Viel Lärm um ziemlich wenig

von Björn Elberling

Magazin "der rechte rand" Ausgabe 166 - Mai 2017

Den Gang des NSU-Prozesses seit dem letzten Herbst in einem Satz zusammenzufassen, fällt schwer – zu zerfasert, zu sehr von sinnlosen Aktionen der Verteidigung bestimmt, zu sehr auf ein Urteil und zu wenig auf echte Aufklärung des NSU-Komplexes gerichtet war der Prozess in dieser Zeit.

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Dass das Gericht nicht (mehr?) an ernsthafter Aufklärung interessiert ist, sondern einfach bald ein Urteil fällen will, zeigte es vor allem im Umgang mit Beweisanträgen der Nebenklage, insbesondere zur Rolle von V-Leuten im Umfeld des NSU und zu den teils offensichtlich gelogenen Aussagen ihrer V-Mann-FührerInnen im Prozess – diese Anträge lehnte es nämlich reihenweise ab.
Zwei von der Nebenklage gesetzten Themen ging das Gericht allerdings nach und zeigte damit, dass es diese auch für sein Urteil wichtig findet: So hörte es einen Objektschützer der Berliner Polizei, der im Mai 2000 Beate Zschäpe mit mehreren Begleitern gesehen hatte, wie sie augenscheinlich die Synagoge in der Rykestraße ausspähten. Das hatte er zwar schon damals der Polizei in Thüringen mitgeteilt, er war aber dann nach dem 4. November 2011 nicht erneut vernommen worden und wurde auch im Prozess nur auf Antrag eines Nebenklagevertreters gehört. Nun aber nahm das Gericht die Aussage des Mannes, der sich auch sechzehn Jahre später noch recht gut erinnerte, erkennbar ernst, verlas unter anderem eine Liste aus der Adressensammlung des NSU, auf der sich auch die Synagoge befand – neben mehreren hundert weiteren jüdischen Einrichtungen. Das Ganze ist ein Hinweis, dass der NSU zu Beginn seiner Existenz auch antisemitische Anschläge geplant hatte – was angesichts der bekannten antisemitischen Einstellung seiner Mitglieder nicht besonders überrascht.

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Zum anderen wurden Anleitungen und »Drehbücher« für das NSU-»Paulchen Panther«-Video verlesen, die erneut zeigen, dass Beate Zschäpe an dessen Erstellung beteiligt war – insbesondere hatte sie in einer Wette aus dem Jahr 2006 »200 Videoclips schneiden« als Wetteinsatz geboten. Zusammen mit anderen Indizien, wie etwa Zschäpes Fingerabdrücken auf dem »Zeitungsarchiv« des NSU zu dessen Taten, widerlegen diese Dokumente ihre Einlassung, sie habe von den Taten immer erst hinterher erfahren, und zeigen ihre aktive Einbindung in den NSU.

Verteidigung Wohlleben: Von Eigentoren…
Was die Verteidigung angeht, so war von den Anwälten der Angeklagten Carsten Schultze, Holger Gerlach und André Eminger wenig zu hören – sie scheinen wohl davon auszugehen, ihre Aufgabe bereits erledigt zu haben. Schultze, der laut Anklage zusammen mit Wohlleben die Mordwaffe Ceska besorgt hatte, hat ja ein sehr weitgehendes Geständnis abgelegt und auch Wohlleben belastet – er behauptet nur, er habe nicht geahnt, was die NSU-Mitglieder mit der Waffe vorhatten. Gerlach hat die ihm vorgeworfenen Unterstützungshandlungen ebenfalls eingeräumt, will sie aber als reine »Freundschaftsdienste« verkaufen. Diese beiden werden also sehr wahrscheinlich nach Anklage verurteilt werden. Eminger hingegen schweigt zu den ihm vorgeworfenen Unterstützungs- und Beihilfehandlungen, aber auch gegen ihn gibt es erhebliches belastendes Beweismaterial.
Deutlich aktiver waren die VerteidigerInnen des NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben – und zwar mit eindeutigen politischen Positionierungen, nicht nur von Nicole Schneiders, die Anfang der 2000er Jahre gemeinsam mit Wohlleben im NPD-Kreisverband Jena aktiv war, und von Ex-Wikingjugend-Funktionär Wolfram Nahrath, sondern auch von dem vorher »nur« als »Szene-Verteidiger« bekannten Olaf Klemke. Diese arbeiteten sich zunächst lange an Schultze ab und versuchten, ihn als unglaubwürdig darzustellen. Allerdings schossen sie dabei ein Eigentor nach dem anderen. Zudem warfen sie Schlaglichter auf die Ermittlungsmethoden der Polizei in den 1990er und in den 2010er Jahren.
So hatte Schultze berichtet, dass er und Wohlleben 1998/1999 zusammen mit »Kameraden« zwei Linke zusammengeschlagen und -getreten hatten – die Polizei hatte aber hierzu keine Aufzeichnungen mehr und fand auch auf Nachfrage keine. Bezeichnenderweise wurde in der BKA-Anfrage aus einem Angriff von sechs Neonazis auf zwei Männer eine Schlägerei mit »Linksextremisten«. Auch die Jenaer Polizei, das ergab sich später, hatte damals das Ganze als »Auseinandersetzung« abgetan. So verschwendete das Gericht mehrere Prozesstage mit Zeugenaussagen der damals beteiligten Neonazis und mit Nachforschungen zur Beschaffenheit des Tatorts 1998/1999 – bis ein Nebenklagevertreter sich die Mühe machte, Zeitungsarchive zu durchstöbern, und einen Zeitungsartikel zu dem Vorfall fand. Danach konnten die Geschädigten recht schnell ausfindig gemacht werden, bestätigten die Schilderungen von Schultze vollständig und stärkten damit die Glaubhaftigkeit seiner Angaben, die Wohlleben belasten.

