Von Pflanzen und Menschen

von Peter Bierl
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 181 - November / Dezember 2019

#BrauneÖkologie

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Neonazis beziehen sich auch auf die »Blut und Boden« Ideologie – 2001 marschieren »Freie Kameradschaften« gegen Atomkraft in Uelzen
© Mark Mühlhaus / attenzione

Über all den »Dumpfbacken«, die den Klimawandel leugnen, könnte man glatt übersehen, dass Neonazis durchaus Umweltthemen aufgreifen, wenn auch nur in instrumenteller Absicht. Zugute kommt ihnen, dass sie an weit verbreitete Ideen anknüpfen können. Die alte NPD-Parole »Umweltschutz ist Heimatschutz« fügt sich zur neuen Heimattümelei, der Ökomalthusianismus hat Resonanz im bürgerlichen und im alternativen Lager. Das zeigen beispielsweise die Sprüche von Clemens Tönnies, einem der größten Fleischhändler Europas, Milliardär und Aufsichtsratsvorsitzender von Schalke 04, über »Afrikaner«, die zu viele Kinder machen.

Strategisch denkende Ideolog*innen der völkischen Rechten haben die Umweltfrage auf dem Schirm. Philipp Stein, Kopf des Projekts »Ein Prozent«, forderte in seinem »Ökomanifest von rechts« (2014) dazu auf, der Linken die Deutungshoheit in der Umweltfrage wieder zu entwinden. In Beiträgen aus dem »Institut für Staatspolitik« wird auf den historischen Fundus der Heimatschutzbewegung verwiesen und das NS-Regime als Vorbild gerühmt.

Der Ursprung
Richtig ist, dass Naturschutz lange Zeit ein rechtes Thema war. Der Umschwung kam erst allmählich mit der zweiten Umweltbewegung seit den späten 1960er Jahren, die allerdings in Deutschland und Österreich bis in die Gründungsphase der Grünen von rechten Gruppen wie dem »Weltbund zum Schutz des Lebens« oder der »Aktionsgemeinschaft Unabhängige Deutsche« (AUD) geprägt wurde. Manche linke Ökolog*innen fanden nichts dabei, sich mit solchen Leuten im »Collegium Humanum« in Vlotho zu treffen.

Diese Gruppen standen in der Tradition von Lebensreform und Heimatschutz, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts aufkamen und sich gegen bestimmte Symptome der Industrialisierung wandten.
Diese Bewegungen waren miteinander verbunden und männlich dominiert, abgesehen vom Tierschutz. Die Anhänger*innen gehörten überwiegend der akademischen urbanen, männlich dominierten Mittelschicht an.

Die Lebensreform beanspruchte, alles zu verändern, Ökonomie und Landwirtschaft, Gesundheit und Ernährung, Kleidung und Freizeit, Pädagogik und Kunst. Unter dem Motto »Zurück zur Natur« sollten die Menschen ihr Leben und die Gesellschaft grundlegend umgestalten. Aus diesem Milieu entstanden Gartenstädte, Reformhäuser und Vollwertkost, der Wandervogel und die FKK-Bewegung, die Anthroposophie und die Zinstheorien von Silvio Gesell, die heute in Regionalgeld-Initiativen und Transition-Town-Gruppen auftauchen. Manche Lebensreformer*innen entwickelten sich zu regelrechten Aussteiger*innen, die ihr Ideal vom einfachen Leben auf der Scholle verwirklichen wollten. Die meisten Siedlungen und Kommunen scheiterten, weil diese Leute von Landwirtschaft keine Ahnung hatten.

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In den Heimatschutz-Verbänden sammelten sich die nahezu ausschließlich männlichen Honoratioren, Wissenschaftler, Lehrer, Ingenieure, Architekten und Beamte. Sie kämpften gegen die Zerstörung von Landschaft und Natur und den Verfall von Sitten und Bräuchen und suchten in Kooperation mit Behörden nach Kompromissen bei der Stadtentwicklung oder Großprojekten, wie zum Beispiel der Anlage von Wasserkraftwerken. Der Denkmalschutz geht wesentlich auf diese Bewegung zurück. Ein zentrales Anliegen war der Kampf gegen moderne Architektur und der Anspruch traditionelle Stilformen weiterzuentwickeln. Was damit gemeint war, zeigt Schloss Cäcilienhof in Potsdam mit viel Fachwerk und steilen Dächern, das der Architekt Paul Schultze-Naumburg 1912 entwarf. Zurecht warnten die Heimatschutz-Verbände vor Versteppung, Artensterben, der Verschmutzung von Gewässern oder dem Einsatz für Mischwälder statt Fichtenmonokulturen.

