Erster Mai 2017

von Robert Andreasch, Toni Brandes, Stephanie Heide, Ernst Kovahl und Sebastian Weiermann
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 166 - Mai 2017

Eine Übersicht über die rechten Aufmärsche am 1. Mai 2017

der rechte rand Ausgabe 166 - Mai 2017

© St. Heide ^ Neonazis in Halle

Die Aufmärsche der extremen Rechten zum 1. Mai sind ein guter Indikator für den Zustand der diversen Parteien und Organisationen. Aufmärsche mit mehreren Tausend TeilnehmerInnen senden Signale der Geschlossenheit und Stärke nach Innen und Außen. Doch seit einigen Jahren vermag selbst der »Arbeiterkampftag« keine einigende oder mobilisierende Wirkung mehr entfalten. Ein Trend, der sich auch am 1. Mai 2017 fortsetzte – die Szene mobilisierte zu verschiedenen Aufmärschen quer durch die Republik. Und doch war dieser 1. Mai anders als die Jahre davor: Einerseits stand die Frage im Raum, ob die NPD aus dem Mitte Februar vor dem Bundesverfassungsgericht gescheiterten Verbotsverfahren Profit schlagen und Präsenz und neue Stärke auf der Straße umsetzen könnte. Die Antwort war eindeutig: Nein. Ein weiterer Grund waren die Ankündigungen der »Alternative für Deutschland« (AfD), eigene Veranstaltungen durchzuführen.
Insgesamt waren dieses Jahr weniger als 3.000 Menschen bei den Aufmärschen der extremen Rechten. Allein der neuen Rechtspartei gelang eine Veranstaltung mit über 1.000 TeilnehmerInnen. Die Neonazi-Szene mobilisierte maximal 1.800 Personen zum 1. Mai auf die Straßen und blieb damit knapp unter den durchschnittlichen Zahlen der letzten Jahre und weit entfernt von den Jahren 2007 und 2010, als bundesweit über 4.000 Neonazis aufmarschierten.

Stralsund (NPD)
In Mecklenburg-Vorpommern versammelten sich 250 TeilnehmerInnen am Stralsunder Hauptbahnhof zu einem Aufmarsch der NPD. Unter dem Motto »Sozial National Legal!« marschierten sie durch die Innenstadt und versammelten sich zu einer Zwischenkundgebung am Neuen Markt. Dort traten wie bereits im letzten Jahr die Landesfunktionäre Udo Pastörs und Stefan Köster als Redner auf. Auch der Bundesvorsitzende Frank Franz war wieder als Redner dabei. Und wie im letzten Jahr kam Unterstützung aus dem Ausland: aus Dänemark war von der »Danskernes Parti« (»Partei der Dänen«) Daniel Carlsen angereist, aus Schweden war der Gründer des Medienprojekts »Motgift« (»Gegengift«) Dan Eriksson dabei.

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© Robert Andreasch ^ Neonazis in Gera

Bautzen (NPD)
Auch in Sachsen trat die NPD auf die Straße. In Bautzen versammelten sich 110 TeilnehmerInnen hinter einem Transparent mit dem Motto »Sozialstaat für Deutsche, statt Weltsozialamt für Fremde«. Auf dem Marsch durch die Stadt gab es Reden vom sächsischen NPD-Landesvorsitzenden Jens Baur sowie von dessen Stellvertreter Arne Schimmer und von Andreas Storr, dem Görlitzer NPD-Kreisvorsitzenden.

