Zwischenbilanz

von Gerd Wiegel
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 173 - Juli / August 2018

#AfDimBundestag

der rechte rand Magazin

Jens Maier, AfD-Abgeordneter des deutschen Bundestags © Christian Ditsch

»Mit der AfD ist eine Kraft in diesem Land aufgewacht, die weder Sie noch irgendein anderer aufhalten kann.« Mit diesen Worten im Bundestag brachte der Abgeordnete der »Alternative für Deutschland« (AfD) Jens Maier das ganze Selbstbewusstsein der AfD-Bundestagsfraktion zum Ausdruck, die sich angesichts der Krise der Regierung Merkel nahe an einem wichtigen Etappenziel auf dem Weg zur Macht(-beteiligung) sieht. »Merkel muss weg!« war 2017 der zentrale Schlachtruf der AfD-Wahlkampagne und mit der offenen Kampfansage durch die CSU sieht sich die AfD diesem Ziel ein gutes Stück nähergekommen.

»Mit der AfD

ist eine Kraft in diesem Land aufgewacht,

die weder Sie noch irgendein anderer aufhalten kann.«

AfDler Jens Maier

Neun Monate nach dem Start der Bundestagsfraktion und mit Beginn der Sommerpause des Parlaments muss konstatiert werden, dass die AfD-Fraktion die Mittel der Bundestagsbühne in ihrem Sinne nutzt und keineswegs schon vom Parlamentsbetrieb zerschlissen wurde. Woche für Woche trägt die Fraktion ihre Themen ins Plenum und macht die Flüchtlingspolitik zum zentralen Dreh- und Angelpunkt der deutschen Politik – tatkräftig unterstützt von der CSU und auch der FDP, die sich bei einigen Themen in einen Überbietungswettbewerb mit der AfD begeben haben. Die Inszenierung als Außenseiterin und Tabubrecherin, die GegnerInnenschaft zu den »Altparteien« oder »denen, die schon länger hier sitzen«, wie es von der AfD oft heißt, ist die zentrale Inszenierung der AfD-Fraktion. Opferrolle und Außenseiterstellung dienen der Fraktion vor ihren WählerInnen als Legitimierung des Mitspielens auf der parlamentarischen Bühne. Die zentrale Bühne stellt dabei das Plenum des Bundestags dar: Während die AfD-Abgeordneten die Ausschussarbeit eher sachlich und unauffällig betreiben, sucht man im Plenum immer wieder nach Möglichkeiten der Provokation. Die Reaktionen der anderen Fraktionen sind disparat: Häufig werden Beiträge der AfD bewusst ignoriert, um ihre Themen durch Beachtung nicht noch zu doppeln. Selten gibt es Formen des Dagegenhaltens, die aufhorchen lassen und die AfD in die Defensive bringen.

Zentrales Thema: Gegen Migration
Die Verbindung von antimuslimischem Rassismus und Kriminalitätsangst ist zentrales Thema der AfD-Aktivitäten im Bundestag. Von 246 Kleinen Anfragen bis Mitte Juni 2018 kamen allein 80 aus den beiden Bereichen Innenpolitik/Kriminalität (32) und Flucht/Migration/Zuwanderung (48). Alle politischen Themen werden von der AfD mit dem Thema Flucht/Migration in Zusammenhang gebracht – ob es sich um Arbeitsmarktthemen, Mietpreise oder Bildungspolitik handelt. Im Mittelpunkt steht immer die Behauptung einer allgegenwärtigen und täglich steigenden Bedrohung durch kriminelle Flüchtlinge.

