Wieder ein offenes Rennen
von Fabian Virchow
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 210 - September | Oktober 2024
#USA
Am 5. November finden in den USA Wahlen statt. Neu gewählt werden alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses sowie ein Drittel der Senator*innen und Gouverneur*innen in 11 Staaten und zwei Territorien. Von größter Bedeutung ist zweifellos die Wahl des Staatsoberhaupts. Nach dem Rückzug des aktuellen US-Präsidenten Joe Biden als Kandidat der Demokratischen Partei am 21. Juli 2024 hat sich die Konstellation fundamental verändert. Nun stehen sich nicht mehr zwei Männer gegenüber, denen bereits viele Wähler*innen aufgrund deren Alters wenig abgewinnen konnten. Mit Kamala Harris hat die Demokratische Partei nun eine Kandidatin, die nicht nur im Lager der Demokratischen Partei für Enthusiasmus und hohe Bereitschaft zum Engagement sorgt. Das Trump-Lager jedoch hat auf sie bisher keine Antwort bei seiner Wahlkampfstrategie gefunden. Übrig bleiben sexistische und rassistische Pöbeleien und Verleumdungen. Die Wahl ist jedoch keineswegs entschieden.
Im US-amerikanischen System der Präsidentschaftswahl benötigt ein*e Kandidat*in mindestens 270 Stimmen der insgesamt 538 Wahlleute. Diese bilden auf der Grundlage der sich in den Bundesstaaten ergebenden Mehrheiten das ‹Electoral College›. Für zahlreiche Bundesstaaten lassen sich stabile Mehrheiten für eine der beiden großen Parteien feststellen, in anderen Staaten wird jedoch hart um den Sieg gerungen. Auf diese Swing States konzentriert sich der aktuelle Wahlkampf.
Bis zum Rückzug Bidens hat das Trump-Lager stark darauf gesetzt, das hohe Alter des US-Präsidenten als Argument zu nutzen: Dieser sei nicht mehr in der Lage, aktuell und für eine weitere Regierungsperiode die Amtsgeschäfte zu führen. Dies passt zu dem in US-Wahlkämpfen verbreiteten Ansatz, bei der Konkurrenz insbesondere jene – angeblichen – Eigenschaften zu betonen, mit denen nachgewiesen werden soll, dass die Person nicht qualifiziert, vertrauenswürdig oder stark genug ist und sich um die Interessen der Durchschnittsbevölkerung nicht schert. Eine der kommunikativen Fähigkeiten Trumps liegt in der Wiederholung von negativen Zuschreibungen, durch die sich Wähler*innen beeinflussen lassen, so etwa die wirkungsvolle Markierung Hillary Clintons im Wahlkampf 2016 als ‹korrupt› (‹crooked Hillary›).
Kampf um Unterstützung
Trump und die Republikanische Partei haben zahlreiche vermögende Unterstützer*innen, darunter auch den 81-jährigen Bank-Erben Timothy Mellon. Er hat bisher insgesamt 75 Millionen Dollar an die Unterstützer-Organisation »MAGA Inc.« gespendet; weitere 25 Millionen Dollar gingen an den Verschwörungsideologen Robert F. Kennedy Jr., der zunächst als unabhängiger Kandidat für die Präsidentschaftswahl auftrat, jüngst aber ins Trump-Lager gewechselt ist. Jeffrey S. und Janine Yass haben knapp 70 Millionen Dollar gespendet; Yass ist Gründer des Private-Equity-Giganten Susquehanna und seine wirtschaftlichen Interessen sind eng mit TikTok verflochten.
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Blickt man auf die Verwendung der für Trump 2020 eingeworbenen Gelder, so kommt der Bericht der »Federal Election Commission« zum Ergebnis, dass ein Großteil in einem schwarzen Loch verschwunden ist: Von den etwa 780 Millionen Dollar sind 516 Millionen Dollar an die Firma »American Made Media Consultants« (A.M.M.C.) geflossen. Trumps Schwiegersohn, Jared Kushner, unterzeichnete den Plan zur Gründung der A.M.M.C und Lara Trump, die Frau von Trumps Sohn Eric, wurde erste Vorsitzende des Unternehmens. Die tatsächliche Verwendung der Mittel durch A.M.M.C. sind mit ‹placed media› oder ‹SMS advertising› so unkonkret benannt, dass eine tatsächliche Rechenschaft nicht stattfindet.
J.D. Vance, der von Trump im Falle eines Wahlsieges zum Vizepräsidenten gemacht werden soll, wurde lange von Peter Thiel, Milliardär und Paypal-Gründer, gefördert – so etwa auf dem Weg zum Senator. Thiel gehört mit den Risikokapitalgebern David Sacks und Shaun Maguire zu einer Gruppe von rechten Tech-Investoren, die bereits über die Zeit von Trump hinausdenken und entsprechend Politiker*innen aufbauen und finanziell unterstützen, von denen sie sich eine Unterstützung ihrer Interessen erhoffen. Andere wie Reid Hoffman, Mitbegründer von LinkedIn, wenden sich offensiv gegen Trump, weil dessen Zerstörung von Rechtsstaatlichkeit auch unternehmerischem Handeln schade.
