Die aufgewärmte Lüge von der gestohlenen Wahl und andere Verschwörungserzählungen

von Fabian Virchow
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 211 - November | Dezember 2024

antifa Magazin der rechte rand

Donald Trump hat insbesondere in den vergangenen Tagen vielfach davon gesprochen, dass eine Niederlage bei den Wahlen am 5. November nur Ergebnis einer erneuten Wahlfälschung sein kann. Ob in Lititz (Pennsylvania), Salem (Virginia), Greensboro (North Carolina) oder in seinen Botschaften auf X oder »Truth Social« – regelmäßig behauptet er, dass die Demokraten betrügen würden, und fordert seine Anhänger*innen auf, aufmerksam zu sein und solche Fälschungen nicht zuzulassen.

Die Behauptung von der gestohlenen Wahl und aktuellen Wahlfälschungen wird von vielen extrem rechten Akteur*innen in zahlreichen Kontexten wiederholt. Nachdem YouTube im Juni 2023 entschieden hatte, der Lüge über Wahlfälschungen nicht mehr entgegenzutreten, wurde die weltweit größte Video-Plattform mit entsprechenden Videos geflutet. In einer Analyse der Forschungsgruppe Media Matters kam heraus, dass auf den dreißig wichtigsten konservativen YouTube-Kanälen, die die Falschinformation verbreiten, zwischen Mai und August 286 Videos hochgeladen wurden, die dann mehr als 43 Millionen Mal angeklickt wurden.

ABO
Das Antifa Magazin

alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.

Im Bundesstaat Pennsylvania, den wohl Kamala Harris und Trump mit Blick auf einen Gesamtsieg jeweils gewinnen müssen, ist beispielsweise Scott Presler aktiv. Er tritt besonders in Luzerne County bei den öffentlichen Sitzungen der Wahlkommission auf und unterstellt mit seinen Fragen, die Registrierung von Pro-Trump-Wähler*innen würde bewusst verzögert und Wahlunterlagen für die Briefwahl nicht ausgeliefert. Solche Positionen vertrat er auch bei Steve Bannon in dessen podcast-Sendung War Room. In Luzerne – derart im Fokus extrem rechter Aufmerksamkeit –  gibt es ernste Sicherheitsbedenken. Gegen mögliche Anschläge mit Autobomben auf das Büro der Wahlkommission wurden inzwischen massive Felsbrocken aufgestellt. Auch an zahlreichen anderen Orten sind die Maßnahmen zum Schutz von Wähler*innen, Wahlurnen und den Wahlhelfer*innen deutlich verstärkt worden, nachdem es in den letzten Monaten vermehrt Drohungen gegeben hatte.

Um verbreitetes Misstrauen zu zerstreuen, dass die Wahlurnen manipuliert werden, wird es an vielen Orten eine Liveübertragung aus dem Raum geben, in dem die Wahlurnen aufbewahrt werden. Auch deren Öffnung und die Auszählung werden kameraüberwacht.

Die Republikanische Partei gibt an, über 230.000 Personen als Wahlbeobachtende mobilisiert zu haben. Seitens der staatlichen Wahlorganisationen wird befürchtet, dass dies die Auszählung verlangsamen könnte, da dauernd wegen angeblicher Falschzählungen unterbrochen werden muss, aber auch, dass Fotos kontextlos in den digitalen Öffentlichkeiten verbreitet werden, um Stimmung zu machen. Die Trump-Partei hat sich in dieser Sache unter anderem mit der Gruppe »Election Integrity Network« zusammengetan, deren Vorsitzende Cleta Mitchell bereits 2020 am Versuch beteiligt war, Trump an der Macht zu halten.