Hygiene, Reinheit, Antisemitismus
Gesellschaftspolitisch waren Lebensreform und Heimatschutz jedoch konservativ-reaktionär bis völkisch-rassistisch. Zwar gab es linke Strömungen, die allerdings oft Positionen mit den Rechten teilten, etwa ‹rassenhygienische› Ideen. Beide Bewegungen misstrauten dem Fortschritt, weil sie eine biologistisch-rassistische und kulturelle nationale Identität – in der damaligen Sprache: deutsches Volkstum – in Gefahr wähnten. Sie beklagten einen Verfall der Kultur, eine »Degeneration« der Menschheit, insbesondere einer »nordischen Rasse«. Großstädte wie Berlin galten ihnen als »Grab der Arier« wegen des Rückgangs der Geburten, der Mietskasernen und Vergnügungstempel, als alles verschlingender Moloch, in dem ‹die Juden›, Banken, Börsen und Zeitungen beherrschten. Abgelehnt wurden emanzipatorische Tendenzen wie die Arbeiter*innen- und die Frauenbewegung.

 

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Briefmarke zum Gedenken an Rudorff

Wer deshalb behauptet, der Heimatbegriff sei bloß von den Nazis missbraucht worden, irrt. Als es um den öffentlichen Aufruf zur Gründung eines Verbandes ging, wollte Ernst Rudorff weder die Unterschriften von Frauen noch von Juden haben. Der Musikprofessor prägte den Begriff »Heimatschutz« (1897) und behauptete, ein inniges Naturgefühl gehöre zu den »Wurzeln des germanischen Wesens«, während Jüdinnen*Juden keine Heimat hätten. Er wollte die »Gesamtphysiognomie des Vaterlandes« schützen, die »Sitten des Landvolkes«, die »Urwelt«, die »urwüchsig schaffende Volkskunst«. Heimatliebe sollte zum emotionalen und geistigen Bollwerk gegen den verhassten »Materialismus« werden, um die »Ideen der roten Internationale« abzuwehren.


Die Lebensreformer*innen wollten mit »natürlicher Lebensweise« die ‹Rasse rein halten›, ertüchtigen und hochzüchten. Paradigmatisch war die Ablehnung der Impfung: Der Natur würde ins Handwerk gepfuscht, die durch Krankheiten für Auslese und Ausmerzen der Minderwertigen sorge. »Natürlich« war in dieser Perspektive der Kampf ums Dasein. Krankheit sei als Prüfung von Geist und Körper zu akzeptieren und mit »natürlichen« Mitteln, den Kräften des eigenen Körpers oder traditionellen Methoden zu bekämpfen.

Verbreitet war die Vorstellung eines ‹Dritten Wegs› zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Der prominente Lebensreform-Künstler Fidus visualisierte die Idee in einer Grafik: Sie zeigt die Menschheit am Scheideweg zwischen dem Kommunismus, den Fidus als Wolkenkuckucksheim darstellte, dem Kapitalismus, der in den Abgrund führte, und einer agrarisch-handwerklichen Idylle. Die illusionäre Vorstellung war, die Dynamik des Kapitalismus so zu begrenzen, dass eine mittelständische Marktwirtschaft übrigblieb. Die Struktur der Kapitalverwertung, die Produktion von Waren für Märkte, Konkurrenz und Lohnarbeit, sollte nicht angetastet werden. Ähnliche Vorstellungen grassieren heute in der Umwelt- und globalisierungskritischen Bewegung oder werden von Sarah Wagenknecht vertreten.

Reite den Zeitgeist
Während die »Heimatschutzbewegung« im Kaiserreich meist gemäßigt-konservativ auftrat, fand in der Weimarer Republik eine Faschisierung statt. Paradigmatisch lässt sich dieser Prozess an Schultze-Naumburg zeigen. Er fungierte von 1904 bis 1913 als Vorsitzender des »Bundes Heimatschutz«, seine Broschüren trugen erheblich zur Popularisierung bei. Von Anfang an sprach er von ‹Rassen› und ‹höheren Rassen›, etwa in einer Schrift zur Frauenkleidung (1903), die als wichtiger Beitrag zur Lebensreform galt und in der er sich gegen das Korsett wandte. In der Flugschrift über die »Entstellung« des Landes (1905) beklagte er, ‹die deutsche Heimat› und damit der Ausdruck des »spezifisch deutschen Wesens« würden zerstört. Seit Mitte der 1920er Jahre schlug Schultze-Naumburg offenere und aggressivere Töne an. Eine Streitschrift gegen das Flachdach (1927) begann er mit Erörterungen über den trivialen Umstand, Regen könne von steilen Dächern besser abfließen , um schließlich eine Verbindung zwischen Architektur und ‹Rasse› herzustellen.

