Zeit sich gegenseitig zu unterstützen

von Maica Vierkant
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 209 - Juli | August 2024

Nach den Kommunalwahlen in Brandenburg stellen sich viele Aktive die Frage, wie es mit Blick auf die Landtagswahl nun weitergehen muss.

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© Aktionsbündnis Brandenburg

Es regnet in Strömen, eine Woche vor der Kommunal- und Europawahl in Cottbus im Süden von Brandenburg. Wochenlang hatte sich das »Bündnis unteilbar Südbrandenburg« auf diesen Tag vorbereitet, neben einer Sterndemonstration war die längste Kuchentafel der Lausitz angekündigt worden. Auch das bundesweite Bündnis »Rechtsextremismus stoppen – Demokratie verteidigen« hatte sich an der Mobilisierung beteiligt. Trotz des Wetters kommen knapp 500 Menschen an diesem Tag nach Cottbus, durch einen Wetterumschwung kann später auch das Kuchenessen im Park wie geplant stattfinden. »Das lief alles ganz gut«, sagt Pauline vom »Bündnis unteilbar Südbrandenburg« und bezieht sich damit nicht nur auf die Demo, sondern auch auf kleinere und gezielte Gesprächsformate in den Wochen davor. Trotzdem ist das Leuchten in den Augen, das im Frühjahr noch da war, deutlich schwächer geworden. Denn im Januar waren es nicht 500, sondern 5.000 Menschen, die nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche in Cottbus auf die Straße gingen. Es war eine der größten Demonstrationen in Brandenburg, nur in Potsdam kamen Mitte Januar mehr Menschen zusammen, um gegen rechts zu demonstrieren.


Das Aktionsbündnis Brandenburg hat die vielen Demonstrationen und Kundgebungen in den ersten Monaten des Jahres gezählt und kommt auf etwa 100 Versammlungen mit insgesamt deutlich über 50.000 Menschen. Das ist für Brandenburg mehr als beachtlich. Aber, so sagt auch Robin vom Aktionsbündnis »Weltoffenes Werder«: »Die Beteiligung hat nach den starken Resonanzen im Frühjahr sehr stark nachgelassen.« Nach der Correctiv-Recherche habe es selbst im beschaulichen Werder an der Havel über 100 Leute gegeben, die aktiv werden wollten. »Aber jetzt sind es wieder nur einige wenige, die sich engagieren.«

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Es ist eine Stimmung, die bei vielen Aktiven in Brandenburg deutlich zu spüren ist: Der Schwung der ersten Monate hielt zwar – wenn auch mit rückläufigen Zahlen – bis zur Kommunal- und Europawahl an. In Neuruppin im Nordwesten gab es sogar durchgehend einmal im Monat eine Demonstration. Aber nach der Wahl stellen sich nun viele die Frage, was das Engagement der letzten Zeit überhaupt gebracht hat. Robin bezeichnet es als eine Mischung aus Schock, Resignation und Trotz. Viele hatten gehofft, die Menschen würden doch nicht so wählen, wie es die Umfragen vermuten ließen. Hinzu kommt die Frage, was die vielen Demonstrationen nun eigentlich ausrichten konnten. Das ist freilich etwas, was sich kaum messen lässt und vielleicht liegt die Wirkung der Proteste auch gar nicht in den Wahlergebnissen, sondern in der Stärkung jener, die sich der extremen Rechten und Rassismus entgegenstellen. Sie haben in den letzten Monaten erlebt, dass sie eben nicht alleine sind, dass es viele andere gibt, die sich auch für eine offene Gesellschaft einsetzen. Zahlreiche neue Initiativen sind entstanden, überall gab es kleinere und größere Vernetzungstreffen, neue Kontakte wurden geknüpft. Trotzdem sagt auch Pauline: »Wir müssen uns erstmal neu sortieren und unsere Ziele nochmal schärfen.« Viel Zeit bleibt dafür nicht: Die Sommerferien enden in Brandenburg zum 2. September, am 22. September wird gewählt.

