Wir sind Leitkultur

von Jörg Kronauer

Magazin "der rechte rand" Ausgabe 167 - Juli 2017

Innerparteiliche Zusammenschlüsse auf dem rechten Flügel der Union

< AfD wirbt in München um WählerInnenstimmen der CSU

 

Zusammenschlüsse auf dem rechten Flügel von CDU und CSU, welche die Unionsparteien weiter nach rechts drücken wollen, hat es immer wieder gegeben. Inhaltlich geht es gewöhnlich gegen »Multi-Kulti«, für einen starken Staat und für die Hetero-Kleinfamilie. Seit dem vergangenen Herbst haben innerparteiliche Pressure Groups in der Union wieder Aufwind und geben jetzt auch noch den Trump. Weg mit dem Klimaschutz! Den »Abschied von deutschen Sonderzielen« in der Klimapolitik forderte Anfang Juni der »Berliner Kreis«, eine kleine Clique von Bundestagsabgeordneten am rechten Rand der CDU. Da würden erneuerbare Energien »unkontrolliert« ausgebaut und konventionelle Kraftwerke hemmungslos verdammt, klagten die CDU-PolitikerInnen in einem Positionspapier, »ideologische« Debatten und »moralische Erpressung« dominierten die Klimaforschung. Dabei sei doch gar nicht klar, welchen Anteil der vom Menschen verursachte Treibhauseffekt am Klimawandel habe. Und überhaupt: Ist der Klimawandel denn wirklich so schlecht, wie immer behauptet wird? Immerhin seien doch zum Beispiel »mit dem Schmelzen des polaren Meereises« erstaunliche »Chancen« verbunden: Der Seeweg aus Europa an der russischen Arktisküste entlang nach China werde befahrbar – sehr praktisch! – und die arktischen Rohstoffe ließen sich endlich abbauen. Der Berliner Kreis plädiert entschlossen dafür, statt auf eine Milderung des Klimawandels auf die Anpassung an seine Folgen zu setzen.

Das bürgerlich-konservative Element
In den Unionsparteien rumort es immer wieder einmal auf dem rechten Parteienflügel – das hat Tradition und dagegen kamen letztlich nur Personen wie Franz Josef Strauß einigermaßen an. Sein berühmtes Dogma, rechts der CSU dürfe es keinerlei politischen Raum für eine relevante Partei geben, hielt Nationalkonservative und andere Hardliner gewöhnlich am zuverlässigsten bei der Stange. Seit CDU und CSU im Herbst 2005 mit der SPD eine Große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel bildeten, haben Rechtsausleger in der Union immer wieder über einen angeblichen Linksrutsch vor allem der CDU geklagt. Eine erste Reaktion war die Gründung des »Einstein-Kreises« am 11. Juli 2007. An jenem Tag – die Union war noch keine zwei Jahre an der Regierung – trafen sich der damalige Vorsitzende der »Jungen Union«, Philipp Mißfelder, der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, Stefan Mappus, der Generalsekretär der NRW-CDU, Hendrik Wüst, und der damalige CSU-Generalsekretär Markus Söder im Café Einstein Unter den Linden in Berlin, um über die Gründung eines Netzwerks zur Konsolidierung rechter Positionen in der Union zu beratschlagen.
Am 5. September 2007 publizierten die vier Unionspolitiker dann ein Manifest, in dem sie die zentralen Positionen aller Rechtsausleger in CDU und CSU festhielten. Das Dokument ist paradigmatisch auch für spätere Formierungen auf dem rechten Flügel der Union. »Gerade weil Deutschland derzeit anscheinend nach links rückt, muss eine bürgerliche Alternative erkennbar sein«, heißt es in dem Papier. »Das bürgerlich-konservative Element« der Union sei in jüngster Zeit, »weil die große Koalition zu vielen Kompromissen zwingt«, eher »in den Hintergrund getreten«. Das müsse sich ändern. Die Union müsse »auch für heimatverbundene Patrioten, überzeugte Christen und wertbewusste Konservative« die »politische Heimat« bleiben: »Rechts von der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.« »Christlich-abendländische Werte« seien die »Grundlage unserer Leitkultur«, zu der sich zu bekennen habe, wer einwandere; die »rot-grüne Multi-Kulti-Idee« sei »gescheitert«. Neben den üblichen Bekenntnissen zum starken Staat, zur Hetero-Kleinfamilie und zu klassisch-preußischen Sekundärtugenden hieß es: »Wir lehnen (…) eine Zuwanderung ab, die unsere Sozialsysteme belastet.«

