»Cicero«

von Charles Paresse
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 172 - Mai 2018

#RechteFeinkost

Das Bürgertum driftet – und »Cicero« driftet mit. Das Magazin streut unter »Topentscheidern« und in der »diskursoffenen« Mitte rechtes Denken.

Magazin der rechte rand Ausgabe 172

© Archiv »der rechte rand«

»Cicero« kokettiert mit einer liberal-konservativen Linie. Eine Zeitschrift für das Bürgertum. Kein klassisches Politikmagazin und kein Coffe-Table-Mag, irgendwas dazwischen. Hier war immer auch Platz für abweichende Meinungen, mal links, mal rechts. »Cicero hat einen Standpunkt, lässt aber auch davon abweichende Standpunkte zu: Denn das ist Debatte. Nicht immer nur die Bestätigung der eigenen Meinung, sondern die eigene Meinung immer wieder anhand einer klugen anderen zu überprüfen«, schreibt das Blatt.
Doch die Zweifel mehren sich. Der neue Standpunkt wird offenbar klarer. Schon im Sommer 2016 schrieb die »taz« von einem »Rechtsruck« (02.07.2016). Seit dem gestiegenen Zuzug von Geflüchteten 2015 würden sich die Texte »dem rechten Rand« nähern. Rechte Kritik an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei zum Grundrauschen im Blatt, liberale Stimmen weniger geworden. Die Obsessionen: Merkel, Flüchtlinge, Islam und linke Eliten gegen das Volk.

»AfD-Gedankengut«
Im Frühjahr 2017 schaute »Journalist«, das Magazin des »Deutschen Journalisten-Verbandes«, genauer hin: »Im Cicero, so bekommt man den Eindruck, wird AfD-Gedankengut so elegant verpackt, dass es beim ersten Hinhören gutbürgerlich klingt« (Nr. 4/2017). Doch die April-Ausgabe 2018 ließ nun an Deutlichkeit kaum zu wünschen übrig. Der Bundestagsabgeordnete der »Alternative für Deutschland« (AfD) und Vordenker seiner Partei, Marc Jongen, besprach darin ein Buch. Welches, das ist eigentlich egal – auch wenn er natürlich einen politischen Punkt setzen wollte. In seiner Besprechung von »Trump and a Post-Truth World« des esoterischer Philosophen Ken Wilber interpretiere er Trumps Wahl als »List der evolutionären Vernunft« und Antwort auf »einer der Dekadenz verfallenen Entwicklungsstufe der Menschheit«. Aber wichtiger als die Frage, ob Trump-Versteher-Esoterik und die Klage gegen das »Zwangskorsett politischer Korrektheit« nun wirklich jene »kluge« Meinung sei, die »Cicero« hochhält, ist die Funktion des Artikels. Der AfD-Politiker wird als Teil des bürgerlichen Diskurses aufgebaut: Normale Meinung, normaler Diskussionspartner.
Im gleichen Heft wurde zudem die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar auf zehn Seiten porträtiert – große Fotos und der Alltag einer Politikerin. Erkenntnisgewinn? Fast keiner, außer: »Einfache Schmalzstullen gibt es bei der AfD-Veranstaltung in Kaufungen – als Beleg dafür, wie sparsam die Partei ist.« Also alles normal. Gleich dahinter ein freundliches Porträt des Thüringer CDU-Chefs Mike Mohring, der 2014 mit der AfD liebäugelte und gern am rechten Rand schnüffelt, gefolgt von einem verstörenden Text über Ungarns rechten Regierungschef Viktor Orbán. »Erfahren« sei er, eigentlich ein »Liberaler« und habe früh das »Bürgerliche« betont. Die Gründung seiner Partei ein »Bravourstück«. Die Pressefreiheit im Land? »Unangetastet«. Korruption? Bloß eine »Neigung, sich auf verlässliche Freunde zu stützen«. Und die Ablehnung von Geflüchteten? »Er verabscheut Dinge, die nicht funktionieren. Deswegen mochte er den Kommunismus nicht. Deswegen mag er heute die europäische Flüchtlingspolitik nicht.« Orbán habe »dem Land geholfen«, heißt es in »Cicero«.
Und Alexander Grau bringt den LeserInnen des Blattes die Thesen aus Oswald Spenglers Buch »Untergang des Abendlandes« nahe, ein wichtiges Werk für die »Konservative Revolution« der Zwischenkriegszeit und die »Neue Rechte«. Spengler Überlegungen seien »hochaktuell«, »eine Mahnung« und »bemerkenswert«. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wegbereiter des Faschismus ist das nicht, so kommt der Text Werbung gleich. Schließlich klärt noch die Schriftstellerin Monika Maron darüber auf, warum die Distanzierung des Suhrkamp Verlags von seinem Autor Uwe Tellkamp »Verrat« sei, nachdem er im März 2018 auf einem Podium in Dresden PEGIDA-taugliche Thesen vertreten hatte. Wer braucht angesichts dieser Themen und Thesen im »Cicero« noch »Cato« oder die »Junge Freiheit« (JF)?

Dammbruch
67.877 Exemplare verkauft »Cicero« monatlich. Zudem wird sie an gut 3.000 Abgeordnete aus Bundestag und Landtagen sowie an etwa 1.200 »Führungskräfte« aus Wirtschaft und Kultur verschickt. »Cicero« wirbt: »Top-Entscheider« und eine »diskursoffene Zielgruppe« lesen das Blatt, die »Feinkost-Klientel des Printjournalismus«.
»Cicero« ist kein rechtes Projekt. Das Magazin ist nicht mit »Cato« oder der JF vergleichbar. Neben politisch neutralen oder liberalen Texten erscheinen auch differenzierte Betrachtungen. Doch der »Cicero« dürfte für den Rechtsruck mehr leisten, als es explizit rechte Blätter können. Denn es holt rechte Debatten als gleichberechtigte Positionen ins Heft – unauffällig sickern sie so in die Gesellschaft ein, gelten als normal. Für eine Analyse des Bürgertums auf dem Weg nach rechts bietet sich die Wandlung des Blattes an. In einer Rückbetrachtung, wie der Dammbruch geschehen konnte, wird »Cicero« eine Rolle spielen.