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von Jan Rettig

Magazin »der rechte rand« Ausgabe 174 - September / Oktober 2018

#EUParlament

Seit der letzten Europawahl 2014 sitzen nach 20 Jahren erstmals wieder mehrere deutsche rechte Parteien im Europäischen Parlament, eine davon ist die »Alternative für Deutschland«. Synchron zu den Wahlerfolgen rechter Parteien in Europa sind sie auch auf transnationaler Ebene aktiv: Schon lange vernetzen sie sich auf europäischer Ebene, gründen Euro-Parteien und bilden Fraktionen im Europäischen Parlament, um von Infrastruktur, Finanzen und politischem Einfluss zu profitieren.

 

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2017: Geert Wilders, Frauke Petry, Harald Vilimsky, Marine Le Pen und Matteo Salvini © Roland Geisheimer / attenzione

 

Ganz rechtsaußen finden sich derzeit neo-faschistische und -nazistische Parteien wie die italienische »Forza Nuova« (FN), die »Nationaldemokratische Partei Deutschlands« (NPD), die spanische »Democracia Nacional«, die tschechische »Delnická strana sociální spravedlnosti« (DSSS), die rumänische »Noua Dreapta« (ND) und andere in der »Alliance for Peace and Freedom« (APF) zusammen. Deren Gründung Ende 2014 ging vor allem von den europäisch hervorragend vernetzten Überzeugungstätern und langjährigen Weggefährten Nick Griffin, ehemals »British National Party«, und Roberto Fiore von der »Forza Nuova« aus.

Für die NPD übernahmen der EP-Abgeordnete (MEP) Udo Voigt, Jens Pühse und später Ingo Stawitz wichtige Funktionen. Zu Beginn waren auch die griechische »Chrysi Avgi« sowie die dänische »Danskernes« und die schwedische »Svenskarnas Parti« beteiligt. In ihren Prinzipien formuliert die als Euro-Partei anerkannte und seit 2016 aus dem EU-Haushalt unterstützte APF einen traditions- und identitätsbasierten Patriotismus, der seine Grundlage in einer naturalisiert-organischen Verschmelzung von Volk, Nation und Staat hat. Das Gemeinsame in ihrem Europa souveräner, konföderierter Nationalstaaten seien christliche Werte und ein kulturelles Erbe, welche es gegen eine Vielzahl von Bedrohungen zu verteidigen gelte; prominent darunter die volks- und kulturzerstörende Massenimmigration. Ideologisch und in Teilen personell schloss die APF damit nahtlos an die »European National Front« an, ein Vernetzungsprojekt der 2000er Jahre.

Im Frühjahr 2018 schließlich fand Jean-Marie Le Pen seinen Weg zur APF. Dessen schillernde europapolitische Karriere begann bereits 1984 mit seiner Wahl ins Europäische Parlament (EP). Von 1984 bis 1994 war er Fraktionsvorsitzender der »Europäischen Rechten«, in der bis 1989 auch der in direkter Tradition zum historischen italienischen Faschismus stehende »Movimento Sociale Italiano« (MSI) vertreten war. Von 1989 bis 1994 bildeten dann der französische »Front National« (FN), der belgische »Vlaams Blok« (VB) und die deutschen »Republikaner« (REP) die Fraktion. Obwohl Le Pen und der damalige REP-Vorsitzende Franz Schönhuber sich gut verstanden haben sollen, verließen letzterer sowie weitere deutsche MEPs die Fraktion ziemlich schnell.

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Harald Neubauer bei einer Veranstaltung der DVU und NPD in Hamburg

Nicht so Harald Neubauer, bekannt und assoziiert im gesamten Spektrum der deutschen extremen Rechten. Er blieb seinen europäischen Kameraden noch über die gemeinsame Fraktionszeit hinaus treu und war einer der Teilnehmer eines Treffens in Paris 1997, zu welchem Le Pen transkontinental ausholte und nicht nur die bekannten süd- und westeuropäischen Freunde, sondern auch viele einschlägige Parteien aus Osteuropa einlud. Ziel war ein Netzwerk, um den Gedanken eines Europas freier Nationen voranzutreiben; Arbeitstitel: EuroNat. Im Folgenden war das ein vor allem auf Le Pen zugeschnittener Rahmen für Wahlkampfbesuche bei diversen Partnerparteien und umgekehrt – bis 2005 zwar eine offizielle Gründung erfolgte, dann aber bereits andere Vernetzungen Vorrang hatten. Auch hier wurde das gemeinsame europäische Erbe beziehungsweise die westliche Zivilisation beschworen und Immigration, explizit aus der sogenannten »Dritten Welt«, abgelehnt.