Gegen »Multi-Kulti«
Inzwischen ist der »Einstein-Kreis« Geschichte. Mißfelder ist im Juli 2015 verstorben, Mappus hat seine politische Karriere im Sommer 2011 nach seiner Wahlniederlage in Baden-Württemberg gegen Rot-Grün beendet, Wüst war ab Anfang 2010 zunächst mit einer Affäre um CDU-Sponsorenbriefe ausgelastet und Söder hat derzeit vor allem die Stoiber-Nachfolge im Blick. Doch Versuche, den rechten Rand der CDU zu formieren, hat es auch weiterhin gegeben. Einer der Zusammenschlüsse, die heute noch eine gewisse Rolle spielen, ist die »Aktion Linkstrend stoppen«, die am 14. Februar 2010 mit einem »Manifest gegen den Linkstrend« an die Öffentlichkeit trat. In dem Papier heißt es, die CDU habe sich unter Merkel einer »Multi-Kulti-Integrationspolitik« verschrieben, nehme die »Islamisierung« Deutschlands einfach so hin und begebe sich jetzt auch noch – Stichwort Euro-Rettung – auf den »Marsch in den Schuldenstaat«. Zu allem Überfluss folge sie inzwischen sogar einer »linken Gesellschaftspolitik«, die sich durch »Geschlechterumerziehung«, Billigung von Schwangerschaftsabbrüchen und Akzeptanz der »Homo-Ehe« auszeichne. Die »Aktion Linkstrend stoppen« mobilisiert nicht nur mit schärferen Tönen als etwa einst der »Einstein-Kreis«. Sie beschränkt sich auch nicht auf Parteifunktionäre und Abgeordnete, sondern zielt auf die Einbindung von einfachen Parteimitgliedern und durchaus auch von Nichtmitgliedern, die das Manifest unterzeichnen oder an Veranstaltungen der Aktion teilnehmen können. Sie ist dabei bis heute stark auf rechtskatholische und auf evangelikale Milieus fokussiert, wenngleich sie nur bescheidene Erfolge erzielt.
Der medial wohl präsenteste Zusammenschluss auf dem rechten Flügel der CDU ist der »Berliner Kreis«, der im November 2012 an die Öffentlichkeit trat und dem sich zunächst gut drei Dutzend teils einflussreiche MandatsträgerInnen der Union anschlossen. Als Gründer wird Christean Wagner genannt, ein Staatsminister a.D. vom alten Stahlhelm-Flügel der hessischen CDU. Der »Berliner Kreis« verlor rasch ein wenig an Bedeutung, als sich unter massivem Druck der Parteiführung bekannte Politiker, darunter Philipp Mißfelder, von ihm abwandten. Unter seinen heutigen Mitgliedern – die meisten sind CDU-HinterbänklerInnen aus dem Bundestag – stechen vor allem Wolfgang Bosbach und Hans-Jürgen Irmer hervor. Bosbach, ein einflussreicher Innenpolitiker aus der Bundestagsfraktion, fungiert de facto als Aushängeschild der Organisation, die seiner Prominenz eine gewisse mediale Präsenz verdankt. Diese ist nun allerdings bedroht, da Bosbach dem Bundestag in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr angehören wird. Irmer wiederum ist seit vielen Jahren als Rechtsaußen der hessischen CDU-Landtagsfraktion bekannt; er unterhielt schon in den 1990er Jahren gute Beziehungen in Milieus der äußersten Rechten. Ein prominentes Mitglied hat der Kreis kürzlich verloren: Erika Steinbach, die ehemalige Vorsitzende des »Bundes der Vertriebenen« (BdV), die im April die Union – und damit automatisch auch den »Berliner Kreis« – verlassen hat.
Ihre Ankündigung, im Bundestagswahlkampf für die AfD aufzutreten, weist auf ein spezielles Problem der CDU-Rechten hin: auf ihre Nähe zu vielen Positionen der AfD, der Partei rechts der Union, die es laut dem Straußschen Dogma gar nicht geben dürfte und die der CDU wie der CSU so manche WählerIn und so manches Parteimitglied abspenstig macht. Viele Unions-Rechtsausleger wollen ihre verlorenen Schafe zurückholen und sind daher strikt dagegen, die AfD auszugrenzen. Bosbach etwa hatte schon im Sommer 2013 dafür plädiert, mit der Partei zu diskutieren; zuletzt sprach sich Christean Wagner im Herbst 2016 dafür aus, »eine ernsthafte politisch-inhaltliche Auseinandersetzung« mit ihr zu führen. Dem folgt die Parteispitze nicht und attackiert im erbitterten Kampf gegen die AfD zuweilen auch jene Positionen, die diese mit der Unionsrechten teilt.

