Zurück in die ganz alte BRD

von Floris Biskamp
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 212 - Januar | Februar 2025

Die Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD

antifa magazin der rechte rand
AfD-Kundgebung in Bitterfeld-Wolfen © Mark Mühlhaus / attenzione

Will man die wirtschafts- und sozialpolitische Positionierung der AfD verstehen, muss man sie in die allgemeine Parteiideologie einbetten. Das von der Partei gezeichnete Bild einer idealen Gesellschaft sieht ungefähr so aus: Weiße Mittelschichts-Deutsche leben in heterosexuellen Partnerschaften und haben mindestens 2,1 deutsche Kinder, um die sich die Mutter zu Hause kümmert. Die Väter fahren fünf Tage pro Woche mit ihrem deutschen Verbrennerauto von ihrem Eigenheim zu ihrem (Industrie-)Arbeitsplatz, an dem sie mindestens Facharbeiter sind. In der Freizeit pflegen sie deutsche Traditionen und leben ihre »freie Meinungsäußerung« im Internet aus. Die ideale Wirtschaft imaginiert die AfD als relativ harmonische Einheit aus dieser hart arbeitenden Mittelschicht auf der einen Seite und anständigen, innovativen und fürsorglichen kleinen oder mittelgroßen »Familienunternehmen« auf der anderen. Wie in Deutschland üblich bezeichnet sie sowohl die »Mittelschicht« als auch die »Familienunternehmen«, also sowohl Facharbeiter*innenfamilien als auch Multimillionär*innen, als »Mittelstand«. Die Staatsvorstellung ist na-tional und traditionalistisch: Der Staat soll sich so weit wie möglich zurückhalten, aber das geschilderte Modell und den Wettbewerb aktiv absichern – eben ordoliberal. Er soll einen nationalen Ordnungsrahmen schaffen und die Einzelnen auffangen, wenn sie unverschuldet in eine Notlage geraten oder nach einem leistungsreichen Leben in den Ruhestand gehen. All das fasst die Partei unter dem Schlagwort »Soziale Marktwirtschaft« und knüpft damit an kulturell etablierte Bilder von Wirtschaft und Gesellschaft an.


In der Vorstellung der AfD kam die deutsche Gesellschaft diesem Ideal in der Vergangenheit einmal recht nahe, ist aber in den letzten Jahrzehnten vom rechten Weg abgekommen – der Kern des Programms ist BRD-Nostalgie. Das, was von diesem Ideal noch übrig sei, werde nun bedroht – insbesondere durch »Massenmigration«, durch »Klimaideologie«, durch die »demografische Katastrophe«, durch »korrupte Politiker«, durch »woke Ideologie« sowie durch internationale Institutionen, die nationale Souveränität zersetzten.

Bundestagswahl: Fokus auf die Wirtschaftspolitik
Mit ihrem Programmentwurf für die Bundestagswahl 2025 legt die AfD zum ersten Mal seit über zehn Jahren wieder ein bundesweites Programmdokument vor, in dem die Wirtschafts- und Sozialpolitik im Vordergrund steht.



Die entsprechenden Kapitel stehen im Entwurf ganz vorne und nehmen deutlich mehr Raum ein als früher. Die Entscheidung, die wirtschafts- und sozialpolitischen Programmpunkte im Schaufenster in die erste Reihe zu rücken, sollte vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Debattenlage interpretiert werden. Deutschland befindet sich nach zahlreichen Indikatoren in einer wirtschaftlichen Krise. Viele Wähler*innen haben in den letzten Jahren erhebliche Reallohnverluste erlitten und die Ankündigungen von Werksschließungen und Stellenabbau bei großen Industriebetrieben nähren die Ängste vor Deindustrialisierung und Arbeitsplatzverlust.

Fast alle Beobachter*innen und Akteur*innen aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft sind sich darin einig, dass es grundlegender wirtschaftspolitischer Impulse bedarf. Sie können sich aber nicht darauf einigen, worin diese bestehen sollen. Somit ist abzusehen, dass sozioökonomische Themen im Wahlkampf eine erhebliche Rolle spielen werden. Entsprechend wird sich die AfD hier sichtbarer aufstellen. Dies gilt umso mehr, weil sie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik bislang nur wenig wahrgenommen wird. Auf Feldern wie Migration oder Islam muss die AfD kaum noch etwas sagen, weil ihre Position hinlänglich bekannt ist und ihre Aussagen kaum noch Nachrichtenwert haben. Auf sozioökonomischen Feldern hat die Partei dagegen allen Grund ihr Profil zu schärfen.