Essen (NPD) / Dortmund (»Die Rechte«)
NPD und »Die Rechte« hatten zum 1. Mai im Ruhrgebiet kooperiert. Ein NPD-Aufmarsch fand am Morgen in Essen statt, am Nachmittag folgte »Die Rechte« in Dortmund. Mit 130 und bis zu 250 DemonstrantInnen blieben die Aufmärsche klein. Gerade die Demonstration in Dortmund blieb hinter den selbst gesteckten Erwartungen zurück. Im Vorfeld war mit 300 bis 400 TeilnehmerInnen gerechnet worden. Am Morgen des ersten Mai reisten etwa 50 Dortmunder Neonazis von einem im Vorfeld öffentlich bekannt gegebenen Treffpunkt am Hauptbahnhof nach Essen. Mit dabei war auch der ehemalige Feuerwehrchef Klaus Schäfer. Auch Neonazis aus Hamm um den nach Bielefeld verzogenen Sascha Krolzig beteiligten sich an dem NPD-Aufmarsch. Dort durften sie Reden von Claus Cremer, dem Vorsitzenden der NPD Nordrhein-Westfalen, von Sebastian Schmidkte aus Berlin und von Ricarda Riefling lauschen. Der Essener Aufmarsch verlief ohne größere Störungen. Ein Großteil der TeilnehmerInnen fuhr danach geschlossen nach Dortmund. Um dort zu ihrem Aufmarsch im Vorort Germania zu kommen, mussten die Rechten bei ihrer Zuganreise einen Umweg in Kauf nehmen. AntifaschistInnen hatten einen Bahnhof auf der ursprünglichen Anreise-Route besetzt. In Dortmund sprachen Michael Brück, Sven Skoda und Sascha Krolzig, Sebastian Schmidtke und Thorsten Heise, der die »Kameradschaft Northeim« mitgebracht hatte. Die beiden neonazistischen Veranstaltungen fanden zum Großteil bei strömendem Regen und in stark abgeriegelten Straßenzügen statt. Beachtlich war die Vorarbeit von der Partei »Die Rechte« für den regionalen Aufmarsch. Am 28. und 30. April veranstalteten die Neonazis Mobilisierungskundgebungen in Dortmund. Ein Vortrag von Dieter Riefling mit anschließendem Auftritt des Liedermachers »Freilich Frei« in Hamm dürfte auch nicht zufällig am 29. April stattgefunden haben, sondern Teil der Mobilisierung gewesen sein.

Halle (»Die Rechte« und »Antikapitalistisches Kollektiv«)
Knapp 500 Neonazis aus mehreren Bundesländern folgten dem Aufruf des »Antikapitalistischen Kollektivs« (AKK) und Teilen der Partei »Die Rechte« (DR) nach Halle/Saale zum »Tag der deutschen Arbeit«. Insgesamt neun angekündigte Redner aus den Reihen von DR, NPD/JN, AKK sowie den »Freien Nationalisten« sollten ein breites, extrem rechtes Spektrum abdecken. Lokale Neonazi-Strukturen wie »Die Rechte Halle« oder die »Brigade Halle/Saale« waren organisatorisch nicht eingebunden. Da sich die Mehrzahl der angereisten Neonazis den polizeilichen Vorkontrollen verweigerte, schaffte nur eine Handvoll von ihnen den Weg vom Hinterausgang des Hauptbahnhofs zum 100 Meter entfernten Sammelplatz. Knapp zwei Stunden verharrten die Neonazis dort, während rund um das Versammlungsareal Gegenproteste und Blockaden ein Durchkommen ohnehin unmöglich gemacht hätten. Ersatzveranstaltungen für den Aufmarsch waren in ganz Sachsen-Anhalt verboten worden, lediglich eine Standkundgebung wurde den Neonazis angeboten. Diese lehnten die Veranstalter jedoch ab und beendeten schließlich die Versammlung. Bei ihrem Abgang suchte eine 20-köpfige Neonazi-Gruppe aus Bayern und Hessen noch am Bahnhof die Konfrontation mit den zahlenmäßig weit überlegenen GegendemonstrantInnen – insgesamt waren 4.000 Menschen gegen die Neonazis auf die Straße gegangen. Die Polizei klärte die Situation und eskortierte die Gruppe zu ihren Autos. Doch unmittelbar im Anschluss griffen dieselben Personen aus zwei Autos heraus eine Gruppe Jugendlicher an. Dabei kamen Augenzeugen zufolge Sprengkörper, Reizgas, Steine, Flaschen und Schlagstöcke zum Einsatz. Zwei der Jugendlichen wurden verletzt. Nicht nur dieser Angriff zeigt das hohe Gewaltpotential. Ein Großteil der Neonazis reiste mit der Bahn ab. Eine Gruppe von 200 Neonazis führte in Köthen/Anhalt einen spontanen Aufmarsch durch. Auch in Burg bei Magdeburg, der Heimatstadt des DR-Landesvorsitzenden Ingo Zimmermann, marschierten noch 10 Neonazis nach ihrer Rückkehr aus Halle auf. Nachdem es bereits unmittelbar nach dem gescheiterten Aufmarsch zum Teil massive Kritik aus den eigenen Reihen gab, gestanden auch die Organisatoren in einer Stellungnahme das »volle Desaster« ein.

