Krise und geringe Wahlbeteiligung

von Lara Schultz
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 176 - Januar / Februar 2019

#Slowakei

Die Slowakei erlebte bei den Nationalratswahlen 2016 einen Rechtsruck, der auch bei den Europawahlen möglich erscheint. Die extrem rechten Parteien konnten zuletzt deutlichen Zulauf verbuchen.

Gemessen an der Anzahl der EinwohnerInnen ist die Slowakei das zehntkleinste Land der EU. Rund 4,4 Millionen Menschen sind wahlberechtigt. Jedoch nur 560.000 haben bei der Europawahl 2014 ihre Stimme abgegeben. Das entspricht einer Wahlbeteiligung von 13 Prozent und zugleich dem historisch niedrigsten Wert aller Länder bei allen Europawahlen. Um einen der 13 Sitze zu bekommen, genügte eine niedrige fünfstellige Stimmenzahl. So reichten József Nagy knapp 15.000 Stimmen, um für die liberal-konservative Partei »Most–Híd« (»Partei der Zusammenarbeit«, M-H) ins Europaparlament einzuziehen.

Für die niedrige Wahlbeteiligung – die um ein Vielfaches niedriger war als die Beteiligung an Parlaments- oder Regionalwahlen – gibt es keine einheitliche Erklärung. Ein Grund könnte darin liegen, dass für den Europawahlkampf den Parteien keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden, es folglich so gut wie keine Wahlkampagnen gab. Zahlreiche Parteien, darunter auch die stimmenstärkste Partei, die sozialdemokratische »Smer – sociálna demokracia« (»Richtung – Sozialdemokratie«, Smer-SD), hatten zudem kein Wahlprogramm. Ein solches ist in der Slowakei – auch bei nationalen oder regionalen Wahlen – nicht vorgeschrieben, so dass die WählerInnen mitunter gar nicht sicher sein können, für welche Politik sie ihr Kreuz machen.

Jung wählt extrem rechts
Bereits 2004, bei der ersten Europawahl in der Slowakei, war die Wahlbeteiligung mit 17 Prozent die niedrigste innerhalb der EU. Für die Wahlen 2009 initiierte die Slowakei daraufhin ein vom Europäischen Parlament finanziertes Projekt, das gerade junge Menschen und ErstwählerInnen zur Stimmabgabe ermutigen sollte. Das Projekt umfasste – wenig innovativ – eine Studie zur Erforschung von Gründen für die fehlende Wahlmotivation, ein Quiz für SchülerInnen und ein Europaparlament-Simulationsspiel für Studierende. Sogenannte U18-Wahlen oder Wahlsimulationen an Schulen zeigten, dass gerade junge Menschen fast überall verhältnismäßig stark dazu tendieren, extrem rechte Parteien zu wählen. Zur EU-Wahl 2014 wurde bei solchen Pseudowahlen die extrem rechte »Kotleba – ?udová strana Naše Slovensko« (»Kotleba – Volkspartei Unsere Slowakei«, ?SNS) des Neonazis Marián Kotleba zweitstärkste Partei und hätte demnach drei Sitze im Europaparlament bekommen. Real erlangte die Partei jedoch nur 1,8 Prozent und verpasste den Einzug ins Parlament ebenso deutlich wie die extrem rechten Parteien »Národ a Spravodlivos? – naša strana« (»Volk und Gerechtigkeit – unsere Partei«, NaS) und die »Christliche Slowakische Volkspartei« (seit 2016: »Slovenská národná strana«, »Slowakische National Partei«, SNS). Dies dürfte sich jedoch 2019 ändern. Nach aktuellen Prognosen, die jedoch auf Wahlumfragen zum Nationalrat beruhen und somit nur bedingt übertragbar sind, könnte die extreme Rechte drei von 14 Sitzen im Europaparlament bekommen – jeweils einen Sitz für die SNS, die L’SNS und die erst Ende 2015 gegründete Partei »Sme Rodina« (»Wir sind eine Familie«).

Rechtsruck 2016
Bereits bei der Nationalratswahl 2016, der siebten seit der slowakischen Unabhängigkeit 1993, war ein deutlicher Rechtsruck zu spüren. Zwar wurden die Sozialdemokraten der Smer-SD stärkste Partei und erlangten 49 von 150 Sitzen, 15 Sitze entfielen jedoch auf die »Slowakische Nationalpartei« (SNS), 14 auf die L’SNS und elf auf »Sme Rodina«. Die extreme Rechte, die nach der Wahl 2012 nicht im Parlament vertreten war, verfügt somit aktuell über 26 Prozent der Mandate im Nationalrat. Die SNS ist gar, gemeinsam mit Smer-SD und Most–Híd, in Regierungsbeteiligung. Bereits von 2006 bis 2010 regierte Smer-SD unter Führung des als »sozial-national« geltenden Robert Fico, gemeinsam mit Neonazis. In Ficos erster Amtszeit wurde das Gesetz zur Rehabilitierung des faschistoiden Priesters und Chefideologen der »Hlinkas Slowakischen Volkspartei«(HSL´S) aus den 1920er und 1930er Jahren, Andrej Hlinka, erlassen.

Auftragsmorde und Regierungskrise
Die jetzige Koalition überstand einige Regierungskrisen. Auch jene um die bis heute nicht endgültig aufgeklärten Morde an dem Investigativjournalisten Ján Kuciak und der Archäologin Martina Kušnírová. Kuciak arbeitete vor seinem gewaltsamen Tod zu Verbindungen slowakischer Politiker zur organisierten Kriminalität und war an der Auswertung der Panama Papers beteiligt. Die auf die Enthüllungen über Verbindungen der Regierung zur italienischen Mafia folgenden landesweiten Proteste führten zu einer politischen und gesellschaftlichen Krise und dem Rücktritt des Ministerpräsidenten Robert Fico, des Innenministers Robert Kalinák und des Landespolizeichefs Tibor Gaspar. Unter den im Oktober 2018 verhafteten Verdächtigen sollen zwei ehemalige Polizisten und ein Berufssoldat sein. Über die Verantwortlichen im Hintergrund besteht nach wie vor Unklarheit. Auftragsmorde sind wahrscheinlich. Der Regierung und Smer-SD haben die Enthüllungen jedoch nicht weiter geschadet.