Geflüchtete Menschen werden von den AfD-Abgeordneten in ihren Reden fast durchweg als Betrüger, Gewalttäter, Vergewaltiger und Mörder dargestellt, wobei es durchweg um die Verächtlichmachung ganzer Gruppen geht, womit die Geflüchteten nicht mehr als Individuen, sondern als bedrohliche Masse erscheinen. Beim Abgeordneten Gottfried Curio, dem bisher schlimmsten Hetzer der Fraktion, hört sich das so an: »Wer illegal die Grenze übertritt, ist Betrüger; wer ohne Papiere kommt, will das deutsche Volk betrügen. Dieser Betrug ist Raub, ist Gewalt, ist Kriminalität. Und wer Leute ohne Papiere reinlässt, leistet Beihilfe, ist Mittäter. (…) Da wird ein Millionenheer archaisch geprägter junger Männer ins Land gelassen, denen Frauen als Schlampen und Übergriffsobjekte gelten, wenn sie sich nicht der islamischen Unterdrückungskultur anbequemen. Gelernte Frauenverachtung aber ist programmierter Frauenmord.« Curio, aber auch viele andere RednerInnen der AfD appellieren vor allem an Emotionen und Vorurteile ihrer ZuhörerInnen und wollen vorhandene Bedrohungsgefühle ins Unermessliche steigern. Noch einmal Curio: »Statt Ausweisung also jetzt Papa Gefährder, Mama Gefährder und die Gefährderbambini. Diese Kleinen gehen natürlich zum staatlichen Werteunterricht und hinterher zu Papas Enthauptungsunterricht. Die GroKo hat ein Programm zur Terroristennachwuchsförderung. Sicherheit der Bürger war gestern. Vorrang jetzt: Wohlergehen von Gefährdern.«

Kriminalisierungsversuch
Neben diesen Formen der Entmenschlichung ist die AfD auch um eine Kriminalisierung des politischen Gegners bemüht und knüpft damit an autoritäre Formen der politischen Auseinandersetzung an, wie sie für die völkische Rechte der Weimarer Republik typisch waren. Wegen ihrer Flüchtlingspolitik gehöre Merkel nicht auf die Regierungs-, sondern auf die Anklagebank, so wird es von verschiedenen Abgeordneten der AfD immer wieder formuliert. Als »Kanzlerin der Ausländer« (Gottfried Curio) oder »Kanzlerdarstellerin« (Thomas Seitz) wird Merkel bezeichnet; »Verrat an den Interessen Deutschlands« (Stefan Kotré) wird den anderen Fraktionen vorgeworfen; vom »macronistischen Verrat an deutschen Arbeitnehmerinteressen« schwadroniert mit Blick auf Frankreich der Abgeordnete Harald Weyel. Häufigeres und auch wesentlich angreifbareres Ziel der AfD-Attacken sind jedoch zivilgesellschaftliche Projekte und Vereine, die sich gegen Rassismus und die extreme Rechte engagieren. Hier versucht die Bundestagsfraktion der AfD mittels Anfragen und Anträgen, Träger und einzelne Personen als »Linksextremisten« darzustellen und die staatliche finanzielle Unterstützung zu beenden. Ziel ist die Kriminalisierung aller vernehmbaren Gegenstimmen zur AfD. Im Antrag der Bundestagsfraktion zur Wiedereinführung der sogenannten »Extremismusklausel«, mit der die Projekte gegen Rechts von der früheren konservativen Familienministerin Kristina Schröder (CDU) unter Extremismusverdacht gestellt wurden, heißt es: »Kein auch noch so ehrenwert klingender Zweck, welchen Extremisten stets vorgeben zu verfolgen, kann die rechtswidrigen Mittel, die sie anwenden, legitimieren. Methoden wie beispielsweise Einschüchterung, Gewalt und Terror müssen von allen Demokraten ohne Wenn und Aber geächtet – und nicht gefördert – werden.« Hier soll der Eindruck entstehen, über die vom Staat geförderten Projekte würden »Einschüchterung, Gewalt und Terror« gefördert.

Kulturkampf
Der Kampf gegen ein herbeiphantasiertes linkes Meinungskartell in der Bundesrepublik ist ein anderer wichtiger Strang der AfD-Politik im Bundestag. Marc Jongen, kulturpolitischer Sprecher der Fraktion, ist hier ein wichtiger Akteur: Gleichstellungsprogramme, Gender Mainstreaming, Minderheitenrechte – all das wird von der AfD als Ausdruck linksliberaler Manipulation angegriffen. Im Kulturbereich sieht Jongen »kulturelle Schadprogramme«, »die einzig und allein dem Zweck dienen, Kunst und Kultur auf globalistische, migrations- und EU-euphorische Linie zu bringen«, während auf den Theaterbühnen ein »paranoider Kampf gegen rechts« geführt werde. Mit dem Gender Mainstreaming werde der »Geschlechterkampf in unseren Bildungseinrichtungen und Behörden staatlich verordnet und auf Dauer eingestellt. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern wurde damit einer permanenten unterschwelligen Vergiftung ausgesetzt«. Dahinter sieht er eine »Gesinnungsdiktatur von allmählich Orwell’schen Ausmaßen (…)«.

