Über Grenzen hinweg

von Martina Renner und Benjamin Paul-Siewert
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 176 - Januar / Februar 2019

#Terror

Deutsche Neonazis sind Teil von militanten Netzwerken in ganz Europa, doch das Bundesinnenministerium spielt die rechte Terrorgefahr herunter.

Magazin der rechte rand
»Blood&Honour« (B&H)
© Mark Mühlhaus / attenzione

Es ist der 12. Dezember 2018. In fünf Bundesländern gibt es Razzien gegen Neonazis, die versucht haben sollen, das in Deutschland zur Jahrtausendwende verbotene »Blood&Honour«-Netzwerk (B&H) wieder aufzubauen. Der Vorwurf: Einfuhr, Produktion und Vertrieb von Propaganda und RechtsRock. Es ist eines von mindestens 39 Ermittlungsverfahren wegen mutmaßlicher Organisationsweiterführung, die bisher alle im Sande verliefen. Von einer möglichen Rechtsterrorgefahr kein Wort, obwohl B&H mit den Schriften »The Way Forward« und »Field Manual« seit den Neunzigerjahren den bewaffneten Kampf propagiert. Da ist es nur folgerichtig, dass das HelferInnen-Netzwerk der NSU-RechtsterroristInnen, die aus dem Untergrund heraus zehn Menschen ermordeten, maßgeblich auf B&H-Strukturen basierte. Das Kerntrio wurde vom Landeskriminalamt Thüringen selbst »zum harten Kern der Blood and Honour Bewegung« gerechnet.

Nur eine »Bruderschaft«?
Seit 2012 arbeiten B&H und die paramilitärische Schwesterorganisation »Combat 18« (C18) unter dem Slogan »Reunion 28« an einer Wiedervereinigung. Außerhalb von Deutschland, wo B&H nicht verboten ist, treten die Netzwerke stets gemeinsam in Erscheinung. Das Recherchenetzwerk »Exif« hat minutiös die personellen Verbindungen der Divisionen in Europa und weltweit offengelegt. Der europäische C18-Anführer William Browning aus Großbritannien wohnt demnach in den Niederlanden und stehe in engem Austausch mit Thorsten Heise, der als Kontaktmann in Deutschland gilt. Browning soll zahlreiche Morddrohungen und Anstiftungen zu Bombenanschlägen verantworten und im Rotlichtmilieu aktiv sein. Seine rechte Hand in Dortmund sei Robin Schmiemann, der als Organisator zu den Divisionen in den Niederlanden, England, Polen und Skandinavien reise. Schmiemann überfiel 2007 zur Begleichung von Schulden aus einem Drogendeal einen Supermarkt und schoss dabei einen tunesischstämmigen Kunden an.

»»»Gewalt, RechtsRock und Kommerz

#Justizwunder Thortsen Heise
von Kai Budler im Magazin »der rechte rand«



In Thüringen unterhalten »Turonen/Garde 20«, die große Überschneidungen zu beiden Netzwerken aufweisen und Waffenhandel betreiben sollen, zudem beste Verbindungen in den Alpenraum. Im März 2016 wurde ein zunächst im Freistaat angekündigtes Konzert nach Feldkirch (Voralberg) verlegt. Über der Bühne prangte das Banner von »Blood&Honour/Combat 18 Österreich«. Zuvor traf man sich im gleichen Ort auf einem Schießstand. Regelmäßig führen die Organisationen Schießübungen mit deutscher und europaweiter Beteiligung durch, so auch 2014 in den Niederlanden und 2017 in Cheb (Tschechien). Beide habe Stanley R. organisiert. Da er nach dem letzten ‹Training› illegal Munition nach Deutschland einführte, wurde er wegen Verstoß gegen das Waffengesetz verurteilt.
In Griechenland kam es im März 2018 zu sieben Festnahmen und zwölf Hausdurchsuchungen bei »Combat 18 Hellas«, wobei die Polizei Waffen und Sprengstoff fand. Den Mitgliedern werden mehr als dreißig Angriffe und Brandanschläge vorgeworfen.
Obwohl das Bundesamt für Verfassungsschutz nach eigener Aussage um das alles weiß, sieht es lediglich eine »Bruderschaft«: Es gebe »keine Erkenntnisse zur Umwandlung von ‹C18 Deutschland› zu einer ‹militanten› oder gar bewaffneten Gruppierung«.

