Ritualisierte Kreisläufe

von Alexa Anders und Arthur Reiters

Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 182 - Januar / Februar 2020

#PEGIDA

Seit fünf Jahren läuft PEGIDA fast jeden Montag durch Dresden.
Was als rechter Dammbruch im Oktober 2014 begann, hat an Anziehungskraft und Einfluss verloren. Dennoch scheint die rassistische Hetze inzwischen zu Dresden zu gehören – wie das Grüne Gewölbe. Selbst die Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2025 ging nicht ohne Verweis auf PEGIDA.

Antifa Magazin der rechte rand
Seit 2014 – PEGIDA auf den Straßen von Dresden
© Roland Geisheimer / attenzione

Es ist Montag, der 2. Dezember gegen halb sieben. Auf einem LKW vor dem Hauptbahnhof steht Wolfgang Taufkirch und vor ihm um die 1.000 Menschen mit wehenden Deutschlandfahnen, verziert mit Lichterketten. Es ertönt die PEGIDA-Hymne, Taufkirch verliest die Auflagen und eröffnet die 196. Demonstration der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes«. Inhaltlich ist nicht mehr viel Neues zu erwarten. Die Reden beschränken sich zumeist auf die Kommentierung der Tagespolitik auf Facebook-Niveau. Heute geht es um Andreas Scheuer, dessen Gehalt und die Dieselsteuer. »Volksverräter, Volksverräter«, »An die Wand, an die Wand«, ruft es reflexhaft aus dem Publikum. Taufkirch lässt dies genüsslich geschehen und hält nach Stichworten kurz inne. Schnell wird sich noch am Gegenprotest, der noch nie gearbeitet hätte, abgearbeitet, dann wird die gewohnte Runde gedreht. Selbst nennen sie das »Spaziergang«. Der schlängelt sich schweigend durch die Innenstadt, nur hin und wieder wird »Widerstand« oder »Jugend, Europa, Reconquista« angestimmt. Was man jedoch vergeblich an diesem verregneten Montagabend sucht, ist Jugend. Die meisten dürften die 50 weit überschritten haben. Sie tragen Schilder, auf denen die gleichen vulgären Sprüche zu lesen sind, die in den letzten Jahren immer mal wieder für bundesweites Aufsehen sorgten: »Merkel ist die größte Spalterin der deutschen Geschichte – wann wird dieses Wesen endgültig entsorgt?« Als der Ausgangspunkt wieder erreicht ist, sprechen noch Lutz Bachmann und Siegfried Däbritz. Zum Abschluss ertönt noch einmal die Hymne. Nach 90 Minuten ist alles vorbei: Routine an einem Dresdner Montagabend.

Allein auf weiter Flur
Das Interesse an PEGIDA ist merklich zurück gegangen. Das zeigt sich nicht allein an der geschrumpften Teilnehmendenzahl, die zu Hochzeiten im fünfstelligen Bereich lag und heute an schlechten Tagen den vierstelligen nicht mehr erreicht. Es ist ein eingeschworener Kreis der Immergleichen. Sind 1.000 Menschen regelmäßig auf Dresdens Straßen zwar durchaus eine Größe, so ist die Veranstaltung doch nur noch selbstbezogen und ohne jene Anziehungskraft wie zur Anfangszeit. Statt Leitartikel und Talkshowrunden beschränkt sich der mediale Output inzwischen auf Polizeimeldungen zu Körperverletzungen und Hitlergrüßen. Bundesweit ist PEGIDA höchstens wahrnehmbar, wenn Lutz Bachmann wieder einmal Schlagzeilen mit Volksverhetzung macht. Auch auf der Bühne macht sich der Bedeutungsverlust bemerkbar. Waren in den ersten Jahren noch relevante rechte Akteure aus dem In- und Ausland, wie Götz Kubitschek oder Tommy Robinson, zu Gast, können heute kaum bekanntere Redner*innen präsentiert werden. Zum fünften Geburtstag am 20. Oktober mussten zwei »Identitäre« spontan einspringen, um das Programm zu füllen. Auf den knapp 30 Montagsspaziergängen 2019 trat fast ausschließlich das Führungstrio Lutz Bachmann, Siegfried Däbritz und Wolfgang Taufkirch auf. Nur selten sind andere Stimmen zu hören – am häufigsten noch Hans-Christoph Berndt von »Zukunft & Heimat« aus Cottbus. Selbst die Dauergäste, der Münchner Michael Stürzenberger, der österreichische »Identitäre« Martin Sellner und der Compact«-Herausgeber Jürgen Elsässer, finden nur noch selten den Weg nach Dresden. Götz Kubitschek ließ sich in diesem Jahr gar nicht erst blicken. Die Zeiten, als es ein Muss war, in Dresden dabei zu sein, sind offenkundig vorbei. Heute nutzt man die Bühne, wenn man sich etwas verspricht: Stimmen, Mobilisierungspotential, Selbststilisierung als Anti-Establishment. Für »Ein Prozent« und die »Identitäre Bewegung« bietet sich Resonanzraum für Infostände oder Kampagnenwerbung. Die »Alternative für Deutschland« (AfD) pflegt inzwischen ein funktionales Verhältnis.