Gängige Halbwahrheiten
In Bezug auf die Position, die die AfD in Wirtschafts- und Sozialpolitik bezieht, zirkulieren einige Halbwahrheiten, die zunächst ausgeräumt werden sollten. Die erste lautet, die Partei sei sozioökonomisch »nach links« gerückt, stehe also anders als früher für mehr Staatsintervention und Umverteilung – wenn auch beschränkt auf ein ethnisch definiertes deutsches Volk. Diese These ist besonders bei denjenigen beliebt, die meinen, die Linke habe sich mit einer allzu »kosmopolitischen« Orientierung zu sehr der »Identitätspolitik« gewidmet und daher »die Arbeiterklasse verloren«, was die Rechten nun mit ihrer neuen »kommunitaristischen« Ausrichtung ausnutzen würden. Das ist eine plausibel klingende Erzählung, sie passt aber kaum zu den Daten. Auch in ihrem jüngsten Programmentwurf bekennt sich die AfD lautstark zur Freiheit des Marktes und zu einem Verständnis von Leistungsgerechtigkeit, bei dem es vor allem darum geht, dass Menschen, die ökonomisch zu wenig »leisten«, bloß nicht zu viel »Leistung« vom Wohlfahrtsstaat erhalten sollen. Wie unter anderem Matthias Diermeier herausarbeitete, finden die meisten Wähler*innen der Partei das auch gut so – die die Partei unterstützenden Milliardäre ohnedies.

Dennoch ist die Gegenthese, der zufolge die wirtschafts- und so-zialpolitische Position der AfD heute immer noch genauso neoliberal ist wie in den Gründungsjahren, ebenfalls nur eine Halbwahrheit. Es stimmt zwar, dass man die Position in der Gründungszeit und die Position von heute jeweils als »neoliberal« kategorisieren kann, jedoch hat sich vieles verändert. Wenn man am Neoliberalismusbegriff festhalten möchte, muss man sagen, dass die Partei heute anders neoliberal ist als früher. In ihrer Gründungsphase folgte sie einer recht kohärenten und wissenschaftlich grundierten national-ordoliberalen Doktrin. Im Laufe der Zeit wurde diese Doktrin durch eine Kombi-nation verschiedener ideologischer Versatzstücke aufgebrochen. Insbesondere wurde die Programmatik viel nationalistischer und illiberaler. Deutlich mehr als in den Anfangsjahren verspricht die AfD auf der einen Seite den Schutz der Interessen bestimmter realer und imaginierter Gruppen, die sich angeblich um Deutschland verdient machen, sowie auf der anderen Seite die Abwehr vermeintlich gefährlicher Gruppen, die Deutschland und seinen Fleißigen angeblich nur schaden. Eine weitere Halbwahrheit besagt, dass die Debatte in der Partei durch einen Konflikt zwischen einem »solidarisch-patriotisch« beziehungsweise »völkisch-antikapitalistisch« orientierten Lager auf der einen und einem wirtschaftsliberalen Lager auf der anderen Seite geprägt sei. Auch das ist eingängig, entspricht den Daten aber nur in Teilen. Zwar gibt es die »solidarisch-patriotische« Position im Umfeld von Björn Höcke durchaus. Zugleich beziehen jedoch einige andere, die mit extrem rechten, üblicherweise als »völkisch« bezeichneten Äußerungen auffallen, scharf marktliberale Positionen.

