Und wieder mal Neukölln

von Sven Kames
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 166 - Mai 2017

Revival der militanten Anti-Antifa? In Berlin gibt es eine Serie von Anschlägen auf Alternativprojekte und Autos und Wohnungen von Linken. Das Vorgehen erinnert an ähnliche Vorfälle vor einigen Jahren.

der rechte rand Ausgabe 166 - Mai 2017

< Berlin-Neukölln – Neonazisprüche in 2017

»Rote Drecksau« prangt in riesigen Lettern auf der Fassade eines Mietshauses in Berlin-Neukölln. Daneben ist der Name eines Hausbewohners gesprayt, das Klingelschild mit roter Farbe markiert. Die Botschaft dieser Drohaktion im Februar ist klar: »Pass bloß auf, wir wissen, wo du wohnst!« Solche Sprühaktionen hat es seit dem Jahresende 2016 in mehreren Wellen in Berlin gegeben. Meist traf es Häuser im Stadtteil Neukölln, manchmal auch im Wedding, in Schöneberg oder in Kreuzberg. Das Muster der nächtlichen Aktionen ähnelt sich genauso wie die Wortwahl und die Schriftbilder.
Doch diese Drohgebärden gehören zu den harmloseren Taten, die derzeit von Neonazis in Neukölln begangen werden. Deutlich beunruhigender als die Sprühereien sind die Brandstiftungen und weitere schwerwiegende Angriffe. So wurde im Februar das Auto einer gegen Rechts engagierten Historikerin in Brand gesteckt und brannte aus. Ähnliches ereignete sich Mitte Januar: Nachts wurde das Auto einer antifaschistisch aktiven Neuköllner SPD-Abgeordneten angezündet. Ebenfalls im Januar gab es einen Brandanschlag auf das Auto eines Buchhändlers. In der gleichen Nacht brannte das Auto eines gegen Neonazis aktiven Gewerkschafters.
Mitte Dezember 2016 gab es in ein und derselben Nacht gleich drei Anschläge. Auf ein linkes Kollektivcafé wurde ein Brandanschlag verübt. Der Brandsatz war unter einem aufgebrochenen Rollladen deponiert worden. NachbarInnen löschten das Feuer. Hätte es sich ausgebreitet, hätte Lebensgefahr für die rund 50 HausbewohnerInnen bestanden. Weiterhin wurde an der Wohnung eines Antifaschisten mit einem Stein das Fenster zerschmettert und ein mit Farbe gefüllter Glasbehälter in den Raum geworfen. Bereits im Juli war das Auto des Mannes angezündet worden. Auch wurden die Schaufensterscheiben einer Buchhandlung im Neuköllner Ortsteil Rudow eingeworfen. Dort hatte zuvor eine AfD-kritische Veranstaltung stattgefunden. Der Betreiber des Buchladens ist der Mann, dessen Auto im Januar angezündet wurde. Auf dem benachbarten Gelände einer evangelischen Kirchengemeinde wurde ein Transparent gegen Rechtsextremismus zerstört. Kurz vor Weihnachten griffen Neonazis eine andere Privatwohnung an. Mehrere Fenster wurden eingeworfen und zwei Räume verwüstet. Zum Zeitpunkt der Tat hielten sich zwei Erwachsene und zwei Kinder in der Wohnung auf. Im Oktober 2016 wurde ein Brandanschlag auf das Auto der Geschäftsführerin des Neuköllner Anton-Schmaus-Hauses der Jugendorganisation »Die Falken« verübt.

»Kameradschaft«droht auf Facebook
Die Attacken kommen nicht aus dem Nichts: Erst im August hatten die »Freien Kräfte Berlin Neukölln« auf ihrer Facebook-Seite eine Karte mit den Adressen linker Einrichtungen veröffentlicht. Dazu gab es den Hinweis: »Damit jeder weiß, wo der Feind ist und wo er seine Räumlichkeiten hat.« Das Alternativcafé, gegen das sich einer der späteren Brandanschläge richtete, war in dieser Feindaufstellung gelistet. Im November legten die »Freien Kräfte Berlin Neukölln« mit einer weiteren Karte nach. Am Jahrestag der Reichspogromnacht wurde bei Facebook eine Liste mit Adressen von fast 70 jüdischen Einrichtungen in Berlin veröffentlicht. Die Karte war mit dem in Frakturschrift gesetzten Hinweis »Juden unter uns!« versehen. Eine dritte Karte listete die Adressen von Flüchtlingsunterkünften.
Gegen die Brandanschläge und als Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen richteten sich mehrere antifaschistische Kundgebungen. Im Dezember demonstrierten in Neukölln rund 1.200 Menschen gegen die rechte Gewalt.
Die meisten der von Wohnhaus-Schmierereien betroffenen Personen hatten zuvor nicht im Fokus von Neonaziangriffen gestanden. Darauf weist die »Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin« (MBR) hin, die Informationen zu den Fällen sammelt und Betroffene unterstützt. Es wirke so, als verwendeten die Neonazis eine Liste von Adressen, an die sie auf bisher ungeklärtem Weg gekommen seien, meint dazu die MBR.