Zu diesem Zeitpunkt stand Schultze-Naumburg bereits in Kontakt mit NS-Kreisen und übernahm die ‹Rassenlehre› von Hans F.K. Günther, dem »Rassenpapst« der Nazis. 1929 gründete Schultze-Naumburg die Kunstwerkstätten Saaleck als Gegenpol zum Bauhaus. Der Saalecker-Kreis traf sich mit Paul Bonatz, dem Architekten des Stuttgarter Bahnhofs, Hans F.K. Günther und Alfred Ploetz, den Begründern der ‹Rassenhygiene› und den NS-Politikern Richard Walther Darré und Wilhelm Frick, die später Landwirtschafts- beziehungsweise Innenminister wurden. Im gleichen Jahr publizierte Schultze-Namburg die Schrift »Kunst und Rasse«, in der er über artgerechte Kunst, Rassenmischung, Minderwertige, Auslese und Ausmerzen schwadronierte. 1930 wurde er Mitglied der NSDAP und Direktor der staatlichen Hochschule für Baukunst in Weimar und trug zwei Jahre später maßgeblich zur Schließung des Bauhauses bei.

Chancen und Karriere im NS
Nach 1933 kollaborierten viele Lebensreformer*innen und Heimatschützer*innen willig mit den Nationalsozialisten. Vereine und Verbände wie »Bund Naturschutz«, »Volksbund Naturschutz« oder der »Vogelschutzbund« vollzogen eine Selbstgleichschaltung. Viele Verbandsfunktionäre waren längst der NSDAP beigetreten. Naturschützer*innen jüdischer Herkunft wurden hinausgedrängt – wie Benno Wolf, der 1943 in Theresienstadt ermordet wurde – und Jüdinnen und Juden wurde die Mitgliedschaft verboten. Die Natur- und Heimatschutzverbände wurden zeitweise im »Reichsbund Volkstum und Heimat« (1933-1935) unter der Führung von Werner Georg Haverbeck zusammengefasst, der später als Präsident der deutschen Sektion des »Weltbundes zum Schutz des Lebens« eine wichtige Rolle bei der Gründung der Grünen spielte. Organisationen aus dem Bereich der Lebensreform, wie der anthroposophische »Reichsverband für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise«, schlossen sich der faschistischen »Deutschen Lebensreform-Bewegung« an.

Neben Personal lieferte der Natur- und Heimatschutz Ideen für einen Naturschutz mit Alibifunktion. 1935 erließ Hermann Göring in seiner Funktion als Reichsforst- und Reichsjägermeister ein Reichsnaturschutzgesetz. In der Folgezeit wurden Naturschutzgebiete und Naturdenkmale ausgewiesen. Gleichzeitig bedeutete die Aufrüstungs- und Autarkiepolitik des NS-Regimes einen ungeheuren Landschafts- und Energieverbrauch sowie eine große Umweltzerstörung.

Mythos Wald
Schon während der napoleonischen Kriege entdeckten ‹Dichter und Denker› den Wald als Symbol deutschen Wesens, insbesondere deutscher Gemütstiefe und Naturverbundenheit, in Abgrenzung zu Frankreich. Wilhelm Heinrich Riehl (1853), der als Begründer der Volkskunde und Vordenker des Heimatschutzes gilt, konstruierte einen Zusammenhang zwischen Nationalcharakter und Umwelt, der weit über eine rationale Analyse der Zusammenhänge von Klima, Geographie, Wirtschaftsweise, sozialen Strukturen und Bewusstseinsformen hinausging. Engländer, Franzosen und Italiener galten ihm als urbane Nationen, kulturlos und ausgelebt, weil sie keine großen und gemeinschaftlich genutzten Wälder mehr hätten. Die »Amerikaner« bezeichnete er als zwar jugendliches, gleichwohl »entartetes Volkstum«, »mit ihrer vom Materialismus zersetzten Gesellschaft«. Eine Zukunft hätten nur die Deutschen, sofern sie den wildnishaften Wald als Sinnbild für die »Kraft des natürlichen, rohen Volkstums« bewahrten.

