»Fahrplan der Religiösen Rechten«
Nina Rink für die Redaktion im Interview mit Annika Brockschmidt
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 192 - September | Oktober 2021
#Gotteskrieger
Am 19. Oktober 2021 erscheint Annika Brockschmidts Buch »Amerikas Gotteskrieger – Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet«. Für »der rechte rand« sprach Nina Rink mit der Autorin über ihre Recherche.
drr: Wie bist du zu dem Thema der Religiösen Rechten gekommen?
Annika Brockschmidt: Es fing vor etwa zehn Jahren als leicht bizarres Hobby oder Interesse an, weil mir das alles so fremd war und ich amerikanische Politik schon immer spannend fand. Besonders die Überschneidungen von Politik und Religion. Ich hab ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass das überhaupt breiteres Interesse auf sich ziehen würde. Auch wenn Expert*innen schon lange gewarnt haben – erst mit Trump haben sich die Leute gefragt, warum ihn zum Beispiel diese ganzen Evangelikalen gewählt haben. Das wirkt auch erst mal seltsam: Warum stehen diese super frommen Leute auf einen wie Trump, der mit seinen Frauengeschichten prahlt und nicht aus der Bibel zitieren kann? Aber wenn man dann tiefer eintaucht in die Theologie, die Strukturen, in die Geschlechterrollen, die da propagiert werden – dann ergibt das plötzlich Sinn.
Davon handelt dein Buch – wann hast du entschieden, das aufzuschreiben?
Ich wollte schon länger was dazu machen und im Sommer hat mich Rowohlt gefragt, ob ich ein Buch dazu schreiben will. Es ist deutlich länger geworden als geplant, aber mir war wichtig, nicht nur die Geschichte der Religiösen Rechten aufzuschreiben, sondern eine Landkarte, einen Fahrplan der Religiösen Rechten zu entwerfen, nach dem man sich richten kann, wenn man verstehen will, wie dieses System funktioniert. Ich glaube, ohne die Religiöse Rechte zu durchschauen, kann man nicht verstehen, was heute in der amerikanischen Politik vor sich geht.
ABO
Das Antifa Magazin
alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.
Wie bist du bei der Recherche vorgegangen?
Ich war schon gut im Thema, hab mich dann aber nochmal systematisch durch die Forschungsliteratur der letzten Jahrzehnte gearbeitet. Ich habe mit zahlreichen Historiker*innen, Soziolog*innen, Religionswissenschaftler*innen gesprochen, aber auch mit Aussteiger*innen aus der Religiösen Rechten und Aktivist*innen, die Aufklärungsarbeit betreiben. Ohne die Vorarbeit dieser Leute wäre das Buch so nicht möglich gewesen. In den letzten fünf bis zehn Jahren hat sich in der Forschung zum Thema auch viel getan: Wir haben erstmals quantitative Daten und können mit Zahlen belegen, was andere Wissenschaftler*innen seit Jahren sagen. Das hilft bei der Argumentation enorm. Ich bewege mich ja seit einigen Jahren in dem Thema, aber trotzdem gab es noch Bereiche, die mich überrascht haben.
Was zum Beispiel?
Diese Sympathie, nicht nur Trump gegenüber, sondern autoritären Herrschern im Allgemeinen. Das ist leichter zu verstehen vor dem Hintergrund der Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder, die in diesen Kreisen propagiert werden. Ich hätte zu Beginn meiner Recherche nicht gedacht, dass ich aus einem evangelikalen Eheratgeber einen Schluss zur nationalen Sicherheit des Landes ziehen könnte. Aber so ist es. Zu dem Thema war das Buch »Jesus and John Wayne« von Kristin Kobes Du Mez eine wichtige Quelle. Dort wird gezeigt, dass die Vorbilder biblischer Männlichkeit und Weiblichkeit eben keine Figuren aus der Bibel, sondern aus der Popkultur sind. Diese »Hau-Drauf-Typen«, die erst zuschlagen und später reden. Und das passt zur Rhetorik dieser hyperpotenten Typen. Der Sexualtrieb ist tatsächlich eng gekoppelt an das Verständnis von nationaler Sicherheit. Das klingt total bizarr, hat mir aber nochmal eine ganz neue Perspektive eröffnet.
Das erklärst du im Buch auch sehr anschaulich. Gab es weitere Aspekte, die du nochmal neu »entdeckt« hast?