Ähnliche Serie bereits vor Jahren
Indes erinnert die aktuelle Serie von Neonazigewalt an ähnliche Vorfälle, die sich von 2009 bis 2013 in Berlin ereigneten. Damals konzentrierten sich die Angriffe ebenfalls auf Neukölln, teilweise fanden sie im benachbarten Kreuzberg statt. Negativer Höhepunkt war die Nacht vom 26. auf den 27. Juni 2011, in der insgesamt fünf Brandstiftungen verübt wurden. Das Anton-Schmaus-Haus, ein vom Jugendverband »Die Falken« betriebener Jugendklub, wurde mehrfach attackiert, unter anderem durch zwei schwere Brandanschläge. In der Nacht vor einem dieser Anschläge hatte eine Kindergruppe in dem Haus übernachtet. Im Mai 2011 scheiterte ein konspirativ organisierter Neonazi-Aufmarsch, der durch Kreuzberg führen sollte. Spontan versammelten sich Hunderte Menschen und blockierten die knapp 120 Rechten.
Wie jetzt gingen den Angriffen Drohungen und die Veröffentlichung von Adressenlisten voraus. Über mehrere Jahre wurden auf einer Internetseite des »Nationalen Widerstandes Berlin« Linke und vermeintlich Linke mit Namen, Fotos und teilweise auch Adressen aufgeführt. Dazu gab es eine Liste mit Adressen und Bildern von »Linken Läden«. Etliche dieser Einrichtungen wurden Ziel von Brandanschlägen und anderen Angriffen.
Der »Nationale Widerstand Berlin«, ein Label mit Traditionslinie zur 2005 verbotenen »Kameradschaft Tor«, diente sich über seine Internetseite als Vernetzungsplattform für »Autonome Nationalisten« in Berlin an. Obwohl bekannte Neonazis wie der zeitweilige NPD-Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke mit dem »Nationalen Widerstand Berlin« in Verbindung standen, stellte die Polizei lange Zeit keine ernsthaften Ermittlungen an. 2012 erst erfolgte eine Hausdurchsuchung bei Schmidtke wegen des Verdachts, Betreiber der Internetseite zu sein. Im Dezember 2012 wurde die Seite abgeschaltet. Nach vier Jahren Ermittlungen gab die Berliner Staatsanwaltschaft im April 2016 die Einstellung des Verfahrens in Zusammenhang mit der Internetseite gegen die meisten der Verdächtigen bekannt. Alle stammen aus dem in Berlin eng verquickten Milieu von »Autonomen Nationalisten«und NPD.
In anderer Sache saß ein Weggefährte von Schmidtke mit diesem zusammen auf der Anklagebank: der ehemalige NPD-Vorsitzende von Neukölln, Sebastian Thom. Der Neonazi war bis Mai 2016 inhaftiert gewesen, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung. Die »Bild«-Zeitung nannte es in ihrer Lokalausgabe »auffällig«, dass die neue Anschlagsserie kurz nach dessen Haftentlassung begann.
»Neukölln« fungiert in bundesweiten rassistischen Debatten bekanntlich als Chiffre für das, was in der Bundesrepublik vermeintlich schief läuft und mit weiteren Schlagworten verknüpft wird: »Überfremdung«, »kriminelle Ausländer«, »Volkstod«. Insofern ist bemerkenswert, dass die Anschlagsserien der dortigen Neonazis vorrangig nicht auf die so umrissenen Ziele abstellen, sondern eher der »Anti-Antifa«-Kampagne verpflichtet scheinen. Vorrangig trifft es die »Roten«– als »linksextrem« angesehene weiße Deutsche. Allerdings gab es auch immer wieder rassistische Angriffe. Der Neonazi Harald B., der im Herbst den Wahlkampf der Neuköllner NPD unterstützt hatte, war etwa 2014 zu einer Geldstrafe verurteilt worden, nachdem er mit einem Mittäter einen Schweinekopf-Anschlag auf die Neuköllner ?ehitlik-Moschee verübt hatte.
Keine klar nachvollziehbare Verknüpfung zum organisierten Neonazismus, aber sehr wohl zu entsprechenden Einstellungen haben derweil zwei Mordfälle, die sich in Neukölln in den vergangenen Jahren ereigneten. Im April 2012 schoss ein Mann auf eine Gruppe von fünf jungen Migranten vor dem Krankenhaus im Ortsteil Buckow. Der 22-jährige Burak Bekta? verstarb, zwei seiner Freunde wurden schwer verletzt. Im September 2015 wurde der weiße Brite Luke Holland vor einer Kneipe in Neukölln mit einem Schrotgewehr erschossen. 2016 wurde der Täter Rolf Z. zu elfeinhalb Jahren Haft verurteilt. In der Wohnung des zum Zeitpunkt des Urteils 63-Jährigen waren Neonazi-Devotionalien gefunden worden, auch war er als »Ausländerfeind«bekannt. Rolf Z. war bereits aus den Ermittlungen zum Mord im Jahr 2012 bekannt.
Dennoch: Der Mord an Burak Bekta? ist weiterhin nicht aufgeklärt. Genausowenig hat die Polizei Ermittlungserfolge zu den aktuellen Anschlägen und Drohungen vorzuweisen. Bisher wurden – soweit öffentlich bekannt – zu keinem der Vorfälle Tatverdächtige ermittelt.