in den letzten Jahren dazu, dass Hurrikans zerstörerischer und unberechenbarer würden. Der Grund: Aus »normalen« Hurrikans können schneller tödliche Kategorie-5-Hurrikans werden.
Die sechste These ist geeignet, der Klimaschutzbewegung irrationales Denken und Handeln zu unterstellen. »Klimapolitik muss wissenschaftliche und wirtschaftliche Realitäten respektieren.« Es klingt so, als würde die Klimapolitik rücksichtslos radikal gegen jegliche Vernunft gemacht werden. Tatsache ist: Es wird bislang sogar eher zu wenig als zu viel gemacht. Nebenbei wird damit das Narrativ des »Job-Killers« Klimapolitik bedient.

Applaus von rechts
Die deutsche Rechte griff den Aufruf gerne auf. So berichtete Ende September 2019 die neu-rechte »Junge Freiheit« nicht nur darüber, sondern veröffentlichte auf ihrer Website als PDF-Dokumente zudem den englischsprachigen Originalaufruf und die Liste der Unterzeichner*innen. Auch den Klimawandel-Skeptikern vom »Europäischen Institut für Klima und Energie« (EIKE), der verschwörungstheoretischen »Bürgerrechtsbewegung Solidarität«, dem rechten Blog »Tichys Einblick« ebeno wie der der »Alternative für Deutschland« (AfD) nahestehenden Website »Die freie Welt« und verschiedenen Websites der AfD passte der Aufruf politisch ins Konzept. Und auch der Abgeordnete Karsten Hilse von der AfD zitierte in einer Rede im Deutschen Bundestag am 26. September 2019 den offenen Brief, um die Ablehnung von Klimaschutzmaßnahmen zu begründen.
Allein im deutschsprachigen Bereich hingegen bestätigen nicht nur 26.000 Wissenschaftler*innen den Klimanotstand, sondern unterstützen auch Fridays for Future. Und dort sind echte Klima-Expert*innen dabei. 400 Personen, von denen rund 350 wenig bis gar keine Ahnung vom Thema haben, können das nicht widerlegen. Schon gar nicht mit falschen Aussagen, FakeNews und verdrehten Fakten. Am wissenschaftlichen Konsens kann und wird dieser Aufruf nichts ändern. Auch wenn die Rechten sich das noch so sehr wünschen.

Der Artikel ist eine gekürzte und für »der rechte rand« aktualisierte Fassung, die zuerst auf volksverpetzer.de veröffentlicht wurde.