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Andreas Mölzer 2001 bei der Deutschen Burschenschaft in Eisenach als Gastredner © Mark Mühlhaus / attenzione

Die 2000er Jahre
Anfang der 2000er Jahre nahmen auch die transnationalen Ambitionen der »Freiheitlichen Partei Österreichs«an Fahrt auf, insbesondere durch ihren damaligen Vorsitzenden Jörg Haider und seinen Vertrauten Andreas Mölzer, der seit 2004 MEP ist. Die Anstrengungen mündeten in die programmatische »Wiener Erklärung« von 2005 und die Fraktion »Identität – Tradition – Souveränität« (ITS), die sich Anfang 2007 im EP konstituierte und neben FPÖ, FN, VB, MSI – Fiamma Tricolore und Alessandra Mussolini auch die bulgarische »Ataka« sowie die rumänische »Partidul România Mare« vereinte. Das gemeinsame Ziel eines europäischen Staatenbundes souveräner Nationen und die geteilte Vorstellung einer besonderen Bedrohung europäischer Werte durch Globalisierung und, auch hier, vermeintliche Massenimmigration reichten aber offenbar nicht, die zahlreichen Widersprüche auszuhalten. Bereits nach elf Monaten zerbrach die ITS. Aus dieser Traditionslinie sollte sich später das heute bedeutsamste Projekt der europäischen extremen Rechten entwickeln. Unter maßgeblicher Führung von Marine Le Pen (FN, heute: »Rassemblement National«) haben die häufig zu rechtspopulistischen Parteien verklärten FPÖ, VB und »Lega Nord« (heute: »Lega«) 2014 die europäische Partei »Movement for a Europe of Nations and Freedom« (MENF) und 2015 zusammen mit der niederländischen »Partij voor de Vrijheid« (PVV) sowie mit weiteren MEPs die Fraktion »Europe of Nations and Freedom« (ENF) konstituiert, die ohne große Querelen bis heute Bestand hat.

Ihre politische Plattform postuliert eine ethnopluralistisch begründete Verschiedenheit der Völker und der ihnen entsprechenden einzigartigen ökonomischen, sozialen, kulturellen und territorialen Traditionen. Daraus wird kurzerhand das Recht auf Kontrolle und Regulation von Immigration abgeleitet und zum geteilten fundamentalen Prinzip erklärt. Dass es im Kern um eine rigorose Ablehnung geht, braucht darin nicht genannt zu werden, das liefern die je nationalen Parteiprogramme einmütig. Darin sind sich die Beteiligten seit Jahrzehnten weitgehend einig. Die Missbilligung jeder weiteren Vertiefung der europäischen Integration hingegen musste sich erst herausbilden. FN, FPÖ, »Lega Nord« und VB hatten in ihren Anfängen aus unterschiedlichen Perspektiven heraus nicht wenige pro-europäische Positionen. Heute allerdings gilt ihnen allen ein Europa souveräner Nationen und Völker als Ideal.

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Marcus Pretzell 2015 noch AfD Mitglied auf einer Kundgebung in Berlin © Christian Ditsch

Auch bei der MENF/ENF mischt ein deutscher Vertreter mit. 2016 verließen Marcus Pretzell und Beatrix von Storch, beide für die »Alternative für Deutschland« (AfD), die Fraktion der »European Conservatives and Reformists« und hatten große Pläne mit ihrer neuen Freiheit nach Rechts. Die noch kurz zuvor heftig umstrittene Kooperation mit dem FN wurde durch Pretzells Eintritt in dessen Fraktion und Euro-Partei Wirklichkeit und von Storch trat einer anderen, gleichwohl ebenfalls rechten Fraktion bei. Den behaupteten Anspruch, dadurch die europäische Rechte zu einigen, konnten beide bisher nicht im Ansatz einlösen. Pretzell ist nach einem kurzen medialen Höhenflug auf europäischer Ebene eher ein Hinterbänkler, aber mittlerweile als Vertreter von »Die blaue Partei« immerhin im EP geblieben. Von Storch, letzte verbliebene MEP der AfD, tauschte im September 2017 ihr europäisches Parlaments- gegen ein deutsches Bundestagsmandat ein. Ihr Ersatz, der derzeitige AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen, hatte bis dato auch eher anderes zu tun als sich im EP zu betätigen.