Apolda (»Die Rechte« und »Antikapitalistisches Kollektiv«)
Eine Gruppe von etwa 150 Neonazis aus verschiedenen Bundesländern versuchte auf der Abreise aus Halle einen spontanen Aufmarsch im nahen Apolda (Thüringen, Kreis Weimarer Land). Die Polizei teilte mit, die Neonazis hätten sich nach ihrer Ankunft mit der Bahn am Nachmittag in der Kleinstadt vermummt und begonnen, PolizistInnen mit Böllern, Pyrotechnik, Flaschen und Steinen anzugreifen. Schnell herbeigezogene BeamtInnen nahmen daraufhin 103 Personen fest, die Versammlung wurde beendet. Mehrere Personen hätten dagegen »zum Teil erheblichen Widerstand« geleistet. Zudem sei es durch »die Flucht eines Teils der rechten Störer« über Bahngleise zu kurzen Behinderungen des Zugverkehrs gekommen. Nun werde wegen Landfriedensbruchs, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung an Polizeifahrzeugen und einem Geschäft ermittelt. Auf Twitter hatten Neonazis des »Antikapitalistischen Kollektivs« nach Beginn des Spontanaufmarsches getönt: »Wir laufen mit 200 Leuten durch Apolda!« Und: »Die Straße gehört uns! Apolda gehört uns!« An der Spitze des Zuges wurde ein Transparent des AKK getragen. Wenig später lagen zahlreiche Neonazis gefesselt am Boden. Vermutlich aus Angst vor kommender Repression wurde vom AKK eine kaum glaubwürdige Distanzierung in die Welt gesetzt: »Fürs Protokoll: Das AKK war trotz anderer Behauptungen nicht Veranstalter.« Auch Mitglieder der Partei »Die Rechte« hatten an dem spontanen Aufmarsch teilgenommen.

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© Robert Andreasch ^ 400 Neonazis folgten dem »Der III. Weg« in Gera

Gera (»Der III. Weg«)
Die neonazistische Partei »Der III. Weg« hatte unter dem Motto »Kapitalismus zerschlagen – Für Familie, Heimat und Tradition!« zum 1. Mai ins thüringische Gera mobilisiert. Mit rund 400 Angereisten entschieden sich im Vergleich zu den letzten Jahren (2015: 700, 2016: 600) weniger Neonazis für den Aufmarsch in Gera. Auf den 1. Mai-Aufzügen der Partei 2015 in Saalfeld und 2016 in Plauen hatten hunderte Neonazis PolizeibeamtInnen und GegendemonstrantInnen angegriffen. Diesmal achteten die Neonazis auffällig auf Disziplin. Angesichts fehlender Störungen stellt sich die Frage, ob sie diese Zurückhaltung bei antifaschistischen Straßenblockaden oder behördlichen Schikanen aufgegeben hätten, nicht. Offensichtlich sind die AkteurInnen der Partei auf der Suche nach einem neuen Format ihrer Aufmärsche. Ihre Inszenierung entpuppte sich als Patchwork aus Stilfragmenten, welche die bundesdeutsche Neonaziszene früherer Jahrzehnte geprägt hatten. Keine bunten Seitentransparente und »autonome« Vermummung mehr, die noch den Plauener Aufmarsch 2016 geprägt hatten. »Der III. Weg« setzte, wie einst die »Nationalistische Front« in den frühen 1990er Jahren, auf skurrile Uniformierung und Fahnenblöcke. Wer in der ersten Marschhälfte laufen wollte, musste ein rotes Kampagnen-T-Shirt der Partei tragen, in Dreierreihen marschieren und dabei ein Plakat hochhalten. Zwei mal pro Reihe wurden die grünen Fahnen der Partei in einem bestimmten Winkel nach außen gehalten. Im zweiten Teil des Marsches liefen dann die Kameradschafts-AktivistInnen, ältere Hooligans und »Hammerskins«, die auf das rote T-Shirt verzichten wollten. Bundesländer- oder Ortsfahnen, »Kameradschafts«-Shirts oder Transparente anderer Organisationen fehlten hier fast völlig. Wie schon in Plauen und zuletzt beim Aufmarsch im Februar in Würzburg hatten die Neonazis Rauchtöpfe und bengalische Feuer als Kundgebungsmittel erlaubt bekommen; prompt nebelten sie die eigenen MarschteilnehmerInnen reichlich ein. Eine »revolutionäre« Kampfästhetik, bei der die »Kämpfer« durch Rauchschwaden ziehen, wollte sich aber nicht einstellen. Fußballassoziationen sollten auch nicht geweckt werden: die Ordner unterbanden mehrfach »Antifa Hurensöhne«-Sprechgesänge. Auf ihrer Website lobte die Partei ihre Aktion im Nach­hinein als »Veranstaltung mit 0% Fremdschämen, dafür mit 100% Disziplin!« BürgerInnennah wurde der Aufzug deswegen allerdings nicht. Dem dürften nicht nur die skurrile Fahnen- und Marschinszenierung, sondern auch die nationalsozialistischen Inhalte entgegengewirkt haben. Auf den Kundgebungen sprachen Matthias Fischer (»Gebietsleiter Mitte«), Tony Gentsch (»Stützpunkt Vogtland«), Nico Metze (»Stützpunkt Ostthüringen«), Julian Bender (»Gebietsleiter West«), Thomas Wulff sowie Milán Széth aus Ungarn. Alle Ansagen hatten eher einen Grußwortcharakter und wirkten unvorbereitet. Abgesehen von Wulff fehlte jede neonazistische »Prominenz«.