Die Forschung von Sophie Burke James, die viel zur codierten Bedeutung von Familie gemacht hat. Was bedeutet das im Sprachgebrauch der Religiösen Rechten? Es gibt nicht verschiedene Familienmodelle, sondern die heteronormative, patriarchale Kernfamilie mit dem Mann als Oberhaupt ist gesetzt – da ist kein Platz für andere Identitäten. Das ist so wichtig, weil es das Fundament ihrer Gesellschaftsstruktur, ihrer Ideologie und ihres eigenen Entstehungsmythos ist. Rechte für Trans*-Menschen zu fordern, rüttelt an den Fundamenten und bedroht ihrer Ansicht nach ihre Existenz. Auf lokaler und Bundesstaatsebene werden gerade viele Anti-Trans*-Gesetze verabschiedet. Das ist darauf zurückzuführen. Das sind so Beispiele, wo ich es spannend fand, nochmal in die Tiefe gehen zu können.
Was eint diese ganzen Personen und Organisationen, die du beschreibst – was ist ihre gemeinsame Idee und was macht sie zur Bewegung?
Wenn wir von der amerikanischen Religiösen Rechten lesen, lesen wir meist von weißen Evangelikalen – dabei ist es eine Bewegung mit sehr unterschiedlichen Strömungen. Aber sie vereint, was man »weißen christlichen Nationalismus« nennt. Das bedeutet, dass eine amerikanische und eine erzkonservativ christliche Identität untrennbar miteinander verbunden sind. Der christliche Nationalismus teilt die amerikanische Bevölkerung in »wahre« und »falsche« Amerikaner*innen. Wichtig dabei ist, dass eine bestimmte Form des Christentums – eine erzkonservative – gemeint ist. Progressive Christ*innen gehören genauso wenig dazu wie zum Beispiel Atheist*innen. Aber: Ich würde unterscheiden zwischen den Köpfen der Bewegung, die beispielsweise auch eigene finanzielle Interessen haben und den Anhänger*innen, denen diese Dimension häufig gar nicht bewusst ist. Datenerhebungen zeigen: Christlicher Nationalismus ist ein Spektrum, wir finden ihn auch in der demokratischen Partei oder weniger konservativen Menschen. Aber dieser weiße, christliche Nationalismus ist mit ganz bestimmten Vorstellungen verbunden, was Migration, Todesstrafe, Gewaltmonopol des Staates, Rollenbilder und so weiter angeht. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Denomination (Glaubensgemeinschaft) ist nicht das Entscheidende.
Du sprichst von den »Köpfen« – wer sind denn die einflussreichsten Akteure und auf welchen Ebenen nehmen sie Einfluss?
Das Schwierige an diesem Netzwerk ist, dass es permanent in Bewegung ist. Aber wir können verschiedene Ebenen beschreiben: die legislative Ebene – wo Einfluss auf Abgeordnete ausgeübt wird, wo ihnen Modellgesetzgebungen an die Hand gegeben werden. Beispielsweise durch die »Heritage Foundation«, »ALEC« oder »Projekt Blitz«. Auf der judikativen Ebene – das Ergebnis davon sehen wir am Obersten Gerichtshof – nimmt insbesondere die »Federalist Society« Einfluss – zum Beispiel wurden die letzten drei Richter*innen auf ihre Empfehlung ernannt. Einige Organisationen sind für die Mobilisierung der Anhänger*innen zuständig, wie die »Tea Party Patriots«. Es gibt auch immer Raum für Organisationen, die bisher im Hintergrund agierten oder neu gegründet werden, das macht den Überblick so schwer. Aber die meisten der Organisationen haben über ihre Führungsebene Verbindungen zum »Council for National Policy«, der auch als Dachorganisation der Religiösen Rechten bezeichnet werden kann. Dort laufen alle Fäden zusammen. Dort treffen religiöse Fundamentalist*innen auf reiche Großspender*innen und politische Strateg*innen, knüpfen untereinander Verbindungen und pflegen Beziehungen in die höchsten Ränge der Republikanischen Partei.
Du beschreibst auch die Einflussnahme bis in die familiäre Sphäre …
Ja, beispielsweise durch den »Family Research Council«. Das ist die erste Adresse, bei der man sich als erzkonservativ christliche Familie Rat bei Ehe- oder Erziehungsproblemen holt. Die sorgen für die Verbreitung dieses konservativen, heteronormativen Familienbilds bis in die Haushalte hinein. Und es gibt im Bildungsbereich Organisationen, die Einfluss auf die Inhalte in Schulbüchern nehmen. Ein noch extremerer Teil ist die »Homeschooling«-Fraktion innerhalb der Religiösen Rechten, die die innerhalb der Bewegung verbreitete Ansicht besonders vehement vertritt, dass staatliche Bildung generell des Teufels sei. Bildung gehöre in den Schoß der Familie, weil man Kinder nur Zuhause vor dem bösen, säkularen Einfluss schützen könne. Und dort die »Kulturkämpfer« und »Gotteskrieger« – nicht meine Worte, sondern ihre – der nächsten Generation heranziehen kann. Das geht hin bis zu parallelen fundamentalistischen College- und Universitätsstrukturen.