….und Propaganda-Anträgen
Irgendwann schienen die VerteidigerInnen einzusehen, dass Wohlleben auf eine Verurteilung zusteuert – zu erdrückend war die Beweislage, zu der auch Wohlleben mit seiner eigenen Aussage beigetragen hatte, hatte er sich doch bei dem Versuch, seine damaligen Handlungen kleinzureden, verhaspelt und letztlich die Anklage zum äußeren Ablauf bestätigt.
So verlegte sich die Verteidigung zum einen auf sinnlose Befangenheitsanträge, die alle als unbegründet zurückgewiesen wurden, aber viel Zeit und Nerven kosteten. Zum anderen stellte sie mehrere Anträge, die erkennbar Propaganda für die »Kameraden« außerhalb des Gerichtssaals waren und sich auf neonazistisches Propagandamaterial bezogen, das bei Wohlleben gefunden worden war.
So ging es zum einen um die Behauptung, ‹Führer›-Stellvertreter Rudolf Heß sei von den Alliierten ermordet worden. Das sollte Heß‘ letzter Krankenpfleger im Alliierten-Gefängnis in Spandau bezeugen – der hatte vor einigen Jahren ein Buch mit dieser Behauptung geschrieben, aus dem Französischen übersetzt vom NPD-Vorstand Olaf Rose, und tingelt damit nun von NPD-Veranstaltung zu NPD-Veranstaltung. Wenig später setzte die Verteidigung noch eins drauf und wollte Rose selbst als »Sachverständigen« hören zu Heß‘ »Friedensflug« nach England 1941 und seiner Verurteilung durch das Nürnberger Tribunal.
War dieser Antrag zwar eindeutige NS-Propaganda, aber wenigstens auf die Vergangenheit gerichtet, verbreitete die Verteidigung später aktuelle rassistische »Volkstod«-Thesen: Ein Sachverständiger für Demographie solle gehört werden, um zu beweisen, dass jedermann »vom ‹drohenden Volkstod› des deutschen Volkes sprechen« könne, denn unter anderem wegen des »massenhaften Einwanderns Nichtdeutscher« werde »das deutsche Volk in seiner bisherigen Identität im Jahre 2050 eine Minderheit gegenüber den Nichtdeutschen sein« – wenn, so fügte Verteidiger Klemke hinzu, »diese Entwicklungen ihren Verlauf nehmen und nicht gestoppt werden«. Diese rassistischen Ausführungen waren verbrämt mit pseudo-verfassungsrechtlichen Argumentationen, wie sie etwa auch von der NPD im Verbotsverfahren zu hören waren – und vom Gericht natürlich abgelehnt wurden. Viele NebenklagevertreterInnen verließen aus Protest gegen die rassistischen Ausführungen Klemkes den Saal.

