»Gewerkschaftsmacht stärken«

Ein Bericht von Hermann Nehls
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 176 - Januar / Februar 2019

#Widerstand

Das »Europäische Gewerkschaftsinstitut« (ETUI) organisierte im Oktober 2018 mit GewerkschafterInnen aus zehn EU-Staaten einen internationalen Erfahrungsaustausch zu den Ideologien und Aktionen der extremen Rechten in Europa.

«Debunk the far-right. Reinforce trade union power«

Die extreme Rechte, die sich jahrelang auf dem Rückzug zu befinden schien, feierte in jüngster Vergangenheit in Europa einen Erfolg nach dem anderen. Die Gewerkschaften in Europa reagieren auf das Erstarken der extremen Rechten mit unterschiedlichen Strategien. Was bisher jedoch fehlte, war ein Austausch über ihre Erfahrungen mit einer extremen Rechten, die nicht mehr nur auf die Stimmen vieler abhängig Beschäftigter zählen kann, sondern die auch versucht, Einfluss auf betrieblicher Ebene zu gewinnen. Das Seminar unter dem Titel «Debunk the far-right. Reinforce trade union power« (»Die extreme Rechte entlarven. Gewerkschaftsmacht stärken«), das im französischen Courcelles stattfand und von VertreterInnen des französischen Gewerkschaftsbundes »Confédération Générale du Travail« (CGT), des belgischen Gewerkschaftsverbandes »Fédération Générale du Travail de Belgique« (FGTB) und des »Österreichischen Gewerkschaftsbundes« (ÖGB) vorbereitet worden war, bot hierfür die Möglichkeit. Über die genannten VertreterInnen hinaus, nahmen ArbeitnehmervertreterInnen aus Italien, England, Schweden, Polen, Ungarn, Slowenien und Deutschland teil. Der Generalsekretär des »Europäischen Gewerkschaftsbund« (EGB), Luca Visentini, warnte zu Beginn der Veranstaltung in einer Video-Botschaft vor einer extremen Rechten, die im Jahr 2019 versuchen werde, die demokratischen Institutionen in der EU zu schwächen.

Magazin der rechte rand Ausgabe 171
© Mark Mühlhaus / attenzione


Im Zentrum des Seminars stand die Frage, mit welchen Strategien und Aktivitäten dem Gedankengut und den Aktionen der extremen Rechten entgegengewirkt werden kann. Dafür analysierten die Teilnehmenden die Ideologie und die Praxis der Rechten, die als konträr zu gewerkschaftlichen Werten beurteilt wurden. Professor Dr. Joachim Becker (Humbold-Universität Berlin) stellte die Ergebnisse seiner Studie »Neo-Nationalismus in der EU: sozio-ökonomische Programmatik und Praxis« vor. Die im Auftrag der Österreichischen »Arbeiterkammer« vorgenommene Untersuchung widmet sich unter anderem der extremen Rechten und ihrem Verhältnis zu Gewerkschaften in Ländern wie Ungarn, Belgien und Italien. Gewerkschaftliche Gegenstrategien, so Beckers These, müssten zwar anhand der Besonderheiten der extremen Rechten in den jeweiligen EU-Ländern entwickelt werden. Festzuhalten sei jedoch, dass die sozio-ökonomische Programmatik und Praxis der neo-nationalistischen Parteien tendenziell ungünstig für abhängig Beschäftigte sei. Dies gelte besonders für Parteien mit einer ausgeprägten neoliberalen Orientierung. Viele Programmpunkte der neo-nationalistischen Parteien zielten zudem auf die Schwächung der institutionellen Macht von ArbeitnehmerInnenorganisationen ab.

Ursachen und Gegenstrategien
Die Teilnehmenden arbeiteten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der extremen Rechten in ihren Ländern und sich daraus ergebende und notwendige Gegenstrategien für Gewerkschaften heraus. Einigkeit bestand darin, dass die gewerkschaftlichen Werte von Solidarität und Vertretung von Klasseninteressen dem Prinzip der exklusiven, nationalen Solidarität und der Suche nach Sündenböcken für soziale Missstände, wie sie die extreme Rechte praktiziert, diametral widersprächen. Gerade mit Blick auf die Politik der Ethnisierung sozialer Konflikte (racialized economics) der extremen Rechten stünden die Gewerkschaften vor der Herausforderung, adäquate Angebote zu entwickeln, um nachhaltige politische Lösungen für die sozialen Probleme aller Menschen zu entwickeln. Nachfolgend diskutierte Richard Detje, Mitautor des Buches »Rechtspopulismus und Gewerkschaften« (VSA-Verlag), mit den Teilnehmenden die Gründe für die Zuwendung abhängig Beschäftigter zur extremen Rechten. Als wesentliche Ursachen nannte Detje den Verlust der Kontrolle über die eigenen Arbeits– und Lebensbedingungen sowie den Verlust von Anerkennung und Perspektiven, in einer sich ständig verändernden Welt. Es gelte, die Kritik an Kapitalismus und Globalisierung nicht der extremen Rechten zu überlassen. Dazu gehöre auch eine Wiederbelebung des internationalen Bewusstseins und des Miteinander.

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© Mark Mühlhaus / attenzione


Die Teilnehmenden entwickelten schließlich grenzüberschreitende Aktionsvorschläge, die in den nächsten Monaten konkretisiert und umgesetzt werden sollen. Dazu gehören unter anderem Trainingskurse für Beschäftigte der Gewerkschaften, das Erstellen von Informationen über rechte Parteien und eine genauere Analyse der Versuche der extremen Rechten, stärkeren Einfluss in den Betrieben zu gewinnen. Die Initiative »More democracy at work« des EGB bietet dafür einen guten Rahmen. In Courcelles haben die SemiarteilnehmerInnen den Anfang gemacht. Ein Folgeseminar, bei dem die Aktivitäten ausgewertet werden sollen, findet im April 2019 statt.

Der Autor arbeitet beim DGB-Bundesvorstand im Bereich Migration und Antirassismuspolitik.

 

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