Du hast schon Bildung, Familienbilder, Trans*feindlichkeit genannt – welche Themen der Religiösen Rechten sind anschlussfähig an Diskurse des gesellschaftlichen Mainstream?
Am einfachsten ist das zu verstehen, wenn man es im Rahmen eines »Kulturkampfes« betrachtet: Konservativen Amerikaner*innen wird vermittelt, dass sie sich in einem permanenten Kampf um die Identität des Landes befinden. Aufgeladen und ganz eng verknüpft wird das mit christlicher Ikonografie, religiösem Vokabular, oft mit Bezug auf apokalyptische Theologie. Das macht letztlich jede politische Entscheidung zu einer Entweder/Oder-Entscheidung – es gibt keine Zwischenpositionen. Ich kann für den Untergang oder die Rettung des Landes sein. Darüber erlahmt von vornherein jede Bereitschaft für eine demokratische Debatte. Praktischerweise sind die Kulturkampf-Themen flexibel: eine Zeitlang war es die »Ehe für alle«, aktuelle Themen sind beispielsweise Rechte von Trans*-Menschen, Wahlrecht, Critical Race Theory. Diese Themen werden mit Ängsten verknüpft – zum Beispiel »Trans*-Menschen wollen eure Kinder missbrauchen« (natürlich völliger Quatsch) und dienen dazu, starke Ablehnung zu generieren. Damit wird die Wut der Basis aufrechterhalten, das Gefühl eines permanenten Belagerungszustandes vermittelt. Das hilft beim Durchsetzen der politischen Ziele der Bewegung. Und – das wird oft vergessen – es bringt Menschen dazu, gegen ihre eigenen finanziellen Interessen zu stimmen. Auch hier sieht man die Verbindung von Superreichen, extrem Libertären und christlichen Nationalist*innen.
Wie verbreiten sie ihre Ideen?
Das wird möglich durch eigene Medienimperien, die in einigen Regionen mittlerweile ein Nachrichtenmonopol haben. Radio wird als Medium oft vergessen. Realität ist, dass viele Pendler*innen täglich im Auto Radio hören. Durch die Krise des Lokaljournalismus ist in ganzen Landstrichen ein Informationsvakuum entstanden, das diese christlichen Medienimperien füllen konnten. So haben sich weitgehend unter dem Radar besonders in der Mitte des Landes Millionen Menschen durch Radiosendungen radikalisiert. »Fox News« ist den meisten noch ein Begriff – aber die Namen dieser christlichen Medienimperien kennen viele gar nicht. Die fielen auch den meisten Journalist*innen erst auf, als sie unter Trump massenhaft Akkreditierungen fürs Weiße Haus bekamen. Dieses abgeschlossene Mediennetzwerk sorgt dafür, dass 24/7 Desinformation in amerikanische Haushalte gespült wird. Im Gegensatz zu »regulären« Medien mit immer dem gleichen Messaging. Es geht um die Vermittlung bestimmter Inhalte, nicht um die Diskussion von Inhalten.
Also journalistische Kriterien werden da nicht eingehalten …
Auf gar keinen Fall! Es ist auch müßig, sich darüber aufzuregen, denn das ist gar nicht ihr Auftrag. Diese Medien wurden gegründet, um eine Plattform für fundamentalistische Inhalte zu bieten.
Das bietet ja Stoff für ein eigenes Buch! Aber wir wollten noch über den »Sturm aufs Capitol« reden – was bedeutete dieses Ereignis für die Bewegung und welche Strahlkraft hatte es über die USA hinaus?
Anfangs waren sich die Führungsfiguren der Religiösen Rechten, aber auch in der Republikanischen Partei unsicher, was sie damit anfangen sollen. Man hatte das Gefühl – zumindest in der Außenwirkung – dass sie davon überrumpelt wurden. In meinem Buch zeige ich aber, dass bestimmte Organisationen, von denen wir hier schon ein paar angesprochen haben, wahrscheinlich an der Planung im Vorhinein beteiligt waren. Wichtig ist, dass – auch wenn dieses Ereignis zahlreiche Politikjournalist*innen auch hier noch überrascht hat – dieser Angriff abzusehen war. Viele amerikanische Historiker*innen und andere Expert*innen warnen seit Jahren davor, dass die Sprache sich radikalisiert und das ein Ergebnis ist.
Warum wurden die warnenden Stimmen nicht gehört und die Gefahr so unterschätzt?