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© unteilbar Südbrandenburg

Flächendeckender Erfolg für die AfD
Bei den Kommunalwahlen im Juni ist die AfD von den 14 Landkreisen nur in Potsdam-Mittelmark nicht stärkste Kraft geworden, dieser Landkreis ging an die CDU. In den vier kreisfreien Städten ist es ähnlich: Nur in Potsdam konnte sich die SPD durchsetzen. Hier kommt die AfD darüber hinaus auf ihr schlechtestes Ergebnis in Brandenburg und bleibt unter 20 Prozent. In vier Landkreisen hingegen sitzt sie nun mit deutlich über 30 Prozent in den Kreistagen, in Spree-Neiße sind es knapp 39 Prozent. Flächendeckend konnte die AfD die Zahl der Mandate auf 1.113 verdoppeln, von denen sie 1.036 besetzen wird – 2019 waren es 523.

Die Auswirkungen sind momentan noch nicht in Gänze abschätzbar. Die Erfahrungen der letzten Jahre in den kommunalen Vertretungen versprechen indes wenig Gutes. Man könnte es als Dreiklang aus Blockadehaltung, Provokation und mangelndem Sachverstand umschreiben – eine Strategie, die sich für die AfD durchaus als erfolgreich herausgestellt hat. Entsprechend spürbar ist die Verunsicherung unter den vielen Engagierten im Land. Hier wird es in der nächsten Zeit vor allem wichtig sein, in der Vermittlung eine gute Balance zu finden: Denn einerseits ist es absolut notwendig, sich auf das, was kommen kann, gut vorzubereiten. Aber andererseits darf die Drohkulisse AfD nicht dazu führen, sich im Engagement gegen rechts selbst zu blockieren – sei es aus Angst vor Anfeindungen oder wegen der Befürchtung, durch kritische Äußerungen die eigene Förderung zu riskieren. Auch wenn der Weg noch steiniger wird, wäre umdrehen momentan die schlechteste aller Optionen.

Wenige Tage vor der Demonstration in Cottbus wurde das Regenbogenkombinat, Treffpunkt für die Queer-Szene der Stadt, mit extrem rechten Parolen beschmiert. Zur selben Zeit tauchten auch am JugendWohnProjekt Mittendrin (JWP) in Neuruppin Hakenkreuze auf – es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass das Projekt Ziel von Angriffen wurde. »Die Stimmung bei uns ist angespannt, die Nazis trauen sich mehr«, berichtet Jan Henning vom Mittendrin. »Wir gehen davon aus, dass die Angriffe von rechts zunehmen werden.«

Obwohl es in Brandenburg auch verstärkt Anfeindungen gegen LGBTIQ+ Personen gibt, nimmt die Zahl der CSDs in den letzten zwei Jahren merklich zu. In Rheinsberg, knapp 30 Kilometer von Neuruppin entfernt, waren es Anfang Juni beim CSD 400 Menschen – bei knapp 8.000 Einwohner*innen. Mehr als zehn CSDs sind in diesem Jahr in Brandenburg geplant.

Die Normalisierung treibt ihre Blüten
Zwei Wochen nach den Kommunalwahlen landet eine extrem rechte Partei, welche die meisten schon fast vergessen hatten, einen Medienkracher: »Die Heimat«, früher besser bekannt als NPD. Zwei Mandate konnte sie in ganz Brandenburg erringen: in Oder-Spree durch den Landesvorsitzenden und Bundesgeschäftsführer und in Oberspreewald-Lausitz durch ein weiteres Bundesvorstandsmitglied. Auch wenn sie damit vor der Partei »Der III. Weg« liegt, die ein Mandat in der Prignitz ergattern konnte, ist es für die Ex-NPD eigentlich ein weiterer Schritt in die Bedeutungslosigkeit. Doch dann konnte die Partei verkünden, dass es in der Stadtverordnetenversammlung Lauchhammer künftig eine gemeinsame Fraktion mit dem Namen »AfDplus« geben werde, während im Kreistag die Fraktion »Heimat & Zukunft« gebildet werde. Zwar handelt es sich bei beiden Fraktionen lediglich um drei Personen und damit nicht um die gesamte dortige AfD-Fraktion. Brandenburgs AfD-Chef René Springer hat bereits Parteiausschlussverfahren gegen die AfD-Abtrünnigen eingeleitet, aber es zeigt doch, wie wenig Berührungsängste es hier mittlerweile zu geben scheint – zumal für Springer strategische Überlegungen eine größere Rolle gespielt haben dürften als inhaltliche Abgrenzungsbemühungen.
Die Normalisierung extrem rechter Personen und Positionen kennt viele Varianten und zeigt selbst bei jenen Effekte, die sich täglich gegen rechts engagieren. Da fühlt es sich schon fast wie ein Erfolg an, dass es in Brandenburg bislang noch keine Bürgermeister*innen oder Landrät*innen der AfD gibt. Am 9. Juni wurde der Bürgermeister von Werneuchen mit 73 Prozent der Stimmen abgewählt. Am selben Tag wurde die AfD in der Stadtverordnetenversammlung stärkste Fraktion, deren Kandidat für das Amt des Bürgermeisters erzielte mit Abstand das beste Einzelergebnis. Die Bürgermeister*innenwahl findet nun parallel zur Landtagswahl im September statt. Es wäre also wichtig, sich in die öffentliche Diskussion einzumischen und der AfD hier nicht das Feld zu überlassen. In Werneuchen werden momentan Stimmen laut, die sich gegen eine Unterbringung von Geflüchteten richten. Bisher wohnen hier keine, aber der Landkreis Barnim prüft, ob es in der Stadt geeignete Objekte zur Unterbringung gibt. Es wird entscheidend sein, jeder rassistischen Stimmungsmache sofort und vehement zu widersprechen.