Auch aus dem Kulturbereich hat Trump bekannte Unterstützer – so etwa den Oscar-prämierten Schauspieler Jon Voight, den Musiker Kid Rock, den Schauspieler Scott Baio und den ehemaligen Box-Weltmeister Mike Tyson. Eine große Mehrheit derjenigen, die sich aus dem Bereich Kunst und Kultur positionieren, steht aber auf der Seite der Demokratischen Partei und setzt sich für Harris als Kandidatin ein. Der aktuelle Hype um Kamala Harris hat nicht nur dem Wahlkampf der Demokratischen Partei neuen Schwung verliehen, sondern auch das Spendenaufkommen drastisch steigen lassen. Darunter sind Großspenden, aber auch viele kleine Transfers. Die Mittel werden in erheblichem Teil dafür genutzt, in Social-Media-Aktivitäten zu investieren. Anders als noch 2016 – damals wurden vor allem Twitter und Facebook genutzt – ist die Bandbreite der Portale und Plattformen viel breiter geworden. Harris versucht, möglichst viele davon zu bedienen, während Trump vor allem seine eigene Plattform »Truth Social« nutzt – damit aber vor allem die ohnehin bereits Trump-Gläubigen erreicht. Dort und bei seinen Wahlkampfauftritten tritt er unter anderem mit Aussagen an, wonach er besser aussehe als Harris.
Kampf um Wähler*innen
Die Strategie der Demokratischen Partei hat sich mit Harris verändert: Nun geht es nicht mehr, wie noch unter Biden, darum, Trump als übergroße Gefahr darzustellen, wodurch dessen Erzählungen von seiner großen Gestaltungskraft ungewollt bestätigt wurden, sondern ihn als altbacken und nur auf den eigenen Vorteil bedacht zu bezeichnen. Harris hat zudem die Versuche intensiviert, bekannte Personen aus dem konservativen Spektrum beziehungsweis ehemalige Trump-Unterstützer*innen zu öffentlichen Anti-Trump-Äußerungen zu bewegen. Schon im vergangenen Jahr hatte es aus der Republikanischen Partei Versuche gegeben, mit Videos und Anzeigen Wähler*innen von der Wahl für Trump abzuhalten. Das messbare Ergebnis war jedoch vage geblieben. Zugleich gibt es aus dem Trump-Lager zahlreiche Versuche, mögliche Wähler*innen der Demokratischen Partei von einer Wahlteilnahme abzuhalten oder die Kontrolle auch im Falle eines Wahlsieges von Harris zu behalten. Zwei Beispiele: In Texas hat der reaktionäre Generalstaatsanwalt Ken Paxton, der sich Trumps Behauptungen einer Fälschung bei der Wahl im Jahr 2020 angeschlossen hat, eine Kampagne gestartet, die angeblich die Berechtigung zur Wahlteilnahme prüfen soll, de facto aber der Einschüchterung von Wähler*innengruppen dient, die der Demokratischen Partei zuneigen. Die »League of United Latin American Citizens«, die älteste Bürgerrechtsorganisation für Menschen aus Lateinamerika in den USA, hat Fälle gesammelt, bei denen Gruppen von bewaffneten Polizist*innen Hausdurchsuchungen bei älteren Menschen machen, die andere unterstützen, sich für die Wahlen registrieren zu lassen. In Nassau County, einer Vorortregion von New York City, hat der dortige Landrat und Trump-Anhänger Bruce Blakeman im März dazu aufgerufenn, eine Art Miliz zu bilden, die in Notfällen die Polizei verstärken könne. Obwohl Nassau County zu den Regionen der USA mit sehr niedriger Kriminalität gehört, soll privaten Waffenbesitzer*innen polizeiliche Handlungsmacht gegeben werden. Lokale Kritiker*innen sehen in der Miliz eine Verbindung zu den Ankündigungen Trumps, für den Fall eines Wahlsieges Massenabschiebungen durchzuführen und abweichende politische Meinungen zu unterdrücken.
The Day after
Auch wenn Kamala Harris in den jüngsten Umfragen deutlich zugelegt hat, ist ein Wahlerfolg im November keineswegs sicher. Bei den Wahlen im Jahr 2020 konnte Trump die absolute Zahl seiner Wähler*innen gegenüber 2016 noch steigern. Im Unterschied zu seiner ersten Regierungszeit haben inzwischen zahlreiche reaktionäre Stiftungen und extrem rechte Vereinigungen detaillierte Pläne für eine mögliche zweite Amtszeit ausgearbeitet. Am bekanntesten ist das »Project 2025«, das von der rechtskonservativen »Heritage Foundation« entwickelt wurde. Diese hat enge Verbindungen zur Republikanischen Partei. Der Plan sieht unter anderem vor, dass etwa 50.000 Bundesbeamte ersetzt werden, die als nicht folgsam während Trumps Amtszeit angesehen werden. Stattdessen soll Trump-treues Personal in großem Maßstab die Positionen übernehmen. Ein solcher Personalwechsel übersteigt bisherige Verfahren mit etwa 4.000 Wechseln um ein Mehrfaches. Zudem sieht der Plan vor, die Macht des Präsidenten auszuweiten und den Kongress zu schwächen.
Sollte Kamala Harris die Wahl gewinnen, so ist erneut damit zu rechnen, dass das Ergebnis von großen Teilen der Trump-Anhänger*innenschaft nicht akzeptiert werden wird. Selbst republikanische Mitglieder des Kongresses haben für einen solchen Fall unverhohlen mit Gewalt gedroht.