Multifunktionshaus

von Johannes Grunert
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 179 - Juli / August 2019

#Chemnitz

Als Ende August 2018 Rassist*innen in Chemnitz auf Menschenjagd gingen, diente ihnen ein Haus im Zentrum der Stadt als Dreh- und Angelpunkt.

Antifa magazin der rechte rand
»Bürgerbewegung Pro Chemnitz« @ Tim Mönch

Inmitten eines Blocks aus sanierten 1950er-Jahre-Bauten steht der einzelne Altbau in der Brauhausstraße. Die Fenster sind zum Teil mit Wahlplakaten zugestellt, bunte Farbsprenkler auf der Fassade zeugen von den zahlreiche Farbattacken, die über die Jahre auf das Haus inmitten des wohl am meisten migrantisch geprägten Viertels der Stadt verübt wurden. Hier hat sich die Partei »Bürgerbewegung Pro Chemnitz« eingerichtet und vereint verschiedene Akteure unter einem Dach.

Kohlmann und sein Netzwerk
Die Immobilie fungiert bereits seit 2012 als Kanzlei des extrem rechten Rechtsanwalts Martin Kohlmann. Er ist Chef von »Pro Chemnitz«, pflegt gute Kontakte in die neonazistische Szene und vertritt regelmäßig Neonazis vor Gericht. Seit 1999 sitzt er im Stadtrat und gilt als Hauptorganisator der rechten Aufmärsche im vergangenen Spätsommer. Neben Rechten zählen auch russischsprachige Asylsuchende zu seinen Mandant*innen. Der 41-Jährige ist Fachanwalt für Strafrecht und wirbt mit »Tätigkeitsschwerpunkte sind das Strafrecht, das Verwaltungsrecht und das Familienrecht«. Seine Vita ist auf seiner Homepage in russischer Sprache einzusehen. Kohlmann ist auch in ein Netzwerk aus einer russischsprachigen Zeitschrift und einem Verein eingebunden, die zumindest zeitweise über die Brauhausstraße zu erreichen waren. Zentrale Person dieses Netzwerks ist der Georgier Aleksandr Boyko. Er ist Chefredakteur der russischsprachigen Zeitschrift »Berliner Telegraph« und Vorsitzender des russischen Kulturvereins »Tolstoi e. V.«. Kohlmann selbst fungierte anfangs als Schriftführer von Boykos Verein. Auch mit dem »Berliner Telegraph« ist Kohlmann eng verbunden: Bis 2015 wurde er im »Telegraph« als »Rechtsabteilung« angegeben. Die Zeitschrift und der Verein geben heute offiziell ihren Sitz an einer anderen Adresse an.

Rechtes »Begegnungszentrum«
Jahrelang fand das Haus in der Chemnitzer Stadtgesellschaft keine große Beachtung, da sich nur die Kanzlei, das benannte Netzwerk und die »Pennale Burschenschaft Theodor Körner zu Chemnitz«, deren Umzug in das Haus Kohlmann Ende 2012 organisierte, in dem Gebäude befanden.
Nachdem das Haus als Materiallager und Organisationszentrale für die rassistischen Aufmärsche im August und September 2018 aufgefallen war, begann »Pro Chemnitz« ab Ende des Jahres im Erdgeschoss des Hauses ein »Begegnungszentrum für Patrioten« auszubauen: Im Chemnitzer Stadtzentrum entstand damit schlagartig eine Anlaufstation, die seit ihrer Eröffnung am 1. Mai 2019 zweimal in der Woche einschlägigen Rechten und Rassist*innen als Treffpunkt dient.


Noch während »Pro Chemnitz« die Fläche mit Hilfe ihrer Anhänger*innen ausbaute, startete die Initiative »Aufstehen gegen Rassismus« eine Kampagne gegen den Treffpunkt. Mit regelmäßigen Treffen, einer Petition und mehreren Demonstrationen rückten sie das Haus in den Fokus der lokalen Presse und der Stadtgesellschaft. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei Bündnis90/Die Grünen gab die Stadtverwaltung bekannt, dass »Pro Chemnitz« für einen Raum eine Umnutzung zum Jugendtreff plane. Dass dieser Plan bereits konkret wurde, bezeugen Treffen einer Gruppe junger Neonazis in einem Hinterraum des Erdgeschosses. Dieser wurde mittlerweile zu einer ansehnlichen Bar ausgebaut, bislang ohne Beanstandung durch das Baugenehmigungsamt. Die Gruppe trat bereits bei den Aufmärschen im vergangenen Sommer in Erscheinung, unter anderem bedrohte sie Antifaschist*innen.

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In der Brauhausstraße finden sich die verschiedenen Szenen und Spektren zusammen, die gemeinsam die Straßenmobilisierung der Rechten seit dem Sommer 2018 getragen haben. Geradezu perfekt passt der Fraktionsgeschäftsführer von »Pro Chemnitz« im Chemnitzer Stadtrat, Robert Andres, dazu. Er fungiert als Bindeglied zwischen der Gruppe und den größtenteils über 60-jährigen Anhänger*innen der Partei. Andres wird der 2014 verbotenen Kameradschaft »Nationale Sozialisten Chemnitz« zugerechnet und organisiert Vorträge – unter anderem mit Holocaustleugner*innen wie Ursula Haverbeck. Er ist außerdem an der Organisation des NS-Kampfsportturniers »TIWAZ« beteiligt, Teile der Gruppe sind aktive Kampfsportler. Momentan ist geplant, dass die Gruppe noch weitere Räumlichkeiten in einem der Obergeschosse bezieht, um dort ein Schulungszentrum einzurichten.