»Hammerskin«-Rocker
Andere Organisation, ähnliche Antwort. Zwar attestiert das Bundesinnenministerium den »Hammerskins« (HS) nicht nur »intensive Kontakte zu Gleichgesinnten im Ausland« und eine zentrale Bedeutung »in der gewaltorientierten rechtsextremistischen Szene«. Dennoch gebe es »keine belastbaren Hinweise darauf, dass die HS als Gruppe auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet sind«. Daher stößt den Sicherheitsbehörden wohl nicht auf, dass mit Stand vom September 2018 mehrere Mitglieder über eine Waffenerlaubnis verfügen.
Deutsche »Hammerskins« reisten in der Vergangenheit oft nach Portugal. Laut einem Bericht des dortigen Geheimdienstes aus dem Jahr 2006 soll der »Hammerskin« Thomas Gerlach, der auch zum NSU-Umfeld gehörte, die Kommunikation zwischen inhaftierten portugiesischen HS-Mitgliedern und den Schmuggel von Waffenteilen organisiert haben.
Das Chapter in Portugal ist tief in die organisierte Kriminalität und Rocker-Rivalitäten zwischen »Hells Angels« und »Bandidos« verstrickt und gilt als vorherrschende Neonazi-Organisation im Land. Am 8. November 2016 wurden bei Durchsuchungen Schusswaffen, Munition, Macheten und Propagandamaterial beschlagnahmt und 21 mutmaßliche »Hammerskin«-Mitglieder verhaftet. Zwischen 2013 und 2015 sollen sie 20 brutale Angriffe begangen haben, darunter zwei Mordversuche. Ein Opfer erlitt irreparable Hirnschäden. Schon 2007 nahm die Kriminalpolizei 35 Neofaschisten und den damaligen Anführer Mário Machado fest, 31 von ihnen wurden verurteilt. Machado wurde in seiner ‹Laufbahn› schon wegen illegalem Waffenbesitz, Drogenhandel, Mord, Entführung, Raub und Folter verurteilt. 1995 zog er mit 50 Neofaschisten durch Lissabon und ermordete einen Einwanderer aus Kap Verde. Im Gefängnis verlor Machado die Kontrolle über das HS-Chapter und kündigte noch hinter Gittern seinen Austritt an. Dazu sendete er Morddrohungen an seinen Nachfolger und Konkurrenten Bruno Monteiro, was ihm eine weitere Haftstrafe einbrachte. Kurz nachdem Machado im März 2018 auf Bewährung frei kam, war er wohl zu Besuch in Deutschland. Im gleichen Monat wurde eines seiner »Bandidos«-Treffen aus Rache von »Hells Angels« überfallen und ein deutscher »Bandidos«-Anführer angeschossen – Machados Verbindung in die Bundesrepublik hält.

»Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch«

»Der III. Weg« auf Europareise
Die offen neonazistische Kleinstpartei »Der III. Weg« (DDW) betreibt einen regen Austausch mit militanten FaschistInnen in ganz Europa. 2017 veröffentlichte DDW auf seiner Website ein Interview mit dem Portugiesen Machado. Gegenseitige Besuche gibt es unter anderem bei Neonazis in Ungarn und Bulgarien.
In der Ukraine halten die Mitglieder Kontakt zu »Asow«-Einheiten. Die Neonazi-Miliz mit mutmaßlich mehreren tausend Paramilitärs ist mittlerweile ein Regiment der ukrainischen Nationalgarde und rekrutiert weltweit Kämpfer für den Kampf in der Ostukraine. Im letzten Jahr überfielen »Asow«-Bürgerwehren zudem mehrfach die russische Minderheit und Roma-Siedlungen. Im Juni 2018 wurde dabei ein 24-jähriger Bewohner ermordet.
DDW nimmt außerdem immer wieder an Aufmärschen der »Chrysi Avgi« (»Goldene Morgenröte«, CA) in Griechenland teil. Gegen die Partei läuft in Athen seit 2013 ein Prozess wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie illegalen Waffenbesitzes, Mordes an einem linken Rapper und zahllosen Angriffen. 69 Beschuldigte zählte die Anklage zu Beginn.
Auch bei der skandinavischen »Nordiska Motstandsrörelsen« (»Nordische Widerstandsbewegung«, NMR) sind DDW-Aktivisten gern zu Gast und umgekehrt. Im September 2016 hatte ein Neonazi des finnischen Ablegers auf offener Straße einen 28-Jährigen tödlich verletzt, weil dieser gegen eine Flugblattverteilung protestierte. Zwei Monate darauf und im Januar 2017 explodierten in Göteborg insgesamt drei Bomben. Die Spur führte zu drei NMR-Mitgliedern. Im Mai 2018 fand die Polizei bei einem weiteren schwedischen Aktivisten gesammelte Informationen über JournalistInnen und eine Aktentasche mit versteckter Schießvorrichtung. In allen Fällen wurden die Angeklagten zu Haftstrafen verurteilt. Im Gegensatz zu Schweden ist die NMR in Finnland seit September 2018 rechtskräftig verboten.
In Großbritannien wurden im Dezember letzten Jahres sechs Mitglieder der »National Action« (NA) zu Haftstrafen verurteilt. Sie planten rassistische Anschläge. Bereits 2015 hatte ein Neonazi aus der Gruppierung, Zack Davies, versucht, einen Anhänger des Sikh-Glaubens zu enthaupten. Am 1. Mai 2016 reisten NA-Mitglieder zum DDW-Aufmarsch nach Plauen und am 25. desselben Monats entrollten zwei Personen in der Gedenkstätte Buchenwald eine NA-Fahne und zeigten den Hitlergruß.
Über die Rolle von DDW gibt sich die Bundesregierung zugeknöpft. Ein Bericht zum Gefährdungspotential ist für die Öffentlichkeit gesperrt: »Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch«.

Fanatische »Atomwaffendivision«
Die britische NA war Mitglied des Internetforums »Ironmarch.org«, das bis ins Jahr 2017 existierte. Der wegen Mordversuch verurteilte Davies hatte hier den Benutzernamen »Rockerz88«. Ebenso Teil des Online-Netzwerks war die neonazistische und gewaltverherrlichende »Atomwaffendivision« (AWD) aus den USA. Drei ihrer Mitglieder begingen zwischen Mai 2017 und Januar 2018 mindestens fünf Morde und planten einen Bombenanschlag auf eine Kernkraftanlage.

»»»Atomarer »Race War«?

Atomwaffen Division« von Lea Jehlen


Im Juni vergangenen Jahres wurde dann die Gründung eines Ablegers in der Bundesrepublik bekannt gegeben. Ein Video mit dem Titel »AWD Deutschland. Die Messer werden schon gewetzt!« beginnt mit den Worten »Der Nationalsozialismus lebt« und ruft auf: »Deutsche Freiheitskämpfer, folgt der Atomwaffendivision.« Außerdem lädt eine vermummte Person eine Pistole durch und eine weitere posiert mit einer AWD-Fahne vor der Wewelsburg in Büren (Nordrhein-Westfalen).
Für die deutschen Sicherheitsbehörden scheinbar kein Grund zur Alarmbereitschaft: »Nach vorliegenden Erkenntnissen ergeben sich keine Anhaltspunkte, die darauf hindeuten«, dass es sich beim deutschen Ableger »um eine terroristische Vereinigung handelt«.

Morde in Frankreich
Die »Identitäre Bewegung« (IB) präsentiert sich in Deutschland und Österreich selbst gern als rechte NGO. Doch in der Realität kommt es auch zu Kampfsportübungen sowie Drohungen und Angriffen auf politische WidersacherInnen. Im Juni 2018 waren Vertreter der ukrainischen »Asow«-Miliz im Haus der IB in Halle/Saale zu Gast. In Frankreich – Ursprungsland der IB sowie alljährlicher Austragungsort von Propaganda- und Wehrsportcamps mit deutscher Beteiligung – wurde 2011 ein 42-jähriger Punk tot in einem Fluss gefunden. Drei IB-Mitglieder stehen seither unter Verdacht, das Opfer getötet und die Tat vertuscht zu haben.
Auch hier fallen die Antworten der Bundesregierung obskur aus: die »Identitäre Bewegung« in Deutschland »distanziert sich (…) von Gewalt und es steht aktuell nicht zu erwarten, dass sie von diesem Grundsatz abweicht«. Wer von Verfassungsschutz und Innenministerium einen klaren Blick erwartet, darf weiter enttäuscht sein.