Die Verschwörungserzählung einer erneuten Wahlfälschung wird auch von den »Proud Boys« verbreitet, die maßgeblich an der Organisation von Gewalt am 6. Januar 2021 beteiligt waren. Nach der Verurteilung einiger Führungskader hat sich die Gruppe neu organisiert. Die »Proud Boys« aus Nordphoenix haben auf der Trump-Plattform »Truth Social« ein Foto mit einem Waffenarsenal und der Botschaft verbreitet, sie seien im November bereit. Das Chapter in Ohio hat gepostet, dass man vorbereitet sei, sollte es im Falle eines Sieges von Trump zu antifaschistischen Aktionen kommen. Mindestens zwei Bundesstaaten, Nevada und Washington, haben die Nationalgarde in Alarmbereitschaft versetzt.

Am Sonntag erklärte Trump rückblickend, dass er das Weiße Haus 2020 nicht hätte verlassen sollen. Er wärmt damit jene Legende auf, die er seit Ende 2020 verbreitet und die eine der Grundlagen war, die zum Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 beigetragen haben. Trump hat erklärt, er werde das Ergebnis der Wahl nur anerkennen, sofern es eine »faire Wahl« war. Seine fortgesetzten Behauptungen, es komme zu Fälschungen, bereiten bereits die Grundlage dafür, dass er dies nicht so sieht. Im Falle eines Wahlsieges feiert er dann, dass er trotz des Betrugs gewonnen habe.

Zudem ist erneut damit zu rechnen, dass Trump sich noch vor Auszählung aller Stimmen erneut zum Wahlsieger erklären wird; zentrale Akteure aus dem Trump-Lager wie etwa Michael Flynn, der ehemalige Nationale Sicherheitsberater Trumps, hat erklärt, dass es zu Kundgebungen vor Orten der Stimmauszählung kommen wird, wenn nicht noch in der Wahlnacht ein Ergebnis feststeht. Bereits 2020 hatten in Michigan aufgebrachte Trump-Fans an die Scheiben der dortigen Kongresshalle gehämmert und ein Ende der Auszählung gefordert.

Im Wesentlichen folgt das Trump-Lager der Strategie von 2020: Beanspruche den Sieg – säe Zweifel – störe.

Die fortgesetzten Erzählungen zum angeblichen Wahlbetrug sind Teil einer viel umfassenderen Matrix an Verschwörungsbehauptungen, die über »Truth Social«und auch über X verbreitet werden. Dazu gehört ebenfalls die Behauptung, die Demokratische Partei würde das Land mit Geflüchteten fluten, um sich mit deren Stimmen an der Macht zu halten, oder dass die Berichterstattung auf die Probleme bei Boeing dadurch motiviert sei, im Interesse Chinas den heimischen Markt mit Flugzeugen aus China zu versorgen. Eine zufällig zeitgleich in den USA stattfindende sicherheitspolitische Tagung zum Umgang mit Notlagen wird von rechtsaußen als Hinweis auf eine geplante gewaltsame Machtübertragung an Harris missdeutet. Laura Loomer, eine rechte Influencerin, verbreitete diese Deutung am 19. Oktober erstmals auf X; vier Tage später gab es dazu bereits etwa 11.500 Reposts von Accounts, die zum Teil über eine Million Follower haben.

Elon Musk, der im April 2022 twitter für 44 Milliarden US-Dollar erworben und dies vor allem mit einer Free Speech-Motivation begründet hat, unterdrückt inzwischen selbst Nachrichten, die sich kritisch mit ihm oder dem Trump-Lager befassen. Zudem hat er mit »America PAC« ein Kampagnenprojekt zur Unterstützung Trumps ins Leben gerufen und mit 120 Millionen Dollar ausgestattet. Er selbst sieht sich im Falle eines Wahlsieges von Trump bereits als Chef einer neuen Behörde, die der Effizienz des Regierungshandelns verpflichtet sein soll. Und hat angekündigt, damit dann über 2 Billionen US-Dollar einsparen zu wollen – mehr als die aktuellen Ausgaben für das US-Militär, die Bildung und die Innere Sicherheit zusammengerechnet. Mit Musk und Trump haben sich tatsächlich zwei Männer gefunden, die in ihrem ich-bezogenen Größenwahn für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit toxisch sind.