Soziale Nazis

von Kai Budler

Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 165 - März/April 2017

Bundesweit setzen Neonazis auf Spendenprojekte für deutsche Familien und sozial Benachteiligte. Ein Ursprung dieser Initiativen liegt in Netzwerken der Thüringer Neonazi-Szene.

Magazin der rechte rand Ausgabe 165

Zum Jahreswechsel hatte die Neonazi-Partei »Der III. Weg« bundesweit auf sich aufmerksam gemacht, als die Neonazis dazu aufriefen, das Geld statt in Pyrotechnik in Tierfutter- und Bargeldspenden für Tierheime zu investieren. In nicht wenigen Fällen trugen die »SpenderInnen« dabei Kleidung mit Symbolen und Parolen von »Der III. Weg« und ließen teilweise sogar Grußkarten der extrem rechten Partei zurück. In Thüringen griff »Die Rechte« (DR) diese Idee auf und startete die Kampagne »Futter statt Böller«, nachdem AktivistInnen der Partei bereits 2015 Tierheime durch Spenden überrumpelt hatten.

Soziale Offensive der Neonazis in Thüringen
DR hatte in Thüringen schon im Juli 2016 mit einer »sozialen Offensive« begonnen, als sie in einem Erfurter Vorort ein Fußballturnier und ein »Familienfest für hilfebedürftige deutsche Familien« durchführte. Ihr »Familienfest« führte die Partei in einer ehemaligen Kaufhalle durch, die der extrem rechte Verein »Volksgemeinschaft« seit 2016 nutzt. Allein schon der Name des Vereins spricht Bände über dessen Hintergrund, ist »Volksgemeinschaft« doch ein zentraler Begriff der NS-Ideologie. Ungeachtet dessen betreibt der Verein mit Hilfe des DR-Landesvorsitzenden Enrico Biczysko im Erfurter Südosten seine Graswurzelarbeit im vorpolitischen Raum: Zum Angebot gehören eine Bar, Spielmöglichkeiten für Dart und Kicker sowie ein Trainingsraum für Kampfsport mit einem wöchentlichen Trainingstermin. Daneben beherbergen die Räume Neonazi-Konzerte sowie Tagungen, Schulungen und Parteitage von NPD und DR. Auf Fragen nach dem Angebot kommen Antworten wie »Musik- und Sportunterricht« und man wolle die »Kinder und Jugendlichen von der Straße holen«. Biczysko wurde unter anderem 2005 wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen zu einer Haftstrafe verurteilt und wechselte 2016 von der NPD zu DR. Er gilt »als Scharnierperson zwischen den formell, informell und jugend- bzw. subkulturell organisierten Rechtsextremen in der Landeshauptstadt«, wie der Soziologe Matthias Quent bereits 2013 schrieb. Besonders im Südosten Erfurts kann die extrem rechte Szene Raumgewinne verbuchen, die mit den »sozialen Aktionen« größer werden; das nächste Familienfest ist für Ende Juni 2017 angekündigt.

Die Schlacht am Abfallcontainer
Neben solch lokalen Schwerpunktaktionen denkt eine Initiative des Neonazi-Netzwerkes »Thüringen gegen die Islamisierung des Abendlandes« (THÜGIDA) über Landesgrenzen hinaus. Schon die Mitglieder des Vereinsvorstandes von »Thügida & Wir lieben Sachsen« kommen aus mehreren Bundesländern. Die Initiatoren David Köckert aus Greiz und Alexander Kurth aus Sachsen, der zeitgleich Mitglied im DR-Bundesvorstand ist, hätten »die Initiative ‹Ein Volk hilft sich selbst› ins Leben gerufen«, sagt der Niedersachse Jens Wilke vom »Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen« (s. drr Nr. 164). Auch Wilke gehört dem Vereinsvorstand an und kündigt die Transformation von THÜGIDA in »Die Volksbewegung« an. Für die Verquickung von THÜGIDA und »Ein Volk hilft sich selbst« spricht auch die von beiden Netzwerken benutzte Postfachadresse in Köckerts Wohnort Greiz. Auch die Initiative »Ein Volk hilft sich selbst« bedient sich bei der Namensgebung unverhohlen nationalsozialistischer Propaganda. Der Slogan aus der NS-Zeit war ein Leitmotiv des nationalsozialistischen Winterhilfswerks, das 1933 vom Reichspropagandaminister Joseph Goebbels ins Leben gerufen wurde, um die Idee der »Volksgemeinschaft« zu stärken.

Heute ist die Parole einigendes Element bei Veranstaltungen von bundesweit bekannten Kadern in Bundesländern wie Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen und Thüringen. Auf Fotos bei Facebook verteilen Neonazis Geschenke, Lebensmittel und Plüschtiere an Erwachsene und Kinder. Auch Obdachlose gehören zur beliebten Zielgruppe der angeblich sozialen Initiative – dabei sind unter den Opfern rechter Gewalt seit 1990 mindestens 28 ermordete Obdachlose. Um die Weihnachtszeit 2016 gab es unter dem Slogan bundesweit mehr als 20 Veranstaltungen, teils begleitet von extrem rechten Vorträgen oder Liedermachern. Der Soziologe Quent bilanziert: »Im Zuge der sozialen Ungleichheit vermitteln die Neonazis das Ausgeschlossensein als Ergebnis einer volksfeindlichen Politik. Diese Botschaft wurde auch über die Aktionen in der Adventszeit 2016 vermittelt. Dabei gingen die Neonazis bei der Ethnisierung eines bestehenden gesellschaftlichen Problems viel professioneller, übergreifender und besser vernetzt vor als im Vergleich zu den vergangenen Jahren.« Über das Projekt »Ein Volk hilft sich selbst« versammelte THÜGIDA beispielsweise knapp 70 Erwachsene und Kinder zu einer Weihnachtsfeier ausgerechnet in den Räumen des »Gedächtnisstätte Guthmannshausen e. V.«, wo sonst GeschichtsrevisionistInnen und HolcaustleugnerInnen zu Gast sind. David Köckert ist von der Initiative derart überzeugt, dass er jetzt aus der NPD ausgetreten ist. Er könne nicht auf zwei Hochzeiten tanzen, erklärt der Neonazi in einem Facebook-Video, sondern werde seine ganze Kraft in THÜGIDA stecken und »Ein Volk hilft sich selbst« weiter vorantreiben.