Und sonst?
Außenpolitisch macht sich der Einfluss der »Neuen Rechten« auf die Fraktion deutlich bemerkbar. Das Credo der »selbstbewussten Nation« durchzieht die Reden der Abgeordneten. Im Büro des Außenpolitikers Harald Weyel arbeitet mit Eric Lehnert der Geschäftsführer des neu-rechten »Instituts für Staatspolitik«(IfS). Die Absage an den Multilateralismus und eine klare »Deutschland zuerst!«-Position kennzeichnen die Außenpolitik der AfD. Deutschland solle seine Interessen notfalls auch gegen seine europäischen Partner durchsetzen und sich nicht länger in Bündnissysteme einbinden lassen. Für Weyel handelt es sich bei solchen Bündnissen um »Zwangsjacken«: »Auf dem einen Ärmel steht NATO und auf dem anderen EU.«

Der völkische Antikapitalismus des Höcke-Flügels der Partei lässt im Bundestag noch auf sich warten. Austariert zwischen konservativem ArbeitnehmerInnenflügel um den Abgeordneten Uwe Witt, der völkischen Rechten um den Abgeordneten Jürgen Pohl und einer marktradikalen Ausrichtung um die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel bleibt die AfD in diesem Feld bisher unkenntlich. Während Pohl die sozialen Verwerfungen durch die Agenda-2010-Politik anprangert, empfiehlt seine Fraktionsvorsitzende Weidel auf die Frage, wie die steuerpolitischen Sparpläne der AfD zu finanzieren seien: »Durch Einsparungen! Bei Arbeit und Soziales kann man einsparen!«

Neben der inhaltlichen Seite fällt die AfD durch Versuche auf, den Parlamentarismus und die Parteien lächerlich zu machen. Unter dem Deckmantel der Demokratie werden so demokratische Institutionen in Frage gestellt. Zur Wahl der Bundeskanzlerin im Bundestag veröffentlichte die AfD-Fraktion via Facebook ein Foto des Abgeordneten Stephan Brandner, seines Zeichens Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundestages: Dieser hatte seinen Wahlschein im WC auf zwei Toilettenpapierrollen drapiert, um auf diesem Weg seine Sicht auf den Parlamentarismus deutlich zu machen. Im Juni versuchte der Abgeordnete Thomas Seitz seine Redezeit zur Initiierung einer Gedenkminute für die vermutlich von einem irakischen Flüchtling ermordete Susanna F. aus Wiesbaden zu nutzen. Die Unterbindung durch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth wurde von der Fraktion via Facebook sofort ins Netz gestellt, was zu massiven Drohungen gegen Roth führte.

Umgang mit der AfD
Bisher hat noch keine Fraktion ein probates Mittel im Umgang mit der AfD im Bundestag gefunden. Das auf möglichst hohe Präsenz und Aufmerksamkeit gerichtete Auftreten der AfD wird von vielen durch eine konsequente De-Thematisierung der AfD-Beiträge beantwortet. Damit soll der AfD Aufmerksamkeit und Raum genommen werden. Ein solches Verhalten führt jedoch häufig dazu, dass rassistische Positionen unwidersprochen im Raum stehen bleiben. Bisher gab es nur wenige kluge und scharfe Gegenreden, die auch außerhalb des Bundestags Aufmerksamkeit fanden. AfD-AnhängerInnen werden damit ohnehin kaum erreicht, für indifferente ZuhörerInnen aber auch für die GegnerInnen der AfD sind sie als Bezugs- und Bestätigungspunkt aber wichtig. Somit bleibt nach der ersten Etappe mit der AfD im Feld für die anderen Parteien noch viel Luft nach oben.