»Assimilation statt Integration«
Die Unionsrechte geht nun ihrerseits in die Offensive – bestärkt von dem Gefühl, durch stetigen Verlust von WählerInnen und teils auch von Parteimitgliedern an die AfD geschwächt und in die Enge getrieben zu sein. Bereits im Juni 2014 hat sich ein »Konservativer Aufbruch« in der CSU gegründet, der behauptet, mittlerweile mehr als 11.000 von rund 140.000 CSU-Mitgliedern auf seiner UnterstützerInnenliste zu führen. Dabei leistet sich der »Konservative Aufbruch« – ganz wie ähnliche Zusammenschlüsse in der Union – eine gewisse Offenheit nach rechts: Sein heutiger Vorsitzender Thomas Jahn etwa nahm Ende 2015 an einer Konferenz des libertären Magazins »eigentümlich frei« teil. Zuletzt hat die Merkelsche Flüchtlingspolitik den Drang in der Unionsrechten noch weiter verstärkt, eigene innerparteiliche Pressure Groups ins Leben zu rufen; entsprechend schießen seit dem vergangenen Herbst in zahlreichen Bundesländern rechte Unions-Basisinitiativen aus dem Boden. Im September 2016 etwa gründeten die Ratsfrau Simone Baum (Engelskirchen) und der Ratsherr Alexander Willms (Overath) den »Konservativen Kreis NRW«, dem sich bald zahlreiche AktivistInnen auf lokaler Ebene anschlossen. Prominente Unterstützung bleibt nicht aus: Den »Konservativen Kreis Krefeld« etwa hat die Antifeministin Birgit Kelle, die regelmäßig in der »Jungen Freiheit« (JF) publiziert, im Herbst mit der Moderation einer öffentlichen Veranstaltung beehrt. Die Gründung eines »Konservativen Kreises« in Anklam gab im Dezember den Startschuss für weitere »Konservative Kreise« in Mecklenburg-Vorpommern; gleichzeitig trat in Dresden eine Initiative mit dem Namen »CDU-Kurswechsel« an die Öffentlichkeit. Und im November verabschiedete eine Clique von AltstipendiatInnen der Konrad-Adenauer-Stiftung (»Konrads Erben«) ein »Rhöndorfer Manifest«, das sich unter anderem für eine »europäisch-deutsche Leitkultur« und für »Assimilation statt Integration« einsetzt. »Konrads Erben« gibt an, ein Netzwerk von 500 AkademikerInnen zu führen.
Um die zahlreichen Initiativen auf dem rechten Flügel der Union zu bündeln, hat sich am 25. März 2017 in Schwetzingen schließlich ein neuer Zusammenschluss gegründet: der »Freiheitlich-Konservative Aufbruch« (FKA). Die Organisation fordert unter anderem eine »Stärkung von Polizeibefugnissen«, eine »Rückkehr zum Staatsangehörigkeitsrecht vor dem Jahr 2000« – also im Kern zu demjenigen von 1913 –, die »Einführung von Transitzonen« für Geflüchtete und eine harte Abschiebepolitik. Ihr gehören neben den regionalen Initiativen der »Berliner Kreis«, die »Aktion Linkstrend stoppen«, »Konrads Erben« sowie ein Zusammenschluss namens »Konservativer Dialog« an. Am 28. Mai hat sich in NRW der inzwischen sechste FKA-Landesverband gegründet. »Wir sind eine breite, bundesweite Bewegung der Basis, die mehrere tausend Mitglieder vertritt«, berichtete ihr Vorsitzender, Alexander Mitsch aus dem Kreisvorstand der CDU Rhein-Neckar, Ende März der JF: Sei man mit den regionalen Initiativen vor Ort präsent, so sitze man über den Berliner Kreis zugleich »im Zentrum der politischen Macht«. Tragfähige Verbindungen in politische Spektren rechts der Union sind gleichermaßen vorhanden: Einer der stellvertretenden Vorsitzenden des FKA ist das ehemalige CDU-Mitglied Hinrich Rohbohm, ein JF-Autor.