Die rassistische Stimmung durch die aktuelle Debatte um Geflüchtete sieht auch Pauline von »unteilbar Südbrandenburg« als Problem. Denn es sind eben auch immer wieder Politiker*innen demokratischer Parteien, die rassistische Ressentiments bedienen oder sich durch rassistische Argumentationen Zuspruch erhoffen. »Das macht die Engagierten wütend, weil man selbst nicht mehr weiß, wer eigentlich die Verbündeten sind.« Dabei sind gerade jetzt Netzwerke so wichtig. Jan Henning aus Neuruppin zum Beispiel wünscht sich, dass Leute einfach mal im JWP Mittendrin vorbeikommen, vielleicht auch mal bei einer Baumaßnahme mithelfen, um das Gebäude besser abzusichern. Pauline aus Cottbus schlägt Kooperationen auf Augenhöhe vor, zum Beispiel zwischen Berlin und Cottbus, die eine kontinuierliche statt aktionsorientierte Zusammenarbeit ermöglichen. Erste Ansätze gibt es in manchen Orten Brandenburgs bereits, und viele Menschen – vor allem aus Westdeutschland – fragen, wie sie unterstützen können. Das ist gar nicht immer leicht zu beantworten, aber es ist die richtige Zeit, um neue Wege auszuprobieren. Einig sind sich Pauline und Robin aus Werder, dass es eine kontinuierliche und vor allem gesicherte Finanzierung von Demokratiearbeit vor Ort geben muss. Damit sprechen beide eine Sorge an, die wohl nicht nur in Brandenburg allgegenwärtig ist: die Sorge, dass Förderungen wegbrechen oder auch, dass Geld nicht dort ankommt, wo es gebraucht wird.


Bis zu den Landtagswahlen wird in Brandenburg noch einiges passieren. Es gibt die Kampagne »Rechts zieht Gräben. Wir bauen Brücken«, die sich als Brandenburger Ableger vom Bündnis »Hand in Hand« versteht. Die Kampagne »Uns kriegt ihr nicht klein! – Solidarisch in Brandenburg« möchte die Sichtbarkeit all jener erhöhen, die dazu beitragen, unsere Gesellschaft lebenswert zu gestalten. Den Aufruf von »Brandenburg zeigt Haltung« für Demokratie und Zusammenhalt haben bislang über 430 Organisationen aus ganz Brandenburg unterzeichnet. Und es gibt die Kampagne »Wir machen’s wirklich! Ein solidarisches Brandenburg für alle«, die vom Aktionsbündnis Brandenburg initiiert wurde. Hier geht es vor allem darum, die vielen Aktiven in Brandenburg in ihrem Engagement gegen rechts zu stärken und weitere Menschen dazu zu motivieren mitzumachen. Und es geht darum, neue Verbindungen zu schaffen und sich gegenseitig zu unterstützen. Das werden wir brauchen. Auch nach der Landtagswahl.

Maica Vierkant arbeitet beim Aktionsbündnis Brandenburg.