Da kommen einige Sachen zusammen: Einerseits hat es damit zu tun, dass man diese religiösen Fundamentalist*innen nicht ernst genommen hat. Weil sie auf Außenstehende teilweise so albern wirken und die politische Dimension oft ausgeblendet wird. Andererseits: Es gab ja durchaus Reaktionen auf die Warnungen. Da hieß es dann: »Oh, das ist ja Verschwörungs-Gedöns, wenn ihr sagt, die wollen alle Ebenen der Gesellschaft infiltrieren! Seid mal nicht so hysterisch!« Aber das ist halt tatsächlich ihre Ideologie. Es ist ganz offensichtlich und passiert bis auf wenige Organisationen auch nicht versteckt. Die Texte, auf die ich mich im Buch beziehe, kann jeder nachlesen. Man wollte es halt nicht machen oder hat, wie bei Trump, gesagt: »Das sagt der jetzt nur so. Das ist nur Rhetorik für die Basis.« Und hier sehen wir das Problem, das wir überall mit Rechten haben: Dass man ihnen nicht glaubt, was sie sagen. Auch wenn sie sehr deutlich sagen, was sie wollen.
Wer hält dagegen?
Es gibt auch Widerstand, so ist es nicht. Dagegen halten Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen auf lokaler Ebene und einige engagierte Politiker*innen und Journalist*innen, aber man kann auf Bundesstaatsebene so viel organisieren, wie man will – ohne Rückendeckung aus Washington, von der Demokratischen Partei, wird es nicht gehen. Deswegen auch für die Zukunft: Man kann dieses System der Religiösen Rechten nicht durch eine hohe Wahlbeteiligung schlagen. Ohne Reformen, zum Beispiel des Wahlrechts, sieht es für die amerikanische Demokratie wahrscheinlich ziemlich düster aus.
Da sind wir schon bei der Prognose für die Zukunft. Trump soll 2024 wieder antreten – was bedeutet das?
Das ist auch so ein Trick der Religiösen Rechten – denen ist relativ egal, wer kandidiert. Solange er ihre Agenda durchdrückt. Trump war sicher nicht der Liebling der Führungsriege der Religiösen Rechten, doch die Basis fand ihn großartig. Viel wichtiger als die Frage, wer kandidiert, sind momentan die Vorbereitungen der Republikaner landesweit, die Wahl 2024, sollten sie diese verlieren, »legal zu stehlen« – durch Schlupflöcher in der Gesetzgebung. Wir sehen außerdem auf Bundesstaatsebene die Verabschiedung zahlreicher christlich-nationalistischer Gesetze. Wahlrechtsbeschränkungen werden durchgesetzt, die vor allem PoC betreffen. »Memory Laws« werden verabschiedet, wie in autokratischen Staaten, mit denen verhindert wird, dass man im Geschichtsunterricht über die rassistische Vergangenheit des Landes sprechen darf. Gesetze, die Geldflüsse in dieses Netzwerk der Religiösen Rechten erleichtern. Es ist gerade einiges im Gange. Und das konnte so weit kommen, weil man sehr lange nicht begriffen hat, dass die Religiöse Rechte in Jahrzehnten und in Jahrhunderten denkt. Eine verlorene Wahl dürfte die letzten Endes wenig jucken.
Können sie dabei auch auf Verbindungen zu internationalen Unterstützer*innen-Netzwerken bauen?
Die Organisationen der Religiösen Rechten sind international vernetzt. Eine der wichtigsten Treffpunkte für die internationale Religiöse Rechte ist der »World Congress of Families«. Diese internationale Vernetzung kommt von dem Anspruch, nicht nur Amerika »für Gott zurückzugewinnen«, sondern die ganze Welt. Und deswegen ist die Religiöse Rechte in diversen Ländern eben nicht nur national aktiv, sondern hat – das gilt auch für die deutsche Religiöse Rechte – gute internationale Kontakte.
Wie sieht es in Deutschland aus?
Wir haben hierzulande eine Religiöse Rechte, aber nicht so einflussreich und offen etabliert wie in den USA. Trotzdem ist es auch bei uns so, dass die Religiöse Rechte Beziehungen bis in die Parteien, vor allem AfD, aber auch CDU, hat. Auch wir haben Think Tanks und Organisationen, die eine »Light-Variante« dessen sind, was wir in den USA sehen. Damit meine ich nicht, dass sie harmlosere Ziele haben, sondern einfach keine so ausgefeilte Infrastruktur haben. Wir sehen auch hier: Es gibt zum Beispiel die »Demo für alle«, die Kontakte sowohl in die Religiöse als auch in die politische Rechte haben. Wo sich selbsternannte Lebensschützer*innen zusammen mit Personen aus dem Umfeld der AfD, aber eben auch der Religiösen Rechten treffen. Also da gibt es durchaus Überschneidungen.
Vielen Dank für das Gespräch!