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Jörg Meuthen © Roland Geisheimer / attenzione

Ein weiteres, jüngst erneut anerkanntes Parteiprojekt ist die 2009 gegründete »Allianz der Europäischen Nationalen Bewegungen« (AENM). Dieses vor allem von Béla Kovács (»Jobbik«), Bruno Gollnisch (FN) und dem rührigen Nick Griffin damals vorangetriebene Projekt beherbergt bis heute ein breites Spektrum ausgewiesener (Neo-)Faschisten bis zu eher National- und Christlich-Konservativen. Nachdem die Eminenzen Le Pen und Gollnisch im Zuge der sogenannten Entdämonisierung des FN 2013 ausgestiegen sind und Griffin 2014 die APF mitbegründete, war die AENM gänzlich zu einer randständigen Sammlung von Einzelpersonen degradiert. Sie wird demnächst mit den neuesten Regularien, nach denen Euro-Parteien nur noch aus nationalen Parteien konstituiert werden können, zu kämpfen haben.

Getrennt und doch vereint in die Zukunft
Nach den diversen, sich wechselseitig überschneidenden Vernetzungsprojekten in der Vergangenheit und dem entsprechenden Kennen-, Verstehen- und Kooperierenlernen in einer immensen Anzahl von Arbeitstreffen und Konferenzen, schälen sich mit der APF und der MENF aktuell zwei stabile Euro-Parteien heraus, die zwar vieles trennt, aber auch einiges eint. Während erstere weltanschaulich gefestigte (Neo-)FaschistInnen versammelt, die aber aufgrund ihrer nationalen Marginalität kaum Chancen auf größeren Einfluss oder gar eine Fraktionsbildung im EP haben, sammeln sich in der MENF viele rechtspopulistisch modernisierte und vor allem real- und machtpolitisch orientierte GewinnerInnen des gegenwärtigen Rechtsdrifts.

Allein binnen des letzten Jahres schafften es zwei ihrer Mitgliedsparteien in nationale Regierungsverantwortung, so dass sie heute unter anderem einen italienischen Innenminister und einen österreichischen Vizekanzler in ihren Reihen wähnt. Angesichts möglicher Kooperationen auf staatlich-exekutiver Ebene mit den extrem autoritären Regimen Ungarns und Polens hat ihre radikale Position gegen Immigration besondere Brisanz. Eine Schwächung ihrer transnationalen Strukturen durch die Renationalisierung von Zugpferden wie Matteo Salvini oder Marine Le Pen (2017 in die französische Nationalversammlung gewählt und gewechselt) ist nicht zu erwarten, denn aktuelle Prognosen für die nächsten EP-Wahlen in 2019 geben ihnen die berechtigte Hoffnung, zum ersten Mal überhaupt eine extrem rechte Fraktion bruchlos in eine zweite Legislaturperiode überführen zu können. Trotz vieler Unterschiede zwischen ihnen, sind sich APF und MENF programmatisch in der Feindschaft zur EU in ihrer jetzigen Form und ideologisch in der Bewahrung nationaler Souveränität einig. Ihre ebenso abstrakten wie brüchigen Gemeinsamkeitskonstruktionen wie christliche Werte, europäische Kultur, westliche Zivilisation sind bei genauerer Betrachtung vor allem eine gemeinsame Defensive: gegen den Islam, die Multikulti-, kinderlose und politisch korrekte Gesellschaft, die Globalisierung und den US-Imperialismus und zum Teil mit vielfältigen positiven Russlandbezügen.

 

»»» @derrechterand Europa-Ausgabe 2014

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