Diese Thesen wurden von den Völkischen zugespitzt. Sie behaupteten einen »blutsmäßigen Zusammenhang« von Volk und Wald und attackierten »Fremdstämmige« als Wald- und Volksfeinde. Die Deutschen wurden zum Waldvolk stilisiert, die Slawen als Steppenvolk diffamiert, unfähig zur Gestaltung einer Kulturlandschaft. ‹Die Juden› wiederum hätten als Nomaden- und Wüstenvolk überhaupt keinen Bezug zur Natur. Die Nationalsozialisten versprachen anstelle eines jüdisch-kapitalistischen Raubbaus eine »naturgemäße Waldbewirtschaftung«. Tatsächlich wurde die Ausbeutung des Waldes nach 1933 verschärft. Die Fällungen gingen vorübergehend zurück, nachdem die Deutschen weite Teile Europas erobert hatten und die dortigen Wälder plünderten.

Getreu der Blut-und-Boden-Ideologie betrachteten Natur- und Heimatschützer das Erscheinungsbild des eroberten »Lebensraums« in Osteuropa als undeutsch. Architekten und Landschaftsplaner entwickelten im Auftrag der SS detaillierte Pläne, wie diese Gebiete nach der Vertreibung der polnischen Bewohner*innen durch neue Dörfer, Wälder und Hecken so umzugestalten wären, dass sie dem Gemüt deutscher Siedler*innen entsprachen. Der Landschaftsarchitekt Heinrich Wiepking-Jürgensmann wurde 1941 zum Sonderbeauftragten des Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums ernannt, um Vorschläge im Rahmen des Generalplans Ost auszuarbeiten. Er formulierte den inneren Zusammenhang zwischen ‹Rasse› und Landschaft folgendermaßen: »Die Morde und Grausamkeiten der ostischen Völker sind messerscharf eingefurcht in die Fratzen ihrer Herkommenslandschaften.«

Kulturgut Autobahn
Der Landschaftsarchitekt Alwin Seifert war seit 1934 zusammen mit anderen Architekten und Planern aus den Natur- und Heimatschutzverbänden, darunter etlichen Anthroposophen, an der Gestaltung der neuen Autobahnen beteiligt. Als Jugendlicher war Seifert beim »Wandervogel«. Er sympathisierte mit der biologisch-dynamischen Landwirtschaft und entwickelte ein Faible für Kompost, was ihm den Spitznamen »Herr Muttererde« eintrug. Inwieweit Seifert in die Experimente der SS mit biologisch-dynamischen Methoden im KZ Dachau verwickelt war, ist noch nicht erforscht. Seifert sorgte dafür, dass Seiten- und Mittelstreifen der Autobahnen mit »heimischen« Pflanzen begrünt wurden, während er »fremdländische« Gewächse verabscheute. Er bekam später den pompösen Titel »Reichslandschaftsanwalt«.

Die Autobahnen hatten für die Nationalsozialisten enorme propagandistische Bedeutung, nicht nur in Bezug auf Arbeitsplätze. Sie sollten als »Straßenbaukunst« demonstrieren, wie der Nationalsozialismus Natur und Technik versöhnte. Der ‹Volksgenosse› sollte im neuen KdF-Wagen aus Wolfsburg beim »Autowandern« auf den Straßen des Führers eine Landschaft genießen, die als Quelle völkischer Kraft galt. Wurde die Eisenbahn mit ihren schnurgeraden Strecken als »liberalistische Maschinen-Landschaft« gedeutet, sollte die Straße »organisch« in die Landschaft eingefügt werden. Deshalb wurden geschwungene Trassen favorisiert und markante Aussichtspunkte wie der Irschenberg auf der Vorzeigestrecke München-Rosenheim einbezogen. Bei der Anlage von Rasthäusern sollten örtliche Baumaterialien und Stilformen berücksichtigt, beim Brückenbau Naturstein verwendet werden, wofür Paul Bonatz herangezogen werden sollte. In der Realität blieb es bei Brücken allerdings oft bei Betonkonstruktionen, da diese billiger waren.

Nach dem Krieg setzten Nazis und Nazikollaborateure aus Lebensreform- und Heimatschutzbewegung ihre Karrieren fort, etliche wurden mit Verdienstorden ausgezeichnet. Seifert wurde Vorsitzender und Ehrenvorsitzender des »Bundes Naturschutz«. Er gehörte zu den – ausschließlich männlichen – Unterzeichnern der Grünen Charta von Mainau (1962), die als ein Gründungsdokument des Umweltschutzes gilt.

Von Peter Bierl erschien »Heimat – Absage an einen deutschen Mythos« (Edition Critic). Zuletzt hat er die Bücher »Einmaleins der Kapitalismuskritik« (Unrast-Verlag 2018) und »Grüne Braune: Umwelt-, Tier- und Heimatschutz von rechts« (Unrast-Verlag 2014) veröffentlicht.