Editorial / Kommentar Ausgabe 180

von der Redaktion

Magazin »der rechte rand« Ausgabe 180 - September / Oktober 2019

Liebe Leser*innen,

der 1. September 2019 brachte bittere Gewissheit. Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg ist die »Alternative für Deutschland« (AfD) nunmehr mit 27,5 beziehungsweise 23,5 Prozent der Stimmen als zweitstärkste Kraft in den Parlamenten vertreten. Wer die Pressestimmen verfolgte, mochte seinen Ohren nicht trauen. Der MDR titulierte die AfD als »bürgerlich« und sprach sogar von deren »positiven« Aspekten. Und beim RBB brachte man es nicht zustande zu benennen, wes Geistes Kind zukünftig ein Viertel der Abgeordneten stellen wird.

Antifa Magazin der rechte rand
Urban, Kalbitz, Höcke im AfD-Wahlkampf in Ostdeutschland 2019 © Christian-Ditsch

Doch dieses journalistische Totalversagen steht symptomatisch für die weitverbreitete Unfähigkeit eines »Sich-ins-Verhältnis-setzen« zu einer Partei, die trotz ihres extrem rechten Charakters von Familie, Freund*innen und der Nachbarschaft gewählt wird. Als würde der hohe Wahlzuspruch in Ostdeutschland den vulgären Rassismus, die Verbindungslinien zu Neonazis und die offen völkischen und autoritären Visionen von Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Jörg Urban wettmachen. Das Gros ihrer Wähler*innenschaft macht gerade wegen der extrem rechten und zusehends nationalrevolutionären Etikette das Kreuz bei den Rechten. Wie in einem Kartenspiel hat die AfD ein Ass im Ärmel, das alles schlägt: einen sich selbstvergewissernden Rassismus.

»»» Urban (sächsischer Spitzenkandidat, darf laut Gericht #Neonazi genannt werden), Kalbitz (war mehrfach bei #Neonazi-Veranstaltungen, die in der Tradition der #Hitler-Jugend stehen), Höcke (Spitzenkandidat aus Thüringen, darf laut Gericht #Faschist genannt werden und schrieb Nazi-Deutschland verteidigend unter dem Namen „Landolf Ladig“ in einer NPD-Zeitschrift)


De facto hat sich die AfD seit ihrer Gründung von rechts außen nach neofaschistisch radikalisiert. Aber die kaum noch zählbaren NS-Skandale und gebetsmühlenartig wiederholten Umsturzphantasien gereichen den selbsternannten Vertreter*innen des Volkswillens nicht zum Nachteil. Einmal als scheinbar harmlos »rechtspopulistisch« oder »rechtskonservativ« tituliert, war das Kind in den Brunnen gefallen. Wer in Cottbus und Bautzen wohnt und sich dagegen stellt, braucht ein dickes Fell. Obwohl die Mehrheit anders wählte, vermag sie nicht, die AfD in die Schranken zu weisen. Das bessere Argument oder ein demokratisch-antifaschistischer Grundkonsens verfängt nicht mehr, wo Parolen wie »Volksverräter«, »Lügenpresse« oder »Von denen lass ich mir gar nichts mehr sagen« durch die Straßen hallen. Sie treffen auf das in Jahrzehnten gewachsene Unbehagen eines tatsächlichen oder erzählten »Abgehängt-Seins«, gepaart mit dem jahrzehntelangen Leugnen von Neonaziterror sowie Stimmungsmache gegen Geflüchtete durch die Unions-Parteien.

Zumal es in der sachsen-anhaltischen CDU seit Monaten rumort und sich die Stimmen für eine zukünftige Koalition mit der AfD mehren. Das geht auch an den Medien nicht spurlos vorbei. Unsicherheit, Unvermögen und Unwillen machen es der AfD zu leicht. Eine solch ohnehin falsch verstandene journalistische Neutralität ist längst zur Apathie geworden. Denn würde man die AfD den Tatsachen nach charakterisieren, fielen einige Medien-Kartenhäuser gänzlich zusammen. Dann müsste man sich eingestehen, dass im Deutschland des Jahres 2019 Neofaschist*innen in Talk-Shows und Wahlsendungen sitzen.

Eure Redaktion