»Sammelbeobachtungsobjekt«

von Ernst Kovahl



Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 165 - März/April 2017

Der Thüringer Wirtschaftsminister und stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Matthias Machnig war wütend. Seit zwei Jahren waren die Taten der rechten Terrorgruppe NSU bekannt und das Versagen der Geheimdienste wurde immer klarer. Offen attackierte der Minister im Juli 2013 den Dienst: »Alte und neue rechtsextremistische Formen« würden durch den jährlichen Verfassungsschutz-Bericht »gar nicht erst erfasst« – als ein Beispiel nannte Machnig ausdrücklich die »Reichsbürger«.

»Kein Beobachtungsobjekt«
Und in der Tat, die Szene wurde unterschätzt, ihre Beobachtung war uneinheitlich. Nachdem im Oktober 2016 ein »Reichsbürger« einen Polizist erschoss, legten die Ämter rege Aktivitäten an den Tag und täuschten so darüber hinweg, dass sie die Szene vorher kaum im Blick hatten. In kürzester Zeit schnellten die Angaben der Behörden über die Zahl der »Reichsbürger« nach oben – aus wenigen Hundert wurden plötzlich bundesweit Tausende. Behörden meldeten nun alle, die mit »Reichsbürger«-Ideologie Steuerbescheide oder Strafzettel anfochten, die Geheimdiensten durchwühlen Datenbanken und Akten, um dem neuen Interesse gerecht zu werden.
Der bayerische Nachrichtendienst teilte mit, nach der Tat die Beobachtung der »Reichsbürger« intensiviert zu haben. Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Sachsen-Anhalt meldeten, sie würden bisher nur einen Teil der Szene zu beobachten. Der Sächsische Verfassungsschutz legt seine Auffassung in einer bis heute abrufbaren Handreichung dar. Die »Reichsbürger-Bewegung« sei »als solche kein Beobachtungsobjekt«: »Bis dato liegen keine Erkenntnisse über tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen der Reichsbürgerszene in ihrer Gesamtheit vor. Einzelne Reichsbürgergruppierungen und –anhänge weisen jedoch Bezüge zur rechtsextremistischen Szene auf.« Anders Niedersachsen: Das Land führte seit 2005 die »Exilregierung Deutsches Reich« als Beobachtungsobjekt.

»Sammelbeobachtungsobjekt«
Im November 2016 teilte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mit, Bund und Länder würden die »Reichsbürger« nun in Gänze in den Blick nehmen: »Wir haben in dieser Woche Einigkeit erzielt, dass ab sofort auch die Reichsbürger in ganz Deutschland Sammelbeobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutzes und der Länder werden«. So würden »ideologisch gleich ausgerichtete Personenzusammenschlüsse und Einzelpersonen zusammengefasst«, ihre »Vernetzungen besser erkannt und aufgeklärt werden«, teilte das Bundesinnenministerium mit.
Eine Pressemitteilung des Verfassungsschutzamts aus Hessen bringt etwas Licht in die Einigung. Nun gelten auch die systematischen und aggressiven Aktionen gegen Behörden als potentiell staatsgefährdend, was den »Reichsbürgern« bisher als Marotte durchgehen gelassen worden war: »Die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter ist heterogen. In ihrer fundamentalen Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer gesamten Rechtsordnung ist sich diese Szene jedoch einig. Für die Verwirklichung ihrer Ziele tritt die Reichsbürgerbewegung aktiv ein, z. B. mit Werbeaktivitäten oder mit aggressiven Verhaltensweisen gegenüber den Gerichten und Behörden der Bundesrepublik Deutschland. Bestrebungen, die eine derart grundsätzliche Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Gesetze und Institutionen beinhalten, bieten hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte als verfassungsfeindliche Bestrebungen für eine Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, unabhängig davon, dass diese Bestrebungen nur zum Teil dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zugeordnet werden können. Die Reichsbürgerbewegung wird deshalb seit dem 22. November 2016 in Gänze bundesweit vom Verfassungsschutz des Bundes und der Länder (…) beobachtet.«