Verteidigung Zschäpe: viel Lärm um sehr wenig
Von der Verteidigung Zschäpes gäbe es viel über interne Streitigkeiten und Befindlichkeiten zu berichten – aber das wurde ja bereits ausführlich in der Tagespresse breitgetreten und ist zudem für eine Einschätzung des NSU-Prozesses so irrelevant wie sonst kaum ein Thema.
Ein Schwerpunkt der Verteidigungsaktivitäten bezog sich auf das Gutachten des Psychiaters Henning Saß, der Zschäpe unter anderem als egozentrisch, ganz auf sich selbst bezogen, wenig empathisch und externalisierend beschrieb und ihr für den Fall einer Verurteilung eine bleibende Gefährlichkeit bescheinigte – und der deutlich erkennen ließ, dass er Zschäpes Einlassung für wenig glaubhaft hält. Die Verteidigung bemühte sich umfangreich, aber erfolglos, das Gutachten anzugreifen.
Den »AltverteidigerInnen« Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm ging es anscheinend vor allem darum, Sicherungsverwahrung für Zschäpe zu vermeiden – dabei ist die neben der zu erwartenden lebenslangen Freiheitsstrafe schon aus rechtlichen Gründen nicht zu erwarten.
Die »neuen« Verteidiger Mathias Grasel und Hermann Borchert hingegen verfolgten weiter die Strategie, Zschäpe mit immer neuen Erweiterungen ihrer Einlassung als eigentliches Opfer darzustellen. Zschäpe ließ dann sogar verlauten, sie verurteile die Taten von Böhnhardt und Mundlos – diese blasse Äußerung wurde aber schon dadurch konterkariert, dass Zschäpe sich weiter weigerte, Fragen der Nebenklage zu beantworten. Ansonsten ließ sie erklären, ihr gefühlloses Auftreten im Prozess sei auf eine entsprechende Anweisung von Heer, Stahl und Sturm zurückzuführen. Sie schob damit sogar die Verantwortung für ihre Außenwirkung während des Prozesses auf andere mit derselben Logik, mit der sie die Verantwortung für die Verbrechen des NSU allein auf Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos schieben will. Letztlich beschreibt sich Zschäpe weiter als Opfer – der beiden Uwes, der AltverteidigerInnen, der bösen Nebenklage und der ‹Lügenpresse›.

Der NSU und der Fall Peggy K.
Für Aufsehen sorgte noch die Bekanntgabe, in der Nähe der Leiche der 2001 ermordeten Peggy K. sei eine DNA-Spur von Uwe Böhnhardt gefunden worden, und die spätere Erklärung, es handele sich um eine Verunreinigung durch Instrumente der Spurensicherung.
Bei diesem Thema ist sicher äußerste Vorsicht geboten: Einerseits gab es im Umfeld des NSU Personen wie den V-Mann Tino Brandt, der wegen organisierten Kindesmissbrauchs verurteilt wurde, und es gab wohl auch neonazistische Drohbriefe an die Mutter von Peggy K., weil diese zum Islam konvertiert war. Und nicht zuletzt waren die Ermittlungen im Mordfall Peggy K. von demselben Ermittler geleitet worden, der auch die Ermittlungen zur NSU-Mordserie in rassistischer Manier gegen deren Opfer ausgerichtet hatte. Daher schien eine Verbindung von Böhnhardt – und damit Zschäpe – zum Mord an Peggy K. durchaus denkbar. Genauso denkbar erscheint aber eben auch eine Verunreinigung oder Übertragung von DNA-Material, wie sie ja im NSU-Kontext mit dem »Phantom von Heilbronn« schon einmal geschehen ist.
Ganz bestimmt falsch ist es aber, Thesen herauszuposaunen wie die, der NSU habe sich mit Kinderpornographie finanziert – für diese These gibt es nicht nur keine belastbaren Anhaltspunkte, sondern sie birgt zudem die Gefahr einer massiven Entpolitisierung des Themas NSU, indem Neonazi-Mörder, die rassistisch motivierte Hassverbrechen begehen, zu durchgeknallten Perversen erklärt werden, deren Beweggründe man sowieso nicht so recht beschreiben kann.

Und nun?
Was bleibt festzuhalten? Das Gericht zeigt, dass es mit dem Verfahren langsam zu einem Ende kommen will – realistisch, aber keineswegs sicher scheint ein Urteil vor der Sommerpause Anfang August. Dabei steuern die Angeklagten, allen voran Zschäpe und Wohlleben, eindeutig auf eine Verurteilung zu. Allerdings steht zu befürchten, dass das Urteil sich eng auf die den wenigen Angeklagten vorgeworfenen Taten beschränken und die politische Dimension des NSU-Komplexes nicht adäquat abbilden wird – weder das Vorgehen von Polizei und Geheimdiensten noch den Netzwerkcharakter des NSU und seine Verbindungen zur weiteren Neonazi-Szene. Für die antifaschistische Bewegung ist das indes nichts Neues – der Kampf um die Deutungshoheit zum NSU-Komplex, wie überhaupt der Kampf gegen alte und neue Nazis, wird eben nicht im Gerichtssaal gewonnen.

Björn Elberling vertritt einen Nebenkläger im Münchner NSU-Verfahren. Zusammen mit Alexander Hoffmann betreibt er den Blog www.nsu-nebenklage.de, auf dem über jeden Prozesstag auf Deutsch, Englisch und Türkisch berichtet wird.