»Neue Rechte« in Österreich

von Heribert Schiedel
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 157 - November / Dezember 2015

#NeoFaschisten

Die Stimmungsmache und die Wahlerfolge der »Freiheitlichen Partei Österreichs« zeigen, dass extrem rechte Einstellungen gesellschaftsfähig sind. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Konzepte wie die der »Neuen Rechten« erforderlich sind und auch erfolgreich sein können.

»Tatsächlich ist es nicht mehr als Mimikry, wenn extrem Rechte heute versuchen, ihren gerne als »Ethnopluralismus« verharmlosten Rassismus hinter positiver klingenden Formulierungen wie der Erhaltung »kultureller Identität« zu verstecken.«

Bei allen Kontinuitäten ist die extreme Rechte weit davon entfernt, ein statisches Phänomen zu sein. Vielmehr passt sie sich dauernd an die hegemonialen Bedingungen an – jedoch ohne dass dabei ihr ideologischer Kern, das antiliberal-völkische Primat, aufgeweicht werden würde. Auf die wachsende Ablehnung, das Scheitern bei Wahlen und – in manchen Ländern – die behördlichen Verbote neonazistischer Artikulationsformen reagierten extreme Rechte in Westeuropa ab den 1960er Jahren mit Distanzierungen gegenüber ihren Vorläufern. Diese zuerst in Frankreich einsetzenden Versuche von »Gegen-Intellektuellen« (Hauke Brunkhorst), faschistisches Gedankengut »von Hitler zu befreien« (Margret Feit), werden gemeinhin als »neurechts« bezeichnet. Gegen die unkritische und vorschnelle Übernahme dieser Selbstbezeichnung wandte schon der Klagenfurter Historiker Willibald Holzer ein, dass sich so »manche vorschnell als solche entdeckte programmatische Innovation moderner Gruppierungen (…) sehr rasch als oft nur geringfügig modifizierte Aktualisierung faschistischer oder vorfaschistischer Ausprägungen rechtsextremer Ideologie (erweist)«. Tatsächlich sieht die so genannte »Neue Rechte« sehr alt aus, wenn man ihre Positionen einer genaueren Analyse unterzieht. Gerade in Österreich handelt es sich bei dieser Selbstbezeichnung von extrem Rechten um einen Begriff, der mehr für neue Strategien und Formen als für neue Inhalte steht. Dies gilt auch für die Abgrenzung vom Neonazismus, die eben nicht umgehend als Ausdruck demokratischer Gesinnung zu gelten hätte, zumal sie doch zumeist strategisch und bloß durch Differenzen hinsichtlich der politischen Strategie (Marsch durch die Institutionen statt Systemüberwindung) und der Zielgruppe (intellektuelle Eliten statt der häufig bemühten ‹kleinen Leute›) motiviert ist. Wer demgegenüber etwa wie im Falle der 2012 auf der Bildfläche erscheinenden »Identitären« unkritisch von »Neuen Rechten« spricht, geht den Rechten auf den Leim.

Magazin der rechte rand
Aufmarsch der »Identiären« in Wien

Schon das erste Auftauchen des Labels »Neue Rechte« in Österreich verweist auf seine zentrale Funktion – die Verharmlosung. Es waren nämlich militante Neonazis, die sich Anfang der 1970er Jahre als »Aktion Neue Rechte« (ANR) an den Universitäten zusammenfanden und Terror verbreiteten. In den späten 1980er Jahren begann dann der von Burschenschaftern dominierte »Ring Freiheitlicher Studenten« (RFS), die gegenintellektuellen Wortführer der deutschen »Neuen Rechten« an die Wiener Universität einzuladen. Dass es sich dabei neuerlich um bloßen Etikettenschwindel handelte, wurde schon an der Tatsache deutlich, dass der Saalschutz bei diesen Vorträgen von Neonazis verstärkt wurde. Auch Gottfried Küssel, schon damals der ranghöchste österreichische Neonazi, holte sich 1988 beim Versuch, einen Vortrag von Pierre Krebs gegen antifaschistische Proteste abzuschirmen, blutige Schrammen.

