Skurril, gefährlich und rechts

von Toni Brandes und Ernst Kovahl
Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 165 - März/April 2017

Bei allen ideologischen Unterschieden der Strömungen einigt die Szene der »Reichsbürger« ein reaktionäres und verschwörungstheore­tisches Weltbild sowie ein positiver Bezug auf ein »Deutsches Reich in den Grenzen von 1937« – von der scheinbar harmlosen Spinnerei bis zu knallhartem Antisemitismus und der Holocaust-Leugnung. Die Szene ist bisher zu wenig erforscht und beleuchtet. Sie ist zu vielschichtig und zu unübersichtlich, um allein ihre Aktivitäten und Schattierungen der letzten Monate bundesweit repräsentativ darstellen und dokumentieren zu können. Wir stellen sechs beispielhafte Fälle vor:

Salzwedel
Mitte Oktober 2016 wurde die Wohnung eines Ehepaars in Salzwedel wegen des Verdachts auf Anbau von und Handel mit Betäubungsmitteln von einem Spezialeinsatzkommando der Polizei durchsucht. Der Verdächtige war in der Vergangenheit unter anderem wegen Gewalttaten aufgefallen. Auch hatte er sich unter dem Hinweis auf seine Ablehnung der bundesdeutschen Zuständigkeiten und Autoritäten – eine gängige Argumentation der »Reichsbürger« – gegen polizeiliche Maßnahmen gewehrt. Bei der Hausdurchsuchung wurden etwa 100 Gramm Marihuana gefunden. Der Mann soll sich gegen die Polizei gewehrt und ein Beil auf die Beamten geworfen haben. Wenige Tage später weigerte sich das Paar bei einem Besuch im kommunalen Bürgercenter, seinen Hund anzumelden und lieferte sich ein Handgemenge mit den Angestellten und der Polizei. Die Vorfälle wurden in der Lokalpresse publiziert. Daraufhin erschien die Frau in einer Zeitungsredaktion und beschwerte sich unter Beschimpfungen und Beleidigungen darüber, sie und ihr Ehemann seien als »Reichsbürger« bezeichnet worden.

Hannover
Ein 37-jähriger Hannoveraner weigert sich seit Mitte 2013, seine Beiträge zur Pflegeversicherung zu bezahlen. Gegen die aufgelaufenen Bußgeldbescheide argumentiert er, das Grundgesetz sei seit 1990 ungültig und es existiere kein völkerrechtlich anerkannter deutscher Staat, sondern nur noch das frühere »Deutsche Reich«, in dem es nie ein Ordnungswidrigkeitengesetz gegeben habe. Und weiter: Das »Vertragsangebot« in Form eines Bußgeldbescheides lehne er als »Hochverrat gegen die Bürger des Deutschen Reiches« durch die Stadtverwaltung ab.

Aerzen
Ende Dezember 2016 weigerte sich ein 57-Jähriger in Aerzen (Landkreis Hameln-Pyrmont) bei einer Verkehrskontrolle seinen Ausweis vorzulegen. Der »Reichsbürger« war nicht mehr im Besitz von Ausweispapieren, da er diese unaufgefordert an die Ämter zurückgeschickt hatte. Im weiteren Verlauf der Kontrolle kam es zu einem Gerangel, der 57-Jährige versuchte zu fliehen.

Hannover
Anfang Januar 2017 verhängte das Amtsgericht Hannover gegen ein »Reichsbürger«-Ehepaar einen Strafbefehl über 160 Tagessätze à 50 Euro, weil sie für die Jahre 2010 bis 2012 keine Steuererklärungen abgegeben hatten. Gegen das Ehepaar wurde wegen Steuerhinterziehung ermittelt. Die Frau hatte nach der offiziellen Aufgabe ihre Massagepraxis weiter betrieben und das Ehepaar hatte dem Finanzamt Mieteinkünfte aus Immobilienbesitz vorenthalten. Zwar hatten die beiden die Steuerschuld für 2010 bis 2012 beglichen, aber für die Folgejahre keine Meldung über ihre Einkünfte abgegeben. Das Ehepaar erschien nicht zum Verhandlungstermin, ihr Sohn äußerte seinen Unmut über den »Terror von Polizei und Staatsanwalt«. Gegen den Strafbefehl können die beiden Einspruch erheben.

Bremen
Mitte Februar 2017 hat das Sozialgericht Bremen die Forderung eines Bremers nach Unterhaltszahlungen abgelehnt. Der Mann hatte bereits versucht, Unterhaltszahlungen vom Versorgungsamt Bremen zu erhalten. Der 39-jährige »Reichsbürger« argumentierte, er sei als »Kriegsgefangener« auf »besetztem Gebiet« und daher wie ein Soldat der »Besatzungsarmee« zu behandeln. Somit habe er Anspruch auf Sold von mindestens 2.000 Euro brutto im Monat. Der Antrag wurde abgelehnt. Daraufhin reichte der Mann Klage vor dem Sozialgericht ein. Dieses erklärte sich jedoch für nicht zuständig und ordnete an, der Kläger habe die Gerichtskosten in Höhe von 12.000 Euro zu zahlen. Wie es in dem Fall weitergeht, entscheidet das zuständige Verwaltungsgericht.

Kaufbeuren
Ende März 2016 stand Manuela H. vor dem Amtsgericht Kaufbeuren. Der 49-Jährigen, die bereits wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln, Fahren ohne Fahrerlaubnis und Trunkenheit im Verkehr mehrere Verurteilungen – darunter auch Haftstrafen – hat, stand wegen vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis vor Gericht. Im Vorfeld der Verhandlung wurde das Gericht im Duktus der »Reichsbürger« angegangen. Die Ladung wurde als »Einladung« bezeichnet, die mittels »Rechtsausführungen« zurückgewiesen wurde. Zusätzlich wurde gegen das Amtsgericht Klage vor dem fiktiven »International Common Law Court of Justice« in Wien eingereicht, inklusive einer dreistelligen Gebühr. Zu dem Gerichtstermin fanden sich UnterstützerInnen der Angeklagten im Gerichtssaal ein. Weder Richterin noch Staatsanwalt oder JustizbeamtInnen schafften es, den durch Zwischenrufe und Applaus entstehenden Tumult zu beenden. In dem Durcheinander gelang es einem der Unterstützer, die Verfahrensakte vom Tisch der Richterin zu entwenden und der Angeklagten zuzuwerfen. Die Akte verschwand im Gemenge. Auch die zur Hilfe gerufene Polizei war nicht in der Lage, die Akte zu sichern. Sie blieb verschwunden. Der Prozess wurde schließlich in Abwesenheit von Manuela H. fortgeführt, sie wurde zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Ob die Angeklagte gegen das Urteil vorgehen wird, ist nicht bekannt.