Gedenken in Sofia

von Mikkel Hansen und Marian Ramaswamy

Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 165 - März/April 2017

18. Februar 2017 – kurz vor 17 Uhr: Der sonst so von TouristInnen und HundehalterInnen belebte Bulgaria Square in der bulgarischen Hauptstadt Sofia ist wie leergefegt. Nur wenige Menschen sind auf dem Platz unterwegs. Das graue und trübe Wetter mag seinen Teil dazu beitragen; entscheidend ist, vor dem »National Palace of Culture« ist am Nachmittag der Startpunkt einer neonazistischen Demonstration. Dementsprechend stehen an jedem Zugang zum Platz einzelne Grüppchen der Polizei. Zu den wenigen Menschen auf dem Platz stößt grölend eine 60-köpfige Gruppe. Überwiegend Männer. Dabei haben sie eine überdimensionale Fahne mit dem Konterfei von Hristo Nikolov Lukov. Eine Gruppe von PolizistInnen eskortiert die FaschistInnen – unter ihnen Hooligans des Fußballvereins von »CSKA Sofia« – über den Platz zum Startpunkt der Veranstaltung. Diese beginnt in etwa einer Stunde, die Gruppe zerstreut sich. Unbehelligt bewegen sich Kleingruppen über den Platz. Um kurz nach 17 Uhr treffen nach und nach TeilnehmerInnen am Startpunkt des Aufmarschs ein. Die Veranstaltung dient dem Gedenken an Hristo ­Lukov.

Lukov
Der Generalleutnant und Führer der Partei »Union der bulgarischen Nationalen Legionen«, der während des Ersten Weltkriegs zum Major aufstieg, kollaborierte während des Zweiten Weltkriegs mit den deutschen Nationalsozialisten. Am 13. Februar 1943 wurde Lukov von Ivan Burudzhiev und Violeta Yakova, zwei kommunistischen PartisanInnen, erschossen. Die bulgarische extreme Rechte stilisiert Lukov zum »Kriegshelden« und zum Opfer einer vermeintlich jüdischen Verschwörung: Das findet seinen Ausdruck in den antisemitischen Inhalten des seit 2003 stattfindenden »Lukov-Marschs«. Veranstalterin des Gedenkmarschs ist die nationalsozialistische Partei »Bulgarische National Union« (BNU). Am Marsch beteiligt sich, neben deutschen und polnischen FaschistInnen, auch das neofaschistische »Nordic Resistance Movement« aus Skandinavien. Auch lokale extrem rechte Strukturen wie »National Resistance« nehmen an der Veranstaltung teil. AnhängerInnen der »National Resistance« sind immer wieder an Anschlägen und Angriffen auf Homosexuelle, Linke und Roma beteiligt. Im Jahre 2013 beteiligte sich die Neonazi-Gruppe mit Mitgliedern des militanten Netzwerks »Blood & Honour« und rechten Ultras an der Gründung der kurzlebigen Partei »Nationalistische Partei Bulgariens«.

Die Hauptorganisatoren des Lukov-Marschs sind die BNU-Kader ­Andronov Zvezdomir und Plamen Dimitrov. Dimitrov pflegt internationale Kontakte und trat beispielsweise am 4. Juni 2016 beim »Tag der deutschen Zukunft« in Dortmund als Redner auf. Bei der Veranstaltung, die hauptsächlich von der Partei »Die Rechte« organisiert wurde, warb er für den Lukov-Marsch 2017. Die deutsche Übersetzung der auf Bulgarisch gehaltenen Rede verlas damals Matthias Deyda. In Sofia überbringt er ein Grußwort für »Die Rechte«. Beide Parteien pflegen eine enge Zusammenarbeit. Wie in den vergangenen Jahren sind auch dieses Jahr mehrere Neonazis aus Dortmund in die bulgarische Hauptstadt gereist. Mit dabei ist auch eine Delegation der Neonazi-Partei »Der III. Weg« um den Vorsitzenden Klaus Armstroff sowie die selbsternannte Führerin der »Identitären Aktion«, Melanie Dittmer. Bereits am Vortag gab es vor dem Haus des Gemeinderates eine Versammlung der BNU mit 30 Neonazis – darunter auch welche aus Deutschland. Der Protest richtete sich gegen den Versuch des Bürgermeisters, den Aufmarsch zu verbieten oder einzuschränken.

Wenige Minuten nach halb sechs: Einheiten der Polizei ziehen sich auf dem Platz zusammen und bilden ein Spalier. Die 800 TeilnehmerInnen der Veranstaltung stellen sich, unter Kommandos der OrdnerInnen, in paramilitärischer Manier auf. An die Spitze stellt sich eine Frau mit einem gerahmten Porträt von Lukov in Uniform. Dann folgen die Blöcke: erst die »Nationale Garde«, dann der »Internationale Block« und der »Nationale«. Doch die Polizei hält den Marsch auf, bevor dieser den Platz verlässt und teilt die TeilnehmerInnen in mehrere Gruppen ein. Damit soll offenbar Ausschreitungen vorgebeugt werden – die Kleingruppen sind leichter unter Kontrolle zu halten als eine große Masse. Der Aufmarsch bewegt sich mehr als einen Kilometer über die abgesperrte, menschenleere Vasil Levski-Straße. Lediglich Busse befahren noch die Straßen. Die nur spärliche Straßenbeleuchtung verleiht dem Aufmarsch eine gespenstische Atmosphäre. Im weiteren Verlauf der Straße stoppt der Aufmarsch für mehr als eine halbe Stunde, weil die Blöcke wieder zusammengeführt werden. Danach zieht er weiter zum Vasil Levski-Platz.

Vereinnahmung
Dort steht auf einer Verkehrsinsel das Denkmal für Vasil Levski. Levski gründete 1870 die »Innere Revolutionäre Organisation« im Kampf für Unabhängigkeit von dem Osmanischen Reich. Obwohl Levski für eine demokratische Republik – inspiriert von der Französischen Revolution – stand, erinnern die Rechten in ihrer Vereinnahmungsstrategie an ihn. Ein Versuch, an den gesellschaftlichen Diskurs um den Nationalhelden Levski anzuknüpfen und das staatliche Gedenken zu instrumentalisieren. So soll auch das Gedenken an den Antisemiten Lukov gesellschaftsfähig werden. Einige TeilnehmerInnen legen am Fuße des Monuments bunte Blumen und Kränze nieder, andere entzünden zeitgleich Fackeln und bengalische Feuer. Nach der Zwischenkundgebung zieht der Fackelmarsch zum ehemaligen Haus von Lukov, wo auch im Februar 1943 das Attentat stattfand. Zum Abschluss werden mehrere Redebeiträge gehalten; unter den Rednern auch ein Vertreter des schwedischen »Nordic Resistance Movement«. Gegen 21 Uhr wird die Veranstaltung beendet.
Widerspruch oder Protest waren an diesem Abend nahezu nicht vorhanden. Nur ein Transparent von Studierenden hängt am Rande der Route am Universitätsgebäude. Zu lesen ist: »Lukov ist Tod. Seine Ideen auch! FCK NZS«. Eine Gegendemonstration gegen den Lukov-Marsch fand bereits am Sonntag, den 12. Februar 2017 statt. Grund für die vorgezogene Demonstration ist die starke Gefährdung des Protests durch hunderte Neonazis und den Unwillen der Stadt, eine antifaschistische Veranstaltung an diesem Tag zu genehmigen. An den diesjährigen Protesten gegen die Neonazis beteiligten sich etwa 400 Menschen. Mehr als in den letzten Jahren.