Spätestens am 1. September 2018 in Chemnitz wurde der lang gewahrte Schein der Abgrenzung aufgegeben. Die Demonstrationsspitze mit führenden AfD-Politiker*innen und PEGIDA Seite an Seite gilt als öffentlich vollzogener Schulterschluss. Ihre Wahlkampfveranstaltungen ließ die AfD in Dresden im Anschluss an die montäglichen Kundgebungen stattfinden. »Die einzige Opposition in Deutschland ist die Straße, das sind wir, das ist PEGIDA und das ist die AfD«, betonte Tatjana Festerling in einer Rede am 18. Januar 2016. Das ist der Partei bewusst – Angehörige statten daher PEGIDA regelmäßig Anstandsbesuche ab, so die Landtagsmitglieder Jörg Urban und André Wendt, just nach dessen Wahl zum Vize-Präsidenten des Sächsischen Landtages. Der Bundestagsabgeordnete Jens Maier forderte die »Patriotischen Europäer« zum fünften Geburtstag auf, weiterhin auf die Straße zu gehen. Für die Partei sind sie bis heute die Basis, welche die eigene parlamentarische Arbeit auf der Straße vertritt. Gerade nach den jüngsten Wahlerfolgen braucht die AfD diese, um sich weiterhin als einzige Opposition zu inszenieren und selbstzuvergewissern. Sie ist angewiesen auf den Ausnahmezustand und die »fünf-vor-Zwölf« Stimmung. Und die bietet PEGIDA in Dauerschleife. Nicht zuletzt diese Rolle ist es auch, die sie seit fünf Jahren auf der Straße hält und eine eingeschworene Gemeinde bis heute wütende Kreise ziehen lässt. Den Aufstieg der AfD tragen sie dabei als den eigenen Erfolg vor sich her.

Dresdens liebstes Schmuddelkind
An einer Stadt gehen fünf Jahre rassistische Demonstrationen, »man wird wohl noch sagen dürfen« und endlose Dialoge über Sorgen und Ängste nicht spurlos vorbei. PEGIDA hat zu Gewöhnung, Gleichgültigkeit und Akzeptanz geführt. Zur Stadtratswahl erhielt die AfD 17,1 Prozent und die »Freien Wähler« 5,3 Prozent der Stimmen, die NPD bekam 0,6 Prozent und ist nicht mehr im Stadtrat vertreten. Andererseits polarisierte sich die Stadtgesellschaft, was die Grünen als Wahlsieger hervorgehen ließ und eine Pattsituation im Stadtrat bedingt. Im öffentlichen Diskurs der Stadt ist eine Verschiebung wahrnehmbar. Zum Beispiel in der Debatte um die »Charta 2017« gegen eine vermeintliche »Gesinnungsdiktatur« oder um deren Initiatorin Susanne Dagen, Buchhändlerin und seit September 2019 Stadträtin für die »Freien Wähler«. Gemeinsam mit Ellen Kositza und dem »Verlag Antaios« produziert sie die Sendung »Aufgeblättert. Zugeschlagen – Mit Rechten lesen«. Unter dem Schlagwort der Meinungsfreiheit werden völkische, nationalistische, rassistische und antisemitische Positionen in der Öffentlichkeit normalisiert. Diese Normalisierung zeigt sich auch im Umgang der Stadt mit PEGIDA. Zwar rief der Oberbürgermeister nun bereits zum zweiten Mal zu den Protesten gegen den PEGIDA-Geburtstag auf, aber das heißt nicht, dass die Stadt rechter Hetze auf Dresdens Straßen entgegenwirken würde. Im Gegenteil. Dem Protest gegen das PEGIDA-Weihnachtssingen am 15. Dezember wurden Kundgebungsmittel untersagt, die durch Lärm stören könnten, begründet mit dem »besinnlichen Charakter« des Weihnachtssingens.

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Mit der Bewerbung zur Kulturhauptstadt versuchte Dresden ein besonderes Kunststück: PEGIDA als Standortvorteil. Denn »die alte Kulturstadt in der Mitte Europas ist zu einer Bühne für die Konflikte, die die Zukunft Europas insgesamt betreffen, geworden«. Unter dem Titel »Neue Heimat« schließt die Landeshauptstadt damit nahtlos an die »Strategie des Dialogs« an, die seit 2015 PEGIDA-Anhänger*innen »zurückholen« sollte. Der Kurator Michael Schindhelm wollte »zuerst den Menschen in Dresden zuhören, was sie bewegt, um daraus gemeinsam mit vielen anderen ein Bewerbungskonzept zu entwerfen«.

Was bleibt?
Dass PEGIDA nach fünf Jahren noch immer durch Dresden läuft, hätte 2014 niemand für möglich gehalten. Und auch wenn die Bedeutung deutlich schwindet, kann PEGIDA für sich in Anspruch nehmen, in vielerlei Hinsicht gewirkt zu haben: als Stichwortgeber und diskursiver Anheizer. Viele der 2014 formulierten Forderungen sind mittlerweile in Politik umgesetzt. Die AfD ist auf allen Ebenen parlamentarisch vertreten. In den Reihen von PEGIDA haben sich Neonazis radikalisiert, Kameradschaften gefunden. Nino K., selbst Redner bei PEGIDA, zündete 2016 an einer Dresdner Moschee eine Bombe, aus Worten folgten Taten. Im Fahrwasser von PEGIDA zog es Verlage und Zeitschriften, Burschenschaften und »Ein Prozent« nach Dresden. Aus PEGIDA heraus sind Gruppen wie »Dresden 5k« oder der Verein »Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen« aktiv geworden. Die bundesweite oder gar europäische Ausweitung ist jedoch gescheitert. Ein Volksbegehren gegen die GEZ wurde nie auf den Weg gebracht. Von der angekündigten Partei­gründung spricht heute niemand mehr, geschweige denn von Wahlantritten. Aber auch wenn PEGIDA selbst konzept- und ziellos wirkt, lässt der Zweck der religiösen Ersatzhandlung die Kreisläufe nicht so schnell verschwinden.