Klientelpolitik
Schaut man sich die Policy-Vorschläge aber etwas genauer an, zeigt sich eine deutliche Unwucht: Ökonomisch käme eine Realisierung des AfD-Programms vor allem einkommens- und vermögensstarken Bevölkerungsgruppen zugute – sehr viel eher dem »Mittelstand« im Sinne von »familienunternehmerisch« tätigen Multimillionär*innen als dem »Mittelstand« im Sinne von Facharbeiter*innen. Dafür sorgt insbesondere die stark regressive Steuerpolitik, aber auch Teile der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik deuten in diese Richtung. Die Partei weckt zwar rhetorisch die Erwartung, dass ihre Politik Rentner*innen, Kurzzeitarbeitslosen und Kranken, die zuvor ihre Leistungsbereitschaft gezeigt haben, eine stabile Absicherung böte. Allerdings macht sie keine relevanten Vorschläge, die die entsprechenden Sicherungssysteme wirklich stärken könnten. Bei Arbeitslosengeld und Bürgergeld sollen im Gegenteil sogar Einschnitte erfolgen, was auch die Position von Arbeitnehmer*innen verschlechtern würde.

Alleinstellungsmerkmale: Klima- und Russlandpolitik
Auf dem wirtschafts- und sozialpolitisch sehr relevanten Feld der Klima- und Energiepolitik kann die AfD zwei Alleinstellungsmerkmale bieten, die allenfalls das BSW gefährden könnte. Das erste ergibt sich aus der Leugnung des menschengemachten Klimawandels. Die anderen Bundestagsparteien unterscheiden sich zwar deutlich voneinander, wenn es darum geht, wie viel Bedeutung sie der Klimapolitik beimessen. Jedoch sind sie sich zumindest offiziell darin einig, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt, der vor allem durch die Emission von Treibhausgasen verursacht wird. Die AfD bestreitet dagegen eben dies und lehnt entsprechend alle Maßnahmen zur Begrenzung der globalen Erwärmung ab.
Das zweite Alleinstellungsmerkmal liegt auf dem Feld der Russlandpolitik: Die meisten Parteien im Bundestag sind sich seit 2022 darüber einig, dass eine Unabhängigkeit von russischem Gas unumgänglich ist, die AfD sieht das jedoch anders – ebenso wie das BSW. Auch wenn es noch gewisse innerparteiliche Konflikte darum gibt, wie nahe man Russland genau stehen möchte, bezieht die Partei als ganze die Position, dass Russland ein zuverlässiger Handelspartner sei und jegliche Sanktionspolitik beendet werden solle – vor allem, weil sie Deutschland wirtschaftlich schadet.

ABO
Das Antifa Magazin

alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.



Politisch relevant wird diese doppelte Alleinstellung, weil eine aktive Klimapolitik sowie ein Verzicht auf billiges russisches Gas kurzfristig in der Tat erhebliche negative Folgen für Wirtschaft, Wohlstand und gewohnte Formen der Lebensführung in Deutschland haben. Alle anderen Parteien müssen hier mit Zielkonflikten umgehen und politisch schwierige Abwägungen anstellen. Weil die AfD jedoch die entsprechenden Probleme schlicht verleugnet, kann sie einfach behaupten, dass es gar keine Zielkonflikte gibt. Damit kann die Partei zur routinierten politischen Mobilisierung übergehen. Die Ablehnung von Klimapolitik und Russlandsanktionen wird in das oben genannte Weltbild eingebettet und nationalistisch, populistisch sowie verschwörungsideologisch ausgedeutet: Die faulen politischen Eliten gefährdeten mit ihrer korrupten, irrationalen und ideologischen Politik den Wohlstand und das gewohnte Leben der ehrlichen »Mitte«.

Diese Positionen sind moralisch und faktisch unhaltbar. Sie basieren nicht nur auf falschen Annahmen. Eine entsprechende Politik würde bereits mittelfristig erhebliche negative Auswirkungen produzieren, die auf einen deutlich größeren Wohlstandsverlust hinausliefen, als umgekehrt ein Verzicht auf fossile Energieträger. Das heißt aber nicht, dass man bei Wahlen damit keinen Erfolg haben könnte.

Hat wer mitgezählt, wie viele Spendenskandale es mit der AfD schon gab? Scheint auch so ein deutscher Einzelfall zu sein, dass Reiche den Faschisten Geld spenden. Immer wieder. www.zdf.de/nachrichten/…

#AntifaMagazin der rechte rand (@derrechterand.bsky.social) 2025-02-19T12:20:50.696Z