Erfurt (AfD)
Etwa 1.200 Menschen folgten dem Aufruf »Sozial ohne rot zu werden!« der AfD-Thüringen nach Erfurt, um am 1. Mai eine kurze Wegstrecke von der Thüringenhalle zum Landtag zu laufen. Björn Höcke, Vorsitzender von Landespartei und Landtagsfraktion, sowie dessen Büroleiter in der Fraktion, Gerhard Siebold, hatten die Veranstaltung angemeldet. 2.000 TeilnehmerInnen erwartete die Rechtspartei, die hier in der Vergangenheit bis zu 6.000 Menschen mobilisieren konnte. Somit blieb die AfD hinter den eigenen Erwartungen und bisherigen Erfolgen zurück. Viele TeilnehmerInnen waren aus anderen Bundesländern angereist. Unter ihnen waren Neonazis und »Identitäre«. Heimlicher Stargast war der ­PEGIDA-Gründer Lutz Bachmann, mit dem sich DemonstrantInnen und AfD-FunktionärInnen fotografierten. Auf der Kundgebung gegen die »kommunistische Landesregierung« in Thüringen und die »gesetzbrecherische Bundesregierung« sprachen neben Höcke auch der Spitzenkandidat der AfD-Thüringen zur Bundestagswahl, der Anwalt und Landtagsabgeordnete Stephan Brandner aus Gera, der AfD-Bundestagskandidat Jürgen Pohl (Eichsfeld-Nordhausen-Kyffhäuserkreis) und der Sprecher der AfD-Brandenburg und Landtagsabgeordnete Andreas Kalbitz. Höcke kündigte in seiner Rede einen »knallharten Anti-Establishment Wahlkampf« an. Auf dem Aufmarsch verkündigte Pohl die Gründung des »Alternativen Arbeitnehmerverbands Mitteldeutschland« (»Alarm!«) als offenen Angriff auf die DGB-Gewerkschaften. Die »verrotteten Altgewerkschaften« beschimpfte Kalbitz in seiner Rede als »verlängerter Arm der vor sich hin-merkelnden Regierung, geführt von fettgefressenen Gewerkschaftsbonzen«. Und Pohl kündigte an, die AfD wolle den 1. Mai den »Arbeiterverrätern« entreißen. Für den Aufmarsch hatte die AfD mit einer Grafik geworben, auf der ein Anstreicher mit SA-Mütze das Rot der Gewerkschaften mit AfD-blauer Farbe überstrich. Ursprünglich waren in Hamburg von »Arbeitnehmer in der AfD« (AidA) und in Düsseldorf von der »Alternativen Vereinigung der Arbeitnehmer« (AVA) weitere AfD-Versammlungen zum 1. Mai angekündigt, jedoch kurzfristig abgesagt worden. Der gelungene Aufmarsch in Erfurt dürfte den völkischen Flügel der AfD gestärkt haben, wohingegen der mit offen faschistischen Anleihen spielende Auftritt bürgerliche WählerInnen abgeschreckt haben dürfte.