Zu Beginn der 1990er Jahre wurde das österreichische Verbotsgesetz verschärft, dementsprechend waren Neonazis nun verstärkt dazu angehalten, ihre Propaganda zu modifizieren und vorsichtiger zu agieren. Diejenigen unter ihnen, die das Abitur oder gar ein Studium vorweisen konnten, versuchten dies auch in Form einer Intellektualisierung. Bei der Suche nach möglichst unverdächtigen Stichwortgebern stießen sie, mehrheitlich deutsch-völkische Korporierte, schnell auf die konservativ-revolutionären Konkurrenzfaschisten und deren »neu-rechte« Adepten. Daneben wirkte der Knick im Aufstieg der »Freiheitlichen Partei Österreichs« (FPÖ) und Jörg Haiders, der sich dazu verstiegen hatte, öffentlich die »ordentliche Beschäftigungspolitik« der Nazis zu loben, begünstigend für die partielle Übernahme »neu-rechter« Politikkonzepte. Es war vor allem der damalige FPÖ-Chefideologe Andreas Mölzer, der nach Haiders erzwungenem Rücktritt als Landeshauptmann 1991 und den ersten FPÖ-Niederlagen sich und seinen KameradInnen ein Umschwenken auf die »Metapolitik« und den der politischen Machtübernahme vorausgehenden Kampf um die kulturelle Hegemonie verschrieb. Das Burschenschafter-Zentralorgan »Die Aula« begann sich nun mit »neu-rechten« Autoren wie Alain de Benoist zu füllen. Und im »Aula-Verlag« erschien Anfang der 1990er Jahre die wohl einzige rechtsextreme Zeitschrift, die das Attribut »neurechts« verdiente: »Identität«. Es war maßgeblich Jürgen Hatzenbichler, der damals über diese Zeitschrift »neu-rechte« Theorien aus Frankreich importierte und für das völkisch-korporierte FPÖ-Vorfeld publizistisch aufbereitete. Der pennale Burschenschafter musste sich aber schon Mitte der 1990er Jahre sein Scheitern eingestehen: Nach jahrelanger vergeblicher Missionierungstätigkeit beklagte er resignierend, dass die »Positionen der Alten Rechten (…) leider auch im Bereich der Korporationen vielfach noch heruntergeleiert werden.« Tatsächlich war der alte oder herkömmliche (parteiförmige) Rechtsextremismus längerfristig in Österreich zu erfolgreich, als dass er dem metapolitischen Kampf um die kulturelle Hegemonie bedürfte. Es fehlt hierzulande also ein zentrales Gründungsmoment der »Neuen Rechten« – die ideologische Vorherrschaft der Linken und Liberalen. Dementsprechend verloren »neu-rechte« Konzeptionen im korporierten Umfeld der FPÖ rasch wieder an Attraktivität.

Richterlich legitimierter Rassismus

von Judith Goetz und Mahriah Zimmermann im Magazin »der rechte rand« Ausgabe 174 – September / Oktober 2018

#Identitäre

Dass dennoch es auch in Österreich mit der Gründung der »Identitären« zu einem neuerlichen Aufflackern »neu-rechter« Politikkonzeptionen gekommen ist, scheint mehr der zunehmenden europäischen Vernetzung extremer Rechter als den konkreten hegemonialen Verhältnissen im Land geschuldet zu sein. Daneben sind dafür der erhöhte Repressionsdruck auf die neonazistische Szene seit Ende 2010 (Zerschlagung der »Alpen-Donau«-Gruppe rund um Gottfried Küssel) und massive Rekrutierungsschwierigkeiten vieler deutsch-völkischer Studentenverbindungen verantwortlich zu machen. Schließlich decken die auf außerparlamentarischen Aktionismus und popkulturelle Inszenierungen spezialisierten »Identitären« im Gegensatz zum biederen »Ring Freiheitlicher Jugend« (RFJ) eine gestiegene Nachfrage von Seiten erlebnisorientierter Jugendlicher ab. Was so mancher »Alter Herr« als Anpassung an den linken Zeitgeist und die amerikanisierte Massenkultur verdammen mag, ist in Wahrheit eine notwendige Voraussetzung für die Hegemoniefähigkeit unter Jugendlichen.

Im Frühjahr 2012 etablierte der »Olympia«-Burschenschafter Alexander Markovics mit ein paar »Waffenbrüdern« eine »Wiener Identitäre Richtung« als intellektuellen Zirkel oder Debattierklub, der einen Brückenschlag zum Rechtskonservativismus versuchte. Der nach deutschem Vorbild gestartete Versuch, Teile des politischen Konservativismus zu radikalisieren, kann aber schon als gescheitert gesehen werden: Zu offensichtlich ist die Herkunft eines Großteils der »Identitären« aus dem Neonazi-Milieu, auf welche sogar der heimische Verfassungsschutz in seinem jüngsten Bericht hinweist. Das zielt vor allem auf jene Gruppe, die sich um Martin Sellner im Sommer 2012 bildete, und nach dem Vorbild osteuropäischer Neonazis mit ihren »Hardbass«-Aktionen Veranstaltungen politischer GegnerInnen störte. Im Februar 2013 vereinten sich diese beiden Gruppen zur »Identitären Bewegung Österreichs« (IBÖ) und besetzten gemeinsam die Votivkirche in Wien, um die damals gerade dort stattfindenden Proteste von Flüchtlingen ins Lächerliche zu ziehen.

Magazin der rechte rand
Schwerpunkt Ausgabe #IB

Im bereits erwähnten VS-Bericht 2014 werden auch die Warnungen der »Identitären« vor einer angeblichen »Islamisierung« als »Deckmantel« bezeichnet, unter welchem »auf einer pseudo-intellektuellen Grundlage« versucht werde, »das eigene rassistisch/nationalistisch geprägte Weltbild zu verschleiern. (…) Was sich vordergründig als ‹Kritik› und jüngst als ‹islamkritisch› auf der Ebene der Mobilisierung darstellt, trägt in der tatsächlichen Umsetzung oft islam-, asyl- und fremdenfeindliche Züge.«

Tatsächlich ist es nicht mehr als Mimikry, wenn extrem Rechte heute versuchen, ihren gerne als »Ethnopluralismus« verharmlosten Rassismus hinter positiver klingenden Formulierungen wie der Erhaltung »kultureller Identität« zu verstecken. Jedoch schimmert schon beim französischen »Identitären«-Gründervater Fabrice Robert, im Interview mit der »Jungen Freiheit« (10/2013), hierbei der alte Rassismus durch: »›100 % Identität, 0 % Rassismus›. Aber mit dem territorialen Imperativ, dass ein Boden einem einzelnen Volk gehört.«

Karin Priester wies bereits 2010 darauf hin, dass »Teile des Rechtsextremismus« nach »dem ethnopluralistischen Modernisierungsschub der 1980er Jahre versuchen (…), über die Umpolung des Feindbildes, eine neue, diesmal antiislamische ‹Modernisierungswelle› einzuleiten.« Der antimuslimische Rassismus, der sich als Ausfluss kultur-christlichen Superioritätsdenkens jedoch nicht länger »ethnopluralistisch« verbrämen lässt, dient auch den »Identitären« vor allem als Vehikel in den Mainstream-Diskurs: Rassistische Inhalte finden leichter und mehr Gehör, wenn sie im kultur-christlichen oder vermeintlich aufgeklärten Gewand daherkommen. Die sich zuletzt in der Sarrazin-Debatte artikulierende Normalität bis Hegemonie des Feindbildes Moslems oder Islam macht dieses zum idealen Instrument, um aus der Extremismus-Ecke zu kommen.

Eine Kontinuität zwischen alter und neuer Rechter stellt der kulturelle Antiamerikanismus dar, eine aktuelle Ausformung des völkischen und über weite Strecken antisemitischen Antiliberalismus. Die Behauptung einer systematischen »Überfremdung« oder »Umvolkung« zum Zwecke der leichteren Beherrschbarkeit der in lauter Individuen zerfallenden Gemeinschaft ist fixer Bestandteil antisemitischer Diskurse. Weil die nationale (kulturelle) Identität den (geheimen) »Welteinheitsplänen« im Weg stehe, werde versucht, das »ethnische Antlitz Europas unwiderruflich« zu verändern. Der Antiamerikanismus schreibt als Zwillingsbruder des Antisemitismus diesen fort. Entsprechend der antisemitischen Figur des jenseits der nationalen Antagonismen stehenden Dritten und alle Identität auflösenden Nicht-Identischen, wird Jüdinnen und Juden und den von diesen angeblich dominierten USA unterstellt, alle Völker beherrschen zu wollen.

Antisemitismus in Europa

Das Interview mit Dr. Gideon Botsch führte Felix M. Steiner. Magazin »der rechte rand« Ausgabe 176 – Januar / Februar 2019

Auch wenn sich weite Teile der extremen Rechten Westeuropas heute als frei von Antisemitismus darstellen und diesen stattdessen nur mehr bei den Moslems sehen wollen, sind sie seinem grundlegenden dichotomischen Muster und seiner verschwörungsmythischen Weltsicht weitgehend treu geblieben. Der antimuslimische Rassismus knüpft gerade in Österreich an antisemitische Traditionen an. Dies zeigte sich schon in der Kampagne gegen das Schächten, mit welcher vielerorts antijüdische Blutphantasien fortgeschrieben wurden. Und als die FPÖ 2009 in einem Inserat gegen den angeblich unmittelbar drohenden EU-Beitritt der Türkei und Israels agitierte, bewies sie eindrucksvoll, dass das »christliche Abendland« immer noch vor »Juden« und »Moslems« gleichermaßen beschützt werden muss. Auch die im Verhältnis zur FPÖ arbeitsteilig agierenden »Identitären« reihen sich ein in die Traditionslinien des völkischen (antiliberalen) Antisemitismus – neu